(1) Das Gesetz enthält in diesen Vorschriften eine Reihe von Aufhebungsregelungen für Verwaltungsakte; sie gelten für den gesamten Sozialleistungsbereich.
(2)
Dabei unterscheidet das Gesetz grundsätzlich nach
-begünstigenden und nicht begünstigenden Verwaltungsakten,
-hierbei nach rechtmäßigen und rechtswidrigen Verwaltungsakten und
-hierbei wiederum nach Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung und Verwaltungsakten mit Dauerwirkung sowie
-als Sonderfall Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, die zunächst rechtmäßig erlassen wurden, aber wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nachträglich rechtswidrig werden.
(3)
Bei einem groben systematischen Überblick lässt sich dazu Folgendes feststellen:
1.Nicht begünstigende Verwaltungsakte müssen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn sie wegen falscher Sach- oder Rechtsbehandlung der Behörde rechtswidrig erlassen wurden, soweit deswegen Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Nur bei vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen entfällt diese Rücknahmepflicht. Bei Rücknahme für die Vergangenheit ergibt sich für die Behörde gemäß § 44 Absatz 4 eine Folgenbeseitigungspflicht, deren Dauer für die Vergangenheit auf längstens 4 Jahre befristet ist. Ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt aus anderen Gründen von Anfang an rechtswidrig, besteht die Rücknahmepflicht nur mit Wirkung für die Zukunft. Für die Vergangenheit besteht ein Recht auf Rücknahme im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens.
2.Begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte unterliegen nach Eintritt der Unanfechtbarkeit nur mit großen Einschränkungen einer Aufhebung. Keine Rückgängigmachung ist erlaubt, wenn das Vertrauen des Berechtigten auf den Bestand der Maßnahme gegenüber dem öffentlichen Rücknahmeinteresse überwiegt, es sei denn, dass der Begünstigte sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, z. B. wegen arglistiger Erwirkung des Verwaltungsaktes oder Kenntnis der Rechtswidrigkeit. Greift der Vertrauensschutz zugunsten des Begünstigten nicht durch, dann ist Rücknahme für die Zukunft erlaubt, für die Vergangenheit nur bei Vorliegen der Fälle des § 45 Absatz 2 Satz 3 und § 45 Absatz 3 Satz 2. Für die Rücknahme gelten jedoch Befristungen. Erfolgt unter den vorerwähnten besonderen gesetzlichen Voraussetzungen eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, dann können sich für die Behörde Erstattungs- und Rückgabeansprüche gemäß §§ 50, § 51 ergeben.
3.Zusätzliche Regelungen gelten für rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung gemäß § 45 Absatz 3. Die Rücknahmeberechtigung setzt grundsätzlich ebenfalls fehlenden Vertrauensschutz voraus; es gelten aber darüber hinaus besondere Ausschlussfristen für die Rückgängigmachung.
4.Im Übrigen müssen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft angepasst werden. Dies gilt auch für eine von der Verwaltungspraxis abweichende, nachträglich erfolgende ständige höchstrichterliche Rechtsprechung. Rückwirkend bis zur Änderung der Verhältnisse ist eine den Berechtigten belastende Anpassung nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 bis 4 erlaubt. Zugunsten des Berechtigten soll stets rückwirkend angepasst werden (vgl. § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1).
5.Rechtmäßige nicht begünstigende Verwaltungsakte können mit Wirkung für die Zukunft stets widerrufen werden, falls keine erneute inhaltsgleiche Entscheidung erlassen werden musste und der Widerruf auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist.
6.Rechtmäßige begünstigende Verwaltungsakte können mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen des § 47 erfüllt sind.
7.Zu diesem hier im Groben skizzierten Überblick werden nachfolgende Übersichten an die Hand gegeben.
Nicht begünstigender Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung
Art der Maßnahme
Aufhebungsregelung
Folgenbeseitigung
Ausnahmen von der Aufhebungspflicht bzw. Aufhebungsberechtigung
von Anfang an rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt infolge falscher Rechts- oder Sachbehandlung bei Erlass der Maßnahme, soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind
Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit — § 44 Absatz 1 Satz 1 —
Erbringung von Sozialleistungen rückwirkend bis zu 4 Jahren, gerechnet
a)ab Jahresbeginn des Rücknahmejahres,
b)bei Antrag Rückrechnung ab Jahresbeginn vor Antragstellung
— § 44 Absatz 4 — Erstattung von Beiträgen unter Berücksichtigung der §§ 26, § 27 SGB IV
Verwaltungsakt beruht auf in wesentlicher Beziehung vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen — § 44 Absatz 1 Satz 2 — Also: Rücknahme für die Zukunft (§ 44 Absatz 2 Satz 1) oder für die Vergangenheit nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 44 Absatz 2 Satz 2)
sonstige von Anfang an rechtswidrige, nicht begünstigende Verwaltungsakte, z. B. Feststellungsbescheide
Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Zukunft; für die Vergangenheit nur Rücknahmeberechtigung — § 44 Absatz 2 —
nur bei Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit unter den oben genannten Voraussetzungen
rechtmäßige, nicht begünstigende Verwaltungsakte
Widerrufsberechtigung mit Wirkung für die Zukunft — § 46 —
a)Unzulässigkeit des Widerrufs
b)Pflicht zum Erlass eines inhaltsgleichen Verwaltungsaktes
Begünstigende Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung
Art der Maßnahme
Aufhebungsregelung bei Vertrauensschutz
Ausnahmen vom Vertrauensschutz
Aufhebungsregelung bei fehlendem Vertrauensschutz
Erstattungs- und Rückgabeansprüche
von Anfang an rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt
nur sehr eingeschränkte Aufhebungsberechtigung — § 45 Absatz 1 — keine Rücknahme, wenn Vertrauen des Betroffenen auf Bestand des Verwaltungsaktes gegenüber dem öffentlichen Rücknahmeinteresse überwiegt — § 45 Absatz 2 Satz 1 — Vertrauen ist regelmäßig schutzwürdig bei
a)Verbrauch der empfangenen Leistungen
b)Vermögensdisposition des Begünstigten, deren Rückgängigmachung nicht möglich oder mit unzumutbaren Nachteilen verbunden ist
kein Vertrauensschutz bei Erwirkung des Verwaltungsaktes
a)durch arglistige Täuschung,
b)durch Drohung,
c)durch Bestechung,
d)durch vorsätzlich oder grob fahrlässige unrichtige oder unvollständige Sachangaben, die wesentlich für den Erlass sind,
e)bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder grob fahrlässiger Unkenntnis hiervon, grobe Fahrlässigkeit liegt nur bei einer besonders schweren Sorgfaltspflichtverletzung des Begünstigten vor,
in den Fällen des § 45 Absatz 2 Satz 3 (vgl. nebenstehende Ausnahmen) ist Rücknahme des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig; Frist zur Rücknahme: längstens 1 Jahr ab Kenntnis der zur Rücknahme für die Vergangenheit berechtigenden Tatsachen; fehlt Vertrauensschutz aus anderem Grunde, z. B. öffentliches Interesse an der Rücknahme überwiegt gegenüber Vertrauensschutz, nur Widerrufsberechtigung mit Wirkung für die Zukunft — § 45 Absatz 4 —
im Falle der Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit sind bereits erbrachte Leistungen gemäß § 50 zu erstatten, ferner Anspruch auf Rückgabe von Urkunden und Sachen gemäß § 51
begünstigende, rechtmäßige Verwaltungsakte
nur sehr eingeschränkte Widerrufsberechtigung mit Wirkung für die Zukunft unter den Voraussetzungen des § 47
Erstattung entfällt, bei Widerruf aber Anspruch auf Rückgabe von Urkunden und Sachen gemäß § 51
Rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
Rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung Zusatz: bei Alternative b, c und e muss die Rücknahme für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung erfolgen (§ 45 Absatz 4 Satz 2); falls nicht, kann innerhalb der Rücknahmefrist für die Zukunft zurückgenommen werden (§ 45 Absatz 4)
mit Wirkung für die Zukunft (arg. e contr. § 45 Absatz 4 Satz 1) mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Absatz 4 Satz 1) mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Absatz 4 Satz 1) mit Wirkung für die Zukunft (§ 47) mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Absatz 4 Satz 1)
bis zum Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe (§ 45 Absatz 3 Satz 1)
bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Bekanntgabe oder unbefristet, da entweder von § 45 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 oder von § 45 Absatz 3 Satz 2 konsumiert bis zum Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe (§ 45 Absatz 3 Satz 1); bei Kumulation von Nummer 2 und 3 bis zum Ablauf von 10 Jahren (§ 45 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1) bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Bekanntgabe (§ 45 Absatz 3 Satz 3 Nummer 2) unbegrenzt (§ 45 Absatz 3 Satz 2)
Rechtmäßiger, begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
Art der Maßnahme
Aufhebungsregelung
Erstattungs- und Rückgabeansprüche
Rechtmäßiger, begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
Kein Widerruf mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle Gesetzlich zugelassener Widerruf bei
a)gesetzlichem Widerrufsvorbehalt,
b)zulässigem Widerrufsvorbehalt im Verwaltungsakt,
c)Nichterfüllung einer Auflage,
d)nicht fristgemäße Erfüllung einer Auflage;
Aufhebungsberechtigung nur mit Wirkung für die Zukunft; Geltendmachung entsprechend § 44 Absatz 4 Satz 2 binnen Jahresfrist ab Kenntniserlangung — § 47 —
Rückgabeansprüche gemäß § 51 bei gesetzlich erlaubtem Widerruf, im Rahmen des § 44 Absatz 4 ggf. Ansprüche gemäß § 50
Verwaltungsakte mit Dauerwirkung bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse
Art der Maßnahme
Aufhebungstatbestände
Aufhebungsberechtigung
Rücknahmefrist
Rücknahme- und Erstattungsansprüche
Alle rechtmäßigen, begünstigenden oder nicht begünstigenden Verwaltungsakte mit Dauerwirkung/rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die nicht nach § 45 zurückgenommen werden können (§ 48 Absatz 3) Zusatz: In den Fällen der Alternative a) (2) muss die Aufhebung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung erfolgen (§ 45 Absatz 4 Satz 2 in Verb. mit § 48 Absatz 4 Satz 1)
a)wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen (§ 48 Absatz 1)
b)Änderung einer ständigen Rechtsprechung (§ 48 Absatz 2, 1. Halbsatz)
c)nachträgliche ständige Rechtsprechung zu einer früher vertretbaren (gestützt durch die einheitliche Rechtsauffassung des jeweiligen Sozialversicherungszweiges, durch Rechtsprechung und Literatur) Rechtsauffassung der Behörde (§ 48 Absatz 2, 1. Halbsatz)
d)nachträgliche ständige Rechtsprechung zu einer früher nicht vertretbaren Rechtsauffassung der Behörde (§ 48 Absatz 2, 2. Halbsatz in Verb. mit § 44)
(1)Grundsatz: für die Zukunft (Absatz 1 Satz 1)
(2)Ausnahme: vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse (Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 4) an Bei Nummer 1 bis 4 gilt als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Beginn des jeweiligen Anrechnungszeitraumes (Absatz 1 Satz 3)
für die Zukunft für die Zukunft in der Regel für die Vergangenheit
nur in den Fällen des § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 bis 4 10 Jahre, wenn § 45 Absatz 3 Satz 3 gegeben, und unbegrenzt, wenn § 45 Absatz 3 Satz 2 (§ 48 Absatz 4) § 44
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