Medikamentensucht: Vor allem ältere Menschen sind gefährdet
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, krank zu werden, und mit den Erkrankungen steigt auch die Zahl der eingenommenen Medikamente. Einige Medikamente haben jedoch ein hohes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial: Vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel können bei längerer Einnahme zu einer Abhängigkeit führen, aber auch Schmerz- oder Abführmittel sollten nur in der angegebenen Dosis und nicht länger als nötig eingenommen werden.
Abhängigkeit von Schmerz- und Beruhigungsmitteln
Zwei von drei Arzneimittelverordnungen werden in Deutschland an Menschen ab 60 Jahren ausgegeben. Im Schnitt wird in Deutschland ein älterer Mensch von vier Ärztinnen beziehungsweise Ärzten behandelt. „Bei Älteren besteht häufiger, als man denkt, eine Abhängigkeit von Schlaf- und Beruhigungsmitteln, aber auch rezeptfreie Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac können missbräuchlich eingenommen werden“, sagt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. Missbräuchliche Nutzung bedeutet, dass ein Medikament höher dosiert oder länger eingenommen wird als verordnet oder es bei Symptomen genutzt wird, für die es eigentlich nicht bestimmt ist. Anlass für den Konsum von Schlaf- und Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepinen sind meist Schlafstörungen, Angstzustände oder Vereinsamung. Psychopharmaka werden bei älteren Menschen jedoch langsamer abgebaut, da Nieren und Leber im Alter eingeschränkter funktionieren und der Wirkspiegel im Blut höher bleibt. So kann es auch bei einer niedrigen Dosis zur Abhängigkeit kommen, wenn das Medikament über einen längeren Zeitraum eingenommen wird. Nebenwirkungen einer langfristigen Behandlung mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln ähneln häufig den gängigen Alterserscheinungen wie Vergesslichkeit und Müdigkeit. Dadurch werden einige Beschwerden nicht so schnell als Medikamentennebenwirkungen erkannt. Es kann auch zu Schwindelgefühlen kommen, Teilnahmslosigkeit, zu Stürzen oder zu Sehstörungen oder Koordinationsstörungen. Der Körper beginnt beispielsweise schon nach zwei Wochen, sich an ein Beruhigungsmittel vom Benzodiazepin-Typ zu gewöhnen, zu einer Abhängigkeit kann es bereits nach drei- bis vierwöchiger Einnahme kommen.
Problematischer Medikamentenkonsum weit verbreitet
Der Übergang von einer missbräuchlichen Einnahme hin zu einer Medikamentenabhängigkeit ist dabei oft schleichend. Bei einer Abhängigkeit gewöhnt sich der Körper an das Medikament. Dann wird für die gleiche Wirkung eine höhere Dosis nötig. Das nennt man eine Toleranzentwicklung. „Ein allgemeines Kennzeichen der Abhängigkeit ist, dass Körper oder Psyche mit Entzugszeichen auf eine Reduktion oder das Absetzen reagieren. Im Fall von Schlaf- und Beruhigungsmitteln können zum Beispiel Entzugssymptome wie Nervosität, Zittern, Schlafstörungen oder Ängste auftreten“, so Ärztin Maroß. Betroffene fühlen den starken Wunsch,das entsprechende Medikament konsumieren zu wollen. Sie verlieren die Kontrolle über Menge und Dauer der Einnahme oder benötigen irgendwann höhere Dosen, um eine Wirkung zu spüren.
O-Töne von Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband
Worauf Angehörige achten sollten
Typisch für noch sehr mobile und selbstständige Seniorinnen und Senioren mit bereits eingetretener Abhängigkeit ist, dass sie die Medikamenteneinnahme verheimlichen, die Arzneien horten und mehr einnehmen als verordnet. Angehörige sollten deshalb genau hinschauen – besonders bei neuen Medikamenten. Auffälligkeiten sollten sie dokumentieren, offen mit dem Betroffenen sprechen und gemeinsam mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin nach Lösungen suchen.
4-K-Regel zur Vorbeugung
Bei Medikamenten mit hohem Suchtpotenzial wie Schlaf- oder Beruhigungsmitteln empfehlen Medizinerinnen und Mediziner zur Vorbeugung die sogenannte 4-K-Regel, um es gar nicht erst zu einer Abhängigkeit kommen zu lassen:
- Klare Indikation: Das Medikament sollte nur eingenommen werden, wenn ein eindeutiger medizinischer Grund dafür vorliegt. „Besprechen Sie sich dazu mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin und informieren Sie sich über mögliche Risiken“, empfiehlt Medizinerin Maroß.
- Korrekte Dosis: Das bedeutet, dass das Arzneimittel so dosiert wird wie verschrieben und nicht höher.
- Kurze Anwendung: Das Medikament wird nicht länger eingenommen als nötig.
- Kein abruptes Absetzen: Medikamente sollten nicht eigenmächtig abgesetzt werden, sondern nur nach ärztlicher Rücksprache.
Beratungsstellen können helfen
Eine Medikamentenabhängigkeit wird in der Regel zunächst mit einem Entzug behandelt, der ambulant, aber häufig auch stationär erfolgt. Je nach individueller Konstellation wird dann über weitere, sich anschließende Behandlungswege entschieden. Hilfe können sich Betroffene und Angehörige auch bei Suchtberatungsstellen holen. Eine Übersicht gibt es bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).