Midlifecrisis - Sinnsuche in der Mitte des Lebens
Midlifecrisis - gibt es die überhaupt? Und ist die nicht nur Männern vorbehalten? Wie ernst man eine solche Lebenskrise nehmen muss - und was dagegen hilft.
Erste Zipperlein machen sich bemerkbar, der Partner oder die Partnerin nervt, eingefahrene Gewohnheiten lähmen, die Haare werden grau, die Kinder ziehen aus dem Haus: Zeit für die Midlife-Crisis! Gibt es die überhaupt? Und ist die nicht nur Männern vorbehalten? Wie ernst muss man eine solche Lebenskrise nehmen und wie kommt man wieder raus? Antworten gibt Dr. Sylvia Böhme, Psychologin bei der AOK.
Eine 50-jährige Managerin verlässt ihren Mann. Ein 46-jähriger Zahnarzt eröffnet ein Café. Keine Frage: Die mittleren Lebensjahre bringen häufig Veränderung und bergen manchmal Sprengstoff - die sogenannte Midlife-Crisis scheint mehr als ein Mythos zu sein. "In der Lebensmitte - etwa zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr - fühlen sich viele Menschen zunehmend unzufrieden", sagt Psychologin Böhme. "Interessanterweise findet sich dieses Phänomen über alle Geschlechter, Kulturen und sozialen Hintergründe hinweg." Eine anerkannte Krankheit ist die Midlife-Crisis nicht. Die wahrgenommene mentale Belastung kann aber in eine psychische Erkrankung, beispielsweise eine Depression, münden. Daher sollten Betroffene ernst genommen werden.
Radio O-Töne von Dr. Sylvia Böhme, Psychologin bei der AOK
Glück in U-Form
Eine Studie aus dem Jahr 2008, in der die Forscher David Blanchflower und Andrew Oswald die Daten von mehr als 500.000 Personen aus 72 Ländern ausgewertet haben, zeigte, dass unser persönliches Wohlbefinden im Laufe des Lebens in Form einer U-Kurve verläuft: Die Zufriedenheit als junger Mensch sinkt zur Lebensmitte hin auf einen Tiefpunkt, um dann im höheren Alter wieder anzusteigen. "Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Menschen zwangsläufig in eine Midlife-Crisis rutschen, wenn sie ein gewisses Alter erreichen", betont AOK-Expertin Dr. Böhme. "Auch die Altersspanne ist nicht genau festgelegt."
Konfrontation mit der Endlichkeit
Doch was macht Menschen in der Lebensmitte so anfällig für eine Krise? Schließlich stehen die meisten in dieser Phase mitten im Leben, haben sich einen Beruf, eine Familie oder einen festen Freundeskreis aufgebaut und können von ihren Erfahrungen profitieren. "In dieser Lebensphase ändert sich unsere gesellschaftliche Rolle und wir sind vielleicht zum ersten Mal mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert, das kann tiefe Verunsicherung bis hin zu einem Ohnmachtsgefühl auslösen", erklärt Psychologin Böhme. Die Eltern brauchen mehr Unterstützung, die Kinder werden selbstständiger. Der eigene Körper zeigt Spuren des Alterns. Die Geschlechtshormone fallen ab: das Testosteron bei den Männern schleichend, das Östrogen bei den Frauen abrupt. Frauen wie auch Männer fühlen sich oft nicht mehr so leistungsfähig. Sie leiden eventuell unter Schlafstörungen und Motivationsproblemen. In der Folge treten psychische Erkrankungen wie Depressionen und Suchterkrankungen im mittleren Alter noch einmal verstärkt auf, und auch die Suizidalität steigt, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.
So kann ein Aufbruch gelingen
Wie kann aus dem Einbruch ein Aufbruch werden? Die kurze Antwort: indem wir über die Krise reden und uns bewusst machen, was guttut und was eher belastet. Das tun Frauen mehr als Männer. Frauen sprechen nicht nur in ihrer Partnerschaft, sondern auch mit Freunden oder Verwandten über ihre Gefühle und Probleme. Sie suchen sich eher Unterstützung. "Das Selbstbild und das gesellschaftliche Rollenbild lassen es leider immer noch weniger zu, sich als Mann mit dem eigenen Gefühlsleben auseinanderzusetzen und sich mit anderen auszutauschen", sagt Böhme. So kann es sein, dass Männer die Krise stärker erwischt und sie möglicherweise auch umfassendere Konsequenzen ziehen: Sie schmeißen womöglich ihren hochdotierten Job oder trennen sich von der langjährigen Partnerin.
Doch für Männer wie für Frauen geht es darum, das Gefühl von Sinnhaftigkeit (wieder) zu erlangen. Ob das durch eine langersehnte Reise erreicht wird oder durch neue Aufgaben im Beruf, mehr Zeit mit Freunden, einen Sprachkurs oder einfach durch einen anderen Weg zur Arbeit, sollten die Betroffenen in einer bewussten Auseinandersetzung mit sich selbst klären. Auch kleine Veränderungen können neue Perspektiven aufleuchten lassen. "Es kommt darauf an, sich lähmender Routinen und Rituale bewusst zu werden, diese aufzubrechen und wieder mehr das zu tun, was uns zufrieden macht", sagt die AOK-Expertin.
Es gilt, sich grundsätzliche Fragen zu stellen: Was möchte ich in meinem Leben erreichen, welche Erfahrungen machen? Worauf möchte ich am Ende meines Lebens zurückblicken können? Lebe ich in Übereinstimmung mit meinen Werten? Auch folgende Frage wird mit zunehmendem Alter wesentlich: Was möchte ich von meiner Erfahrung, von meinem Wissen weitergeben? Ein Coaching kann dabei helfen, Veränderungen angstfreier anzugehen. "Letztlich geht es gerade in der Lebensmitte darum, mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, so fühlen wir uns weniger getrieben und fremdgesteuert", so Psychologin Böhme.
Aus dem Vollen schöpfen
- Neugier: offen für Neues sein, immer mal wieder Neues ausprobieren
- Lernen: sich einem lebenslangen Lernen verschreiben
- Menschen: möglichst viele soziale Kontakte pflegen, andere Einflüsse zulassen
- Bewegung: körperliche Aktivitäten in den Alltag einbauen
- Achtsamkeit: bewusst auch den kleinen Freuden Aufmerksamkeit schenken
- Ernte: sich immer wieder auf das besinnen, was man bereits geschafft hat, welche Kompetenzen man entwickelt hat