Liebe & Sexualität
Hast du schon mal …? Jugendliche, Sex und Aufklärung
Veröffentlicht am:17.12.2024
6 Minuten Lesedauer
Kinder und Jugendliche hatten nie zuvor so früh Zugang zu sexuellen Inhalten. Wo informieren sie sich? Wie können Eltern bei der Sexualaufklärung unterstützen? Ein Gespräch mit der Sexualwissenschaftlerin Dr. Sabine Wienholz.
Dr. Sabine Wienholz ist Sozial- und Sexualwissenschaftlerin an der Hochschule Merseburg und Vorsitzende der Gesellschaft für Sexualwissenschaft. Sie forscht zu Jugendsexualität und sexueller Bildung.
Im Internet können Jugendliche heute nahezu alles zum Thema Sex erfahren. Wie aufgeklärt sind sie wirklich?
Acht von zehn Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren halten sich für sexuell aufgeklärt. Das ergab die Jugendsexualitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2020. Sie ergab aber auch, dass durchaus Fragen offenbleiben, zu denen sie gern mehr wissen würden, etwa zu sexuellen Praktiken, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft.
Wo finden Jugendliche Antworten auf ihre Fragen zu Sexualität?
Eine wichtige Rolle spielt die Schule: 69 Prozent der Jugendlichen sagen, dass ihr Wissen über Körper, Verhütung und Sexualität vorrangig aus dem Unterricht stammt. Schulische Projekte mit externen Fachleuten sind mittlerweile gut etabliert. Dabei kommen sexualpädagogische Fachkräfte in die Klassen und informieren in geschlechtergemischten oder -spezifischen Gruppen zu verschiedenen Themen. Für viele Kinder und Jugendliche sind sie wichtig, weil sie dort mit Gleichaltrigen in einem geschützten Rahmen sprechen können. Und die Expertinnen und Experten beantworten ihre Fragen. Das Kernziel der sexuellen Bildung ist Selbstbestimmung: zu lernen, eigene Grenzen zu setzen und die Grenzen anderer zu wahren.
Schon gewusst?
„Das erste Mal“ ist ein wichtiges Thema für Jugendliche. Doch woher nehmen sie ihr Wissen über Sexualität und Verhütung? Hauptquellen der Sexualaufklärung sind für
- 69 Prozent der Jugendlichen der Unterricht in der Schule,
- für 68 Prozent persönliche Gespräche
- und für 59 Prozent das Internet.
28 Prozent der Jugendlichen hatten zwischen 14 und 17 Jahren mindestens einmal Sex. Für die allermeisten ist Verhütung inzwischen selbstverständlich. Neun Prozent hatten ungeschützten Sex.
Welche Rolle spielen die Eltern bei der sexuellen Bildung?
Eine sehr wichtige, das beginnt schon im Kindergartenalter mit Fragen rund um die körperliche Entwicklung. Kinder interessieren sich nun mal für ihren Körper. Wichtig ist, dass Eltern auf diese Fragen eingehen. Es gibt dafür kein Pauschalrezept. Entscheidend ist nicht, bis ins kleinste Detail antworten zu können. Dem Kind ist wichtig, dass es gehört und ernst genommen wird.
„Es gibt nicht dieses eine große Gespräch über Sexualität und Aufklärung, und das war’s dann. Eltern führen immer wieder Gespräche, jeweils angepasst an die Fragen und das Alter der Kinder.“
Dr. Sabine Wienholz
Sozialtherapeutin
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Kinder aufzuklären?
Es gibt nicht dieses eine große Aufklärungsgespräch, und das war’s. Stattdessen führen wir als Eltern immer wieder Gespräche, angepasst an die Fragen und das Alter der Kinder. Wer nicht weiß, wie er die richtigen Worte findet, kann ein Buch zu Hilfe nehmen. Es gibt viele gute Bücher von Sexualpädagoginnen und -pädagogen, darüber können tolle Gespräche entstehen. Auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Beratungsstellen wie pro familia findet man Literaturtipps. Aber die Theorie ist immer nur ein Teil unserer „Lovemap“.
Was ist damit gemeint?
Wörtlich übersetzt: unsere Liebeslandkarte. Es ist nicht so, dass Sexualität mit einem Mal entsteht. Sie begleitet uns das ganze Leben und verändert sich mit unseren Erfahrungen, Werten und unserem Wissen. Ein Großteil des sexuellen Erlebens ist dadurch geprägt, wie in der Kindheit mit dem Bedürfnis nach Nähe umgegangen wurde. Es ist wichtig, diese kindlichen Bedürfnisse zu erfüllen.
Fünf Tipps für Gespräche über Sexualität
Viele Eltern wollen offen mit ihren Kindern über Sex reden. Doch manchmal tun sie sich schwer damit, die Fragen der Kinder zu beantworten oder den richtigen Zeitpunkt zu finden. Die Sozialtherapeutin Dr. Sabine Wienholz hat fünf Tipps für Eltern.
Hinhören: Kinder stellen Fragen oft nebenbei. Hören Sie genau zu.
Zeit nehmen: Wenn die Situation mal nicht passt, sagen Sie dem Kind, dass Sie später seine Fragen beantworten – nicht vergessen.
Klare Worte: Kinder brauchen keinen langen Vortrag. Eine klare, kurze Antwort reicht.
Beim Namen nennen: Nennen Sie Geschlechtsteile beim Namen. Das sorgt für Normalität und vermittelt so nicht das Gefühl, dass man sich dafür schämen müsste.
Ernstnehmen: Gehen Sie auf die Gedanken Ihres Kindes ein. „Dafür bist du zu klein“ schafft kein Vertrauen.
Wie können Eltern ihre Kinder noch unterstützen, um eine eigene Sexualität zu entwickeln?
Ihnen das Gefühl geben, dass Sexualität etwas Wunderbares ist. Kinder tragen die Lust an Berührung von Geburt an in sich. Sie machen früh lustvolle Erfahrungen, spielen an Genitalien, machen Körpererkundungsspiele. All das ist Teil der kindlichen Sexualität. Das dabei empfundene Wonnegefühl hat noch nichts mit der Lust zu tun, die sich auf andere Personen bezieht. Die entwickelt sich erst in der Pubertät.
„Jugendliche konsumieren im Internet eher Inhalte, die zu ihren sexuellen Bedürfnissen passen. Sie können durchaus zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.“
Dr. Sabine Wienholz
Sozialtherapeutin
Also dann, wenn es „peinlich“ wird, mit seinen Eltern über Sexualität zu sprechen
Ab einem gewissen Alter sind Eltern nicht mehr die Hauptinformationsquelle, das ist völlig normal. Fragen rund um die körperliche Entwicklung sind für viele Jugendliche dann vielleicht noch okay, aber spätestens, wenn es um Verliebtheit und sexuelle Empfindungen geht, fragen sie eher Gleichaltrige.
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Welche Bedeutung haben das Internet und soziale Medien für sexuelle Aufklärung?
Das Internet ist eine wichtige Informationsquelle zum Thema Sexualität geworden, auch das zeigt die Jugendsexualitätsstudie der BZgA. Mädchen nutzen vor allem Social Media und Beratungsseiten, für Jungen spielen auch Pornoseiten eine große Rolle. Die Herausforderung ist, dass das Internet ungefiltert Informationen bereitstellt. Jugendliche müssen lernen, diese einzuordnen und damit sensibel umzugehen.
Viele Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder Einflüssen ausgesetzt sind, die ihnen nicht guttun. Wie sehen Sie das?
Die Sorge ist berechtigt, und es ist nachvollziehbar, dass Eltern ihre Kinder vor sensiblen Inhalten schützen möchten. Laut Strafgesetz sind pornografische Inhalte für Personen unter 18 Jahren verboten. Dennoch beginnen viele Jugendliche irgendwann, bewusst danach zu suchen. Sie entwickeln Lust und Neugier, beides will ausgelebt werden, und das Internet stellt ein breites Angebot bereit. Ab einem gewissen Alter gehört für viele Jugendliche Pornografie zum Lebensalltag.
Wie gehen Eltern damit um?
Die Diskussion um Pornografienutzung wird häufig von der Idee bestimmt, Jugendliche würden Inhalte nachahmen oder unrealistische oder schädliche Verhaltensmuster übernehmen. Studien, zum Beispiel die Studie „Jugendsexualität im Internetzeitalter“ der BZgA von 2013, zeigen aber, dass Jugendliche durchaus zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. Es ist also sehr viel wahrscheinlicher, dass sie Inhalte konsumieren, die zu ihren eigenen sexuellen Wünschen und Bedürfnissen passen. Für viele Jugendliche ist Pornografie ein Aufklärungsmedium, das ihre Fragen zur Sexualität sehr konkret beantwortet. Hardcore-Pornos lehnen sie mit überwiegender Mehrheit ab, sie finden vor allem konventionellen Sex erregend. Sexuelle Orientierungen sind im Internet ein großes Thema.
Wann und wie ist Aufklärung dazu sinnvoll?
Kinder bekommen im Laufe ihrer Kindheit ganz von alleine mit, wie ihre Eltern zu dem Thema stehen, ob es Vorbehalte gibt oder Offenheit herrscht, auch ohne ein aufklärendes Gespräch. Im Idealfall vermitteln Eltern ihnen, wertgeschätzt zu sein – ganz unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Es ist wichtig, Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken, sie zu stützen und ihnen Rückhalt zu geben.
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