Multiple Sklerose: Schüben vorbeugen und den Verlauf bremsen

Sehstörungen, extreme Müdigkeit, Muskelschwäche oder Lähmungen, Sprechstörungen, Schwindel oder Blasenschwäche: Kaum eine Erkrankung geht mit so vielfältigen Symptomen einher wie Multiple Sklerose (MS). Wann welche Beschwerden auftreten, ob sie bleiben oder gehen, ob und wann neue hinzutreten, kann niemand vorhersehen. „Diese Unberechenbarkeit ist für die Betroffenen besonders belastend“, sagt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband.

Foto: Die Illustration eines Gehirns schwebt zwischen zwei Händen, eines Arztes.

Erste Symptome meist zwischen 20. und 40. Lebensjahr

Multiple Sklerose (MS) ist mit mehr als 250.000 Betroffenen in Deutschland die häufigste chronische entzündliche, nicht ansteckende Erkrankung des zentralen Nervensystems bei jungen Menschen. Die ersten MS-Symptome treten meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. „Eine MS ist zwar bisher nicht heilbar, doch die Krankheit verläuft sehr unterschiedlich“, weiß Medizinerin Maroß. Die Therapiemöglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. 

Autoimmunkrankheit

MS gehört zu den Autoimmunkrankheiten: Das Abwehrsystem richtet sich gegen körpereigenes Gewebe. In diesem Fall zerstört das Immunsystem die Schutzschicht, die die Nervenfasern umgibt. Ist diese Schutzschicht, die Myelinscheide, beschädigt, können Signale nicht mehr so effektiv zwischen den Nervenzellen übertragen werden. So ist jedes neurologische Symptom möglich, abhängig davon, welche Stellen im Gehirn oder Rückenmark befallen sind.

O-Töne von Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband

Krankheitsverläufe

Bei den meisten Erkrankten verläuft MS in Schüben, zwischen denen sich die Symptome anfangs gut, im späteren Verlauf weniger gut zurückbilden. Die Schübe treten völlig unregelmäßig auf, die einen erleben sie häufig, die anderen haben Jahre oder gar ein Jahrzehnt Ruhe. An der schubförmigen MS erkranken Frauen zwei- bis dreimal häufiger als Männer.

Bei einem kleinen Teil (etwa 15 von 100 Betroffenen) verschlimmert sich die Krankheit kontinuierlich, ohne dass es zwischendurch Schübe oder Zeiten der Erholung gibt. Diese Verlaufsform wird auch primär progredient (von Anfang an fortschreitend) genannt. Wichtig zu wissen: Multiple Sklerose muss nicht zwangsläufig zu schwerer Behinderung führen. Etwa ein Drittel der Betroffenen haben einen günstigen Verlauf ohne größere Beeinträchtigungen. Ein weiteres Drittel leidet unter neurologischen Defiziten, die Patientinnen und Patienten können aber selbstständig zu Hause leben, eine Familie gründen und noch lange Zeit einem Beruf nachgehen. Für ein Drittel der Erkrankten bringt die MS so starke Behinderungen mit sich, dass sie ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen oder pflegebedürftig werden.

Ursachen und Risikofaktoren

Wie es zu dieser Fehlsteuerung des Immunsystems kommt, ist nicht genau geklärt. Sowohl genetische Komponenten als auch äußere Faktoren wie Viren oder das Rauchen spielen wahrscheinlich eine Rolle.  Forschende vermuten zudem einen Zusammenhang mit Vitamin D, das über die Sonneneinstrahlung auf der Haut gebildet wird. Denn in Ländern des nördlichen Breitengrades kommt MS häufiger vor.

Diagnose und Therapiemöglichkeiten

Nachdem die Neurologin oder der Neurologe eine sichere Diagnose gestellt hat – unter anderem durch eine Magnetresonanztomografie und eine Untersuchung des Nervenwassers – sollten die Behandlungsoptionen anhand der individuellen Situation mit der Patientin oder dem Patienten erörtert werden. Dazu gehört auch das Besprechen realistischer Therapieziele, wie die Reduktion der Schübe und des Fortschreitens der Krankheit sowie der Erhalt der Lebensqualität. Ein Ziel kann auch sein, die in Zusatzmethoden messbare Krankheitsaktivität zu reduzieren.

Bei medizinischen Entscheidungen sollte – wie immer in der Medizin – der erwartete Nutzen einer speziellen Behandlung mit den Risiken, also Verträglichkeit, Nebenwirkungen und kurz- und langfristige Sicherheit, abgewogen werden.

 „Besprechen Sie ausführlich und in Ruhe mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, welche Behandlungsstrategie in Ihrem Fall infrage kommt“, so Dr. Maroß weiter. Dabei beruht die Therapie grundsätzlich auf drei Säulen:

  1. Im akuten Schub bekommen die meisten Erkrankten hochdosiert Kortison, was die Entzündung eindämmen soll. In einigen besonders schweren Fällen wird in Zentren eine intensivere Eindämmung des Immunsystems durchgeführt (Apherese).
  2. Um Schüben vorzubeugen, erfolgt häufig eine Basistherapie mit Medikamenten, die die Aktivität des Immunsystems beeinflussen. Beispielsweise sind das Beta-Interferone oder Glatirameracetat – diese Medikamente können helfen, die Zahl der Schübe zu verringern. Es stehen aber mittlerweile auch eine ganze Reihe weiterer Medikamente zur Verfügung, auch für schwerere Verläufe.
  3. Belastende Symptome wie Schmerzen, erhöhter Muskeltonus (Spastik), Blasenfunktionsstörung, Sprech- und Schluckstörungen, ausgeprägte Ermüdbarkeit (Fatigue-Syndrom) oder Depressionen können mit Medikamenten oder anderen Maßnahmen behandelt werden.

Lebensqualität erhalten

Dr. Maroß rät Betroffenen: „Reden Sie mit dem Arzt oder der Ärztin sowie Ihrem Umfeld offen über Ihre Beschwerden, damit die anderen die Chance haben, zu verstehen und zu helfen.“  Wichtig ist, dass MS-Erkrankte ihre Lebensqualität erhalten:

  • So kann regelmäßige, an die Leistungsfähigkeit angepasste sportliche Betätigung positive Effekte beim Fatigue-Syndrom bringen. Vor allem moderates Ausdauertraining – wenn möglich im Freien, ist empfehlenswert. Außerdem verbessert ein solches Training das Körpergefühl und hebt die Stimmung.
  • Sollten depressive Störungen auftreten, können diese behandelt werden.
  • Physiotherapie und Ergotherapie kann bei Einschränkungen von Bewegung, Feinmotorik und Koordination eingesetzt werden. Beckenbodengymnastik kann die Behandlung von Blasenfunktionsstörungen unterstützen.
  • Alternative Verfahren: Progressive Muskelentspannung kann dazu beitragen, Schmerzen und Schlafprobleme in den Griff zu kriegen. Feldenkrais, Tai-Chi, Qigong oder Yoga können als unterstützende Maßnahme bei Spastik, Fatigue und Störungen der Bewegungskoordination geeignet sein.
  • Eine Rehabilitation vereint ein ganzes Paket von Maßnahmen: Physio- und Ergotherapie, Bewegungstherapie, Logopädie (bei Sprech- und Schluckstörungen) sowie psychologische Therapien.
  • Außerdem kann es guttun, sich in einer Selbsthilfegruppe auszutauschen.