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BFH 15.12.2010 - IV R 5/10
BFH 15.12.2010 - IV R 5/10 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung durch das Finanzamt - Anforderungen an die Postausgangskontrolle
Normen
§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 S 1 Halbs 2 FGO, § 120 Abs 2 S 1 Halbs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 5. November 2009, Az: 13 K 83/06, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für das Finanzamt in gleicher Weise wie für den Steuerpflichtigen und die Angehörigen der rechtsberatenden und steuerberatenden Berufe, insbes. ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet .
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2. NV: Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch das Finanzamt scheidet aus, wenn ein Organisationsverschulden des Finanzamts hinsichtlich der verspäteten Übermittlung eines schon am Vortag bearbeiteten und zum Versand per Fax vorbereiteten Schreibens nicht auszuschließen ist .
Tatbestand
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I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat nach Zulassung durch das Finanzgericht (FG) am 11. Januar 2010 Revision gegen das am 15. Dezember 2009 zugestellte FG-Urteil eingelegt. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2010 hat das FA auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 (Eingang per Fax am 16. Februar 2010) hat das FA beantragt, die Begründungsfrist "wegen Erkrankung" bis zum 31. März 2010 zu verlängern. Nach gerichtlichem Hinweis auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und den verspäteten Eingang des Fristverlängerungsantrags hat das FA mit Schriftsatz vom 19. Februar 2010 (Eingang am 25. Februar 2010) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der am 15. Februar 2010 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist beantragt. Wegen schuldloser Verhinderung des Vorstehers des FA sei die Revisionsbegründung verspätet eingereicht worden. Der Vorsteher habe die Bearbeitung der Revision persönlich übernommen und nicht an einen Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle delegiert. Er habe das Schreiben mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung erstellt. Am 8. Februar 2010 sei bei ihm nach Dienstschluss eine schwere Lungenentzündung diagnostiziert worden, weshalb er seine Dienstgeschäfte nicht mehr habe wahrnehmen können. Am Morgen des 16. Februar 2010 habe der Vorsteher einen Vertreter bestellt. Dieser habe dann sofort per Fax um 11.16 Uhr Fristverlängerung für die Revisionsbegründung beantragt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FA hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am Montag, dem 15. Februar 2010, ab. Die Revisionsbegründung des FA ist jedoch erst am 16. Februar 2010 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.
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2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden.
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a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 2008 X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517, und vom 11. Mai 2010 XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.).
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b) Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das FA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.). Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (BFH-Beschluss vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407). Soweit der Umgang mit Fristsachen delegiert wird, ist dem FA --ebenso wie einem Prozessbevollmächtigten-- ein Versehen eines mit Fristsachen betrauten Beschäftigten dann nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen, wenn alle Vorkehrungen getroffen worden sind, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und wenn durch regelmäßige Belehrung und Überwachung der mit Fristsachen befassten Beschäftigten Sorge für die Einhaltung der getroffenen Anordnungen getragen ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.). Das Verschulden eines Mitarbeiters in der Postabsendestelle muss das FA nicht gegen sich gelten lassen, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks ausdrücklich hingewiesen wurde (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 407, m.w.N.). Daher ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet. Eine wirksame Postausgangskontrolle setzt voraus, dass die Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes, d.h. die Übergabe des Schriftstücks an die Post, durch eine Person kontrolliert wird, die den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 407). Entsprechendes gilt, wenn ein Schriftstück zur Weiterleitung per Fax bestimmt ist. Das FA muss u.a. vortragen, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1517).
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c) Unter Beachtung dieser Maßstäbe rechtfertigt das Vorbringen des FA keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, denn bei Würdigung aller vom FA vorgetragenen und nach Aktenlage ersichtlichen Umstände ist ein Organisationsverschulden des FA nicht auszuschließen.
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Nicht schlüssig ist bereits der Vortrag, dass der Vorsteher des FA am Morgen des 16. Februar 2010 einen Vertreter mit der Bearbeitung des Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beauftragt habe. Denn sowohl das Schreiben des FA mit dem Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist als auch das zugehörige Faxdeckblatt tragen das Datum vom 15. Februar 2010, dem Tag des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit kommt es auf die vom FA vorgetragenen krankheitsbedingten Umstände der verzögerten Bearbeitung des Falles im FA nicht mehr an. Erheblich sind vielmehr die Gründe dafür, dass ein nach Aktenlage bereits am 15. Februar 2010 bearbeitetes und zum Versand per Fax vorbereitetes Schreiben tatsächlich erst am folgenden Tag um 11.16 Uhr per Fax versandt worden ist. Das FA hat jedoch nichts dazu vorgetragen, weshalb das Schriftstück nicht schon am 15. Februar 2010 an den BFH weitergeleitet worden ist. Insbesondere fehlen jegliche Angaben zu Tatsachen, nach denen ein Organisationsverschulden des FA im Bereich der Sachbearbeitung des Schreibens vom 15. Februar 2010 und/oder auf der Postabsendestelle des FA als Ursache für die Fristversäumung ausgeschlossen werden kann. So besteht z.B. die Möglichkeit, dass der Sachbearbeiter sein Schreiben nicht unmittelbar --also noch am gleichen Tag-- an die Postabsendestelle zur Weiterleitung per Fax an den BFH übermittelt hat und es deshalb zu einer verzögerten Versendung des Schriftstücks gekommen ist. Insoweit vermag der erkennende Senat nicht von einem entschuldbaren Versehen eines Mitarbeiters des FA auszugehen.
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