Beziehung
Fremdgehen in einer Beziehung: Was sind die Gründe?
Veröffentlicht am:09.07.2021
4 Minuten Lesedauer
Beim Fremdgehen erwischt – Frauen und Männer toben nur in den seltensten Fällen aus einer Laune heraus in anderen Betten. Meistens gibt es tiefgreifende Gründe für das Verhalten. Dazu zählen zum Beispiel Probleme innerhalb der Beziehung, die schon länger ungelöst sind.
Diplom-Psychologe Rüdiger Wacker erzählt im Interview, warum Menschen eigentlich fremdgehen, ob die Abkehr vom Partner verhindert werden kann und wie sich Paare nach einem Seitensprung am besten verhalten.
Warum gehen Menschen fremd?
Das kann sehr unterschiedlich sein. Drei wichtige Gründe:
- Nicht ausreichende Fähigkeit des Paares, Konflikte anzusprechen und zu bearbeiten. Selbst wenn Bedürfnisse und Unzufriedenheiten thematisiert werden, kommt man nicht weiter. Oder man teilt sie sich gar nicht (mehr) mit. Dann suchen manche die Erfüllung dieser Wünsche woanders.
- Leichtfertigkeit – eine völlige Unterschätzung der Wirkung auf den Partner und die Beziehung. In meiner Praxis wird immer wieder geäußert, die Nebenbeziehung habe doch gar nichts mit der Beziehung zum Partner zu tun und sei daher gar nicht so schlimm. Diese Einstellung kann dazu führen, unbedacht eine Affäre zu beginnen.
- Zu wenig Zeit zu zweit. Mit den zunehmenden Zielen und Aufgaben eines Paares wird immer mehr Zeit auf andere Dinge verwendet. Dadurch entfernt man sich aber voneinander und die Suche nach emotionaler oder körperlicher Nähe scheint bei einer neuen Person vielversprechender zu sein.
Gibt es Menschen, die besonders anfällig für eine Affäre sind?
Ja. Verschiedene psychische Störungen oder Auffälligkeiten liefern dafür einen Nährboden.
- Zum Beispiel ist es für unempathische oder selbstbezogene Menschen leichter, die stillschweigenden Grenzen einer Partnerschaft zu überschreiten.
- Oder auch für Menschen, die eine sogenannte mangelnde Impulskontrolle erleben („Ich brauch das dann einfach, so bin ich eben.“).
- Aber auch sehr überlastete Menschen suchen oft nach der raschen Erholung. Und dann kann es so erscheinen, als ob eine frische Beziehung mit Spaß und Sex genau das Richtige wäre.
Was unterscheidet Fremdgehen von emotionalem Fremdgehen?
Manche benutzen den Begriff „emotionales Fremdgehen“ für eine intensive Beziehung neben der Partnerschaft, die aber ohne körperliche Sexualität stattfindet. Allerdings ist zum Beispiel Verbalerotik auch Sexualität, daher finde ich die Unterscheidung durch diesen Begriff schwierig. Ob das Verhalten eine Grenzüberschreitung wäre, ist sehr subjektiv und kann Ihnen Ihr Partner am ehesten beantworten.
Für manche Menschen ist tatsächlich ein einmaliger „Ausrutscher“ nicht so bedeutend wie beispielsweise eine vermeintliche „alte Freundin“, mit der man schon immer Wandern gegangen ist. Aber da gibt es große Unterschiede.
Welche psychischen Folgen kann das Fremdgehen haben?
Das ist sehr unterschiedlich und hat mit vielen Faktoren zu tun. Ist es eine einmalige oder wiederholte Affäre? Gibt es eine wirtschaftliche Abhängigkeit? Kommt die Affäre plötzlich raus oder langsam über mehrere Monate? Entsprechend der oft sehr unterschiedlichen Begleitumstände ist das Spektrum der psychischen Folgen sehr breit. Es reicht von geringen Folgen bis zu einer Traumatisierung.
Typisch ist ein Abwechseln von Trauer und Wut, und das kann ein Zeichen für eine angemessene emotionale Verarbeitung sein, wenn dies nach einigen Wochen abebbt. Diese Gefühle treten vielfach ohne erkennbaren äußeren Anlass auf, doch manchmal kann man die Gründe verstehen – wenn man zum Beispiel auf Fremdgeh-Szenen im Film sehr emotional reagiert. Eine andere mögliche Folge ist eine Depression. Diese kann auch „agitiert“ sein: Man fühlt sich rastlos und getrieben, die gedrückte Stimmung bleibt durch Aktionismus unsichtbar.
Nach meiner Erfahrung werden die psychischen Folgen meist sehr unterschätzt. Besonders die Wirkung des Vertrauensbruchs ist oft katastrophal, sie zieht den Betroffenen den Boden unter den Füßen weg.
Übrigens kann auch der Partner, der die Affäre hatte, mit psychischen Folgen zu kämpfen haben, etwa mit starken Schuld- oder Schamgefühlen.
„Für manche Menschen ist tatsächlich ein einmaliger „Ausrutscher“ nicht so bedeutend wie beispielsweise eine vermeintliche „alte Freundin“, mit der man schon immer Wandern gegangen ist.“
Dipl.-Psych. Rüdiger Wacker
Paartherapeut
Kann man Fremdgehen verhindern?
Wenn man verhindern will, fremdzugehen, ist dies tatsächlich schon ein bedeutender Aspekt. Denn dann nimmt man die Beziehungsgrenze ernst und arbeitet aktiv daran, sie zu schützen. Weiterhin sollte man wissen: Innere emotionale oder erotische Impulse sind nicht unser Schicksal. Sondern es kommt darauf an, wie wir uns entscheiden, darauf zu reagieren. Außerdem empfehle ich, frühzeitig, regelmäßig und offen über Bedürfnisse und Probleme zu sprechen, die einen in der Partnerschaft beschäftigen. Und sich frühzeitig Unterstützung zu holen, wenn das noch nicht gut genug gelingt.
Wie sollte man einen Seitensprung kommunizieren?
Da gibt es kein Patentrezept, das kommt sehr auf die Partner und das Ausmaß an. Hilfreich ist es, dies so frühzeitig wie möglich zu tun. Und die andere Beziehung sollte möglichst beendet sein. Ganz wichtig: Keine Unwahrheiten! Es ist verständlich, dass Sie dem anderen nicht zu viele schlimme Informationen auf einmal geben wollen. Dann sagen Sie lieber, dass Sie momentan nicht mehr dazu sagen möchten.
Lügen an dieser Stelle sind besonders destruktiv. Wie detailliert Dinge geschildert werden, sollte von beiden Partnern aber sehr vorsichtig abgewogen werden. Zu wenig Details können den Aufbau von neuem Vertrauen blockieren, zu viele Details können aber belastende Bilder in einem entstehen lassen, die man nur sehr schwer wieder loswird.
Was sollte ein Paar nach dem Seitensprung tun?
Auch da kommt es sehr auf das Ausmaß an. Es ist durchaus möglich, dass beide Partner daraus gelernt haben und zügig wieder zum Alltag zurückkehren. Häufig entsteht aber eine Krise in der Partnerschaft. Das konstruktive Sprechen darüber ist dann oft kaum möglich und daher sollte man sich zeitnah psychologische Unterstützung holen.
Suchen Sie sich einen Berater, der nicht von Ihnen verlangt, vorher zu wissen, ob Sie zusammenbleiben wollen oder nicht. Genau das wollen viele ja gerade mit Unterstützung klären. Und dafür sollte es ein offener Prozess bleiben. Außerdem rate ich von vorschnellen Entscheidungen in dieser Krise ab.
Durch den Stress entsteht oft das Gefühl, man müsste jetzt schnell etwas entscheiden. Manche Paare profitieren von einer räumlichen Trennung, um etwas Ruhe in die Situation zu bringen.
Am Puls von Liebenden: Informationen und Tipps der AOK
Zwischenmenschliche Beziehungen sind nicht immer einfach. Dabei treffen unterschiedliche Meinungen und Gefühle aufeinander. Nun heißt es, die eigenen Emotionen und die des Partners wahrzunehmen. Keine einfache Aufgabe.
Das AOK Gesundheitsmagazin beschäftigt sich regelmäßig mit dem wichtigen Thema Beziehung. Hier werden Bindungsängste, Selbstliebe, Freundschaften und Co. in den Mittelpunkt gerückt. Neben Paartherapeuten kann auch eine ambulante Psychotherapie unter gewissen Umständen den Knoten auflösen. Nämlich dann, wenn mitunter psychologische Probleme dafür sorgen, dass eine Beziehung nur schwer aufrechterhalten werden kann.