Liebe & Sexualität
Erfahrungsbericht: So war mein Outing
Veröffentlicht am:03.03.2022
8 Minuten Lesedauer
Das Coming-out kann für lesbische, schwule, pan- oder bisexuelle Menschen wichtig sein. Sie sind sich über ihre eigene sexuelle Orientierung bewusst und möchten dazu auch öffentlich stehen. Doch wie läuft ein Outing ab und wie fühlt es sich für Betroffene an?
Elena und Christophe sind homosexuell – das wissen die Menschen in ihrem Umfeld, denn die beiden outeten sich bereits im Alter von 14 und 16 Jahren. Heute sind sie 28 und 26 Jahre alt und lassen uns mit einem Erfahrungsbericht an ihren Outing-Erlebnissen teilhaben. Außerdem verraten sie Tipps für alle, die sich outen möchten.*
Wann und wie habt ihr gemerkt, dass ihr homosexuell seid?
Christophe: Die Leute um mich herum wussten das schon viel eher als ich. So richtig gestand ich mir meine Homosexualität mit etwa 14 Jahren ein. Allerdings nahm ich meine sexuelle Orientierung damals nur ungern an, weil diese Art zu leben, also homosexuell zu sein, negativ besetzt war und teilweise noch immer ist. Bei mir gab es aber keinen Moment, so nach dem Motto: Okay, ich bin schwul! Es war eher ein Ausschlussverfahren. Die meisten Jungs um mich herum standen auf Mädchen und bei mir war das eben nicht so. Womit identifiziere ich mich? Wo sehe ich mich? Wofür interessiere ich mich? Diese Fragen führten dazu, dass ich mich mit meiner Sexualität auseinandersetzte.
Elena: Bei mir war es tatsächlich etwas anders als bei Christophe. Ich empfand meine Homosexualität nicht als negativ behaftet. Für mich war es wie ein natürlicher Prozess, bei dem ich Frauen mehr nachschaute und Männer für mich einfach uninteressant waren. Einen Mann als Partner an meiner Seite – das konnte ich mir nie vorstellen. Dass ich auf Frauen stehe, merkte ich bereits in der Pubertät, trotzdem hatte ich kleine „Jungs-Verliebtheiten“ während meiner Schulzeit. Die führe ich aber darauf zurück, dass meine Altersgenossinnen mir das vorlebten.
Heute frage ich mich manchmal, ob ich nicht bereits in der Grundschule bewusst lesbisch war. Die Freundin meiner Freundin fand ich beispielsweise damals ganz toll und wollte unbedingt mit ihr befreundet sein.
Warum hattet ihr den Wunsch, euch zu outen?
Elena: Ich wollte mich nicht mehr verstecken, das war aber nur ein Punkt. Außerdem ist es mir wichtig, dass mich Menschen in meinem Umfeld nicht falsch labeln beziehungsweise betiteln. Ich möchte also nicht, dass mich Menschen als heterosexuell einordnen, weil ich das schlichtweg nicht bin. Mit meinem Outing stand ich zu mir und gab Personen in meinem Umfeld die Möglichkeit, mich mit all meinen Facetten zu akzeptieren.
Christophe: Ich outete mich, um mich voll ausleben zu können. Trotzdem glaube ich, dass ein Outing eigentlich unnötig ist beziehungsweise sein sollte. Das Thema Outing ist doch für uns nur so wichtig, weil in den Köpfen der Gesellschaft Mann und Frau zusammengehören. Der Outing-Schritt bedeutete für mich aber auch, dass ich aufatmen konnte – ich musste mich nicht mehr verstecken und schloss Frieden mit meiner sexuellen Orientierung. Je öfter ich aussprach, dass ich homosexuell bin, desto mehr akzeptierte ich es selbst.
„Je öfter ich aussprach, dass ich homosexuell bin, desto mehr akzeptierte ich es selbst.“
Christophe Enders
outete sich mit 14 Jahren
Inwieweit haben Vorbilder euren Outingwunsch bestärkt?
Elena: Zu der Zeit, in der ich mich intensiv mit meiner sexuellen Orientierung auseinandersetzte, gab es gefühlt keine Vorbilder. Die sozialen Netzwerke spielten damals noch keine große Rolle – Film und Fernsehen thematisierten die Homosexualität nur ganz selten. Heute ist das anders: In sozialen Medien, bei Streaminganbietern oder in der Werbung taucht das Thema auf. Ich finde das unheimlich wichtig und fühle mich dabei immer sehr gerührt – auch wenn es nur eine einfache Weihnachtskomödie im Fernsehen ist, die ein homosexuelles Paar zeigt.
Christophe: Da stimme ich Elena zu. Auch ich finde es toll, dass die Film- oder Werbeindustrie die Homosexualität mittlerweile als „normal“ und nicht mehr als „Fehler“ oder im Zusammenhang mit einem großen Drama darstellt. Mit Vorbildern kam auch ich in meiner Jugend nicht in Berührung. Ich wuchs in einem kleinen Dorf auf – hier gab es keine lesbischen oder schwulen Paare in der Nachbarschaft. Dabei wäre ein Vorbild, mit dem ich mich ein Stück weit identifizieren kann, sehr hilfreich gewesen.
Wie lief das Outing bei euch ab?
Elena: Bei meinen Freunden outete ich mich nie, also zumindest nicht im klassischen Sinne, indem ich mich hinstellte und sagte: „Ich bin lesbisch.“ Das tat ich nur einmal, und zwar damals mit 16 Jahren bei meinem Vater. Ich machte mir aber vorher keine Gedanken – vielmehr war es eine Kurzschlussreaktion. Damals stand ich im Bad und stylte mich, mein Vater kam dann herein und fragte mich, wann ich endlich einen Mann nach Hause bringen würde. Ich atmete kurz durch und sagte: „Ich habe schon eine Freundin – Papa, ich bin lesbisch.“ Dann war es kurz ruhig, mein Vater reagierte aber sehr positiv und berichtete meiner Mutter am selben Tag von meiner sexuellen Orientierung. Meine Mutter brauchte etwa ein bis zwei Jahre, bis sie meine Homosexualität akzeptierte, trotzdem haben wir einen guten Kontakt.
Im Grunde oute ich mich aber auch heute noch, zum Beispiel, wenn ich neuen Kollegen von meiner Freundin erzähle. Zwar könnte ich es so formulieren, dass nicht offensichtlich ist, dass ich in einer lesbischen Beziehung lebe, aber ich möchte das lieber direkt klarstellen.
Ich finde das total unangenehm, wenn Menschen ganz selbstverständlich annehmen, dass ich einen Freund habe und ich muss dann nach zwei Jahren erklären: Ich war mit meiner Freundin im Urlaub und nicht mit meinem Freund.
„Meine Mutter brauchte etwa ein bis zwei Jahre, bis sie meine Homosexualität akzeptiere, trotzdem haben wir einen guten Kontakt.“
Elena Pohl
outete sich mit 16 Jahren
Christophe: Ich outete mich damals bei einer Bekannten aus der Nachbarschaft. Bei ihr war ich mir ziemlich sicher, dass sie mich mit meiner Homosexualität annimmt. Schließlich hatte sie bereits lesbische Freundinnen. Bei meinen Eltern outete ich mich übrigens erst vor zwei Jahren. Ich hatte große Angst, dass sie meine Homosexualität nicht akzeptieren würden. Ich glaube, zu dieser Angst trug ein ganz besonderes Schlüsselereignis bei: Damals schauten wir gemeinsam eine Serie, in der ein homosexuelles Paar vorkam. Daraufhin wurde der Fernsehsender gewechselt – das schockierte mich und führte dazu, dass ich meine Homosexualität lange vor meinen Eltern versteckte. Sie reagierten aber gut auf mein Outing – meine Ängste waren dahingehend glücklicherweise unbegründet.
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Wie habt ihr euch beim Outing gefühlt?
Christophe: Mein erstes Outing war mit Angst verbunden. Ich hatte Angst davor, wie die andere Person auf meine „Offenbarung“ reagiert. Nachdem die Karten auf dem Tisch lagen, fühlte ich mich erleichtert.
Elena: Ich war bei meinem ersten Outing nervös und hatte etwas Sorge vor der Reaktion meines Gegenübers. . Wenn ich zurückdenke, bringe ich auch ein Gefühl von Erleichterung mit der Situation in Verbindung. Außerdem fühlte ich mich stolz – ich war stolz darauf, diesen für mich wichtigen Schritt gemacht zu haben.
Wie haben Freunde und Familie reagiert?
Elena: Meine Familie war überrascht und ich glaube, meine Mutter fühlte sich mit der Situation überfordert. Auch viele meiner Freunde zeigten sich überrascht, wenn ich ihnen von meiner Homosexualität erzählte. Das liegt vielleicht daran, dass ich eine sehr feminine Lesbe bin, eine sogenannte „Lipstick Lesbian“. Bis auf eine befreundete Familie, die das zwar im Grunde akzeptierte, aber es lieber nicht thematisieren wollte, nahmen aber alle meine Homosexualität gut an.
Christophe: Ich habe meine weibliche Seite immer ausgelebt – schon als Kind besuchte ich die Tanzschule. Vielleicht auch deshalb zeigte sich in meinem Umfeld keiner wirklich überrascht bei meinem Outing. Meine Freunde reagierten alle durchweg positiv– niemand schloss mich aus oder zog mich auf. Außerhalb meines Freundeskreises gab es aber schon Leute, die mir blöde Kommentare entgegengebracht haben.
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Habt ihr es jemals bereut, euch zu outen?
Christophe: Mein Outing war ein Schritt zu mir selbst, zu dem, was ich bin. Daher bereue ich das Outing nicht. Mir ist es aber wichtig, zu sagen, dass sich niemand offiziell outen muss. Das ist ein sehr individueller Schritt – für mich war er richtig, für den nächsten vielleicht nicht.
Elena: Genau wie Christophe bereue auch ich es nicht, dass ich anderen von meiner Homosexualität erzählte. Dazu trugen mit Sicherheit auch die positiven Reaktionen aus meinem Umfeld bei.
Was hat sich nach dem Outing für euch verändert?
Elena: Unmittelbar nach dem Outing war die Stimmung zwischen mir und meinen Eltern etwas angespannt. Ich wartete darauf, ob irgendwelche Sprüche oder unerwünschte Kommentare kommen – aber das war nie der Fall. Bei meinen Freunden veränderte sich nach dem Outing rein gar nichts.
Christophe: Ich spürte nach meinem Outing, dass Gespräche ein Stück weit ehrlicher wurden. Ich teilte meine Gedanken ganz offen mit. Schließlich musste ich nicht mehr befürchten, dass ich irgendetwas sage, das mich ungewollt outet. Ich öffnete mich meinen Freunden, Bekannten und der Familie nun mehr – das fühlte sich gut an.
Christophe: Einen allgemeinen Rat kann ich nicht geben, dazu ist das Thema Outing einfach zu individuell. Wenn ich mir heute selbst einen Rat geben könnte, dann wäre er: Such dir für dein Outing eine Person, die einfühlsam und offen ist und dich auffangen kann.
Vielleicht ist auch eine Begleitperson eine wichtige Stütze bei einem Outinggespräch, wenn Homosexuelle Angst vor den Reaktionen haben. Auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Niemand muss sich outen, wenn er es nicht will oder Ängste hegt! Ich lege Personen, die sich outen möchten, bei Unsicherheiten eine Beratungsstelle ans Herz. VLSP – der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, Trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie hat eine Liste mit Beratungsstellen veröffentlicht.
Elena: Ich rate Menschen mit einem Outingwunsch dazu, sich ein Sicherheitsnetz aufzubauen. Uns zunächst bei Personen zu outen, bei denen wir uns sicher fühlen, kann uns Mut und Zuversicht für weitere, schwierigere Outings verschaffen. So nach dem Motto: Erst die kleinen Brocken, dann die großen! Allerdings muss sich niemand unbedingt outen, manche Menschen haben auch gar nicht das Bedürfnis dazu. Letztendlich bleibt es eine individuelle Entscheidung und ist außerdem eine Frage der Sicherheit - falls jemand um seine Gesundheit oder sein Wohlbefinden fürchtet, sollte er sich, aus meiner Sicht, zumindest vorerst nicht outen.