„Bis zur patientenrelevanten Versorgung ist der Weg weit und verlustreich“
Der bisher bis 2024 befristete Innovationsfonds zur Förderung der Versorgungsforschung und Entwicklung neuer Versorgungsformen wurde mit Inkrafttreten des Digitalgesetzes entfristet. AOK-Experte Gunter Sperzel warnt vor allzu viel Euphorie.
Mit dem jüngst in Kraft getretenen Digitalgesetz wurde der bisher befristete Innovationsfonds Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16. Juli 2015 gibt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) den… verstetigt. Das heißt konkret: Dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) stehen weiterhin jährlich 200 Millionen Euro zur Verfügung, um die Versorgungsforschung ist eine Weiterentwicklung der Gesundheitssystemforschung, die sich mit Versorgungsstrukturen,… und Entwicklung neuer Versorgungsformen zu fördern – finanziert aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Viele hoffen auf einen Durchbruch bei der Überführung in die Regelversorgung. AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Experte Gunter Sperzel warnt vor allzu viel Euphorie. Sperzel ist Referent der Abteilung Versorgungsmanagement im AOK-Bundesverband.
Auf einem Kongress am 9. April dieses Jahres hat GBA-Chef Professor Josef Hecken eine nicht durchweg negative Bilanz gezogen. Von den 65 beendeten Projekten zu neuen Versorgungsformen erhielten etwa 27 Prozent eine Empfehlung zur Überführung in die Regelversorgung. Kommt da was in Bewegung, Herr Sperzel?
Sperzel: Nun, zwischen einer Empfehlung zur Überführung und dem tatsächlichen patientenrelevanten Ankommen in der Versorgung ist es oft ein sehr weiter, verlustreicher Weg. In meinem Büro hing mal ein schöner Cartoon an der Wand mit dem Titel: „Innovationsfonds – irgendwas wird schon unten ankommen“. Darauf war ein Helikopter zu sehen, aus dem Geldscheine abgeworfen wurden. Ich glaube, dieses Bild trifft es ganz gut. Man kann sicherlich nicht sagen, dass der Innovationsfonds keinerlei Einfluss oder Effekte auf das Versorgungssystem hat. Aber angesichts der bislang ausgegebenen 1,7 Milliarden Euro darf man schon ernsthafte Zweifel an der Effizienz des Innovationsfonds haben. Bei solchen Beträgen sollte man nicht „mit der Lupe“ suchen müssen, ob etwas „unten“ in der Versorgung angekommen ist. Aus meiner Sicht sind die Streuverluste jedenfalls zu hoch.
Thomas Renner, im Bundesgesundheitsministerium zuständig für Digitalisierung und Innovation, sagte auf dem GBA-Kongress, es ginge jetzt vor allem darum, Teilerfolge der Projekte sichtbarer zu machen, die durchaus in der Versorgung ankämen. Ähnlich äußerte sich GBA-Chef Hecken. Ist da nicht was dran?
Sperzel: Das ist sicherlich richtig, aber bei vielen dieser Projekte stellt sich mir die Frage, ob die Themen nicht ohnehin soweit entwickelt waren, dass sie auch ohne Innovationsfonds gekommen wären. Man denke hier an die Gesundheitskioske. Die standen schon in der Koalitionsvereinbarung, ohne dass ein Transferbeschluss des GBA gefasst worden wäre. Auch bei der telenotärztlichen Versorgung ist fraglich, ob hier wirklich die Innovationsfonds-Projekte den Ausschlag für eine Verbreitung gegeben haben. Das war auf dem Kongress auch letztlich ein großes Thema: Wie groß ist eigentlich die „Evidenzbasierung“ gesundheitspolitischer Entscheidungen bzw. wie groß sollte sie sein?
Ist denn Besserung zu erwarten? Wie schätzen Sie mittelfristig die Perspektiven ein?
Sperzel: Ich glaube, dass sich an dem wahrgenommenen „Überführungsdefizit“ so schnell nichts ändern wird. Der Gesetzgeber hat ja die Architektur der Innovationsförderung nicht geändert, sondern eine neue „Rechenschaftspflicht“ eingeführt. Adressaten von Transferempfehlungen müssen nun dem Innovationsausschuss innerhalb von zwölf Monaten über die Umsetzung der Transferempfehlung berichten. Dies wird vor allem zu höherem bürokratischen Aufwand ohne zusätzlichen Nutzen für den Transferprozess führen. Da die Rückmeldungen veröffentlicht werden, erwarte ich eher, dass vor allem Schreiben mit idealisiertem, rechtfertigendem oder gar schuldzuweisendem Charakter eingereicht werden. Mit neuen Impulsen bezüglich einer Umsetzung in die GKV-Versorgung rechne ich dadurch kaum.
Auch die im Vorfeld diskutierte Idee, den Transformationsprozess durch eine weitere Förderphase zu finanzieren, wird man – mal abgesehen von vielen praktischen Problemen – das Problem nicht lösen können. Da werden bestehende Projektstrukturen nur verlängert, aber die Ursache für eine Nicht-Überführung nicht angegangen.
Was macht den Transfer denn so schwierig?
Sperzel: Wir haben in vielen Dingen weniger ein Erkenntnisdefizit, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem. Das hat ja auch Josef Hecken kritisch angemerkt. Die unter Laborbedingungen durchgeführten Maßnahmen lassen sich eben oft nicht so einfach als isolierten Zusatz in die Regelversorgung aufnehmen. Meist sind die Sektorengrenzen das Problem oder auch das fehlende Interesse der Beteiligten. Die positiven Effekte, die in den Projekten gemessen wurden, lassen sich oft nicht einfach ausrollen. Da hilft auch noch so viel Erkenntnis nichts.
An diesem Punkt setzt ja auch der Regelungsvorschlag der AOK für eine Regionale Sektorenübergreifende Versorgung (RegioSV) an. Denn damit wollen wir Handlungsspielraum für die Akteure vor Ort erreichen, um Gesundheitsregionen-Ansätze mit Leben füllen zu können. Stichworte sind Handlungsspielräume für den „Club der Willigen“, Machbarkeit mit den Partnern unter den Gegebenheiten vor Ort, regional angepasste Lösungen, Flexibilität statt „Blaupausen“ für die gesamte Republik. Auch für die Innovationsförderung hat die AOK-Gemeinschaft mit einem bei den Kassen angesiedelten Innovationsbudget eine Alternative entwickelt. Bei diesem Fördermodell würden die Versorgungsformen von Anfang an in einem realen Versorgungsrahmen durchgeführt, so dass es erst gar nicht zu den „artifiziellen Realitäten“ kommen würde, die nach Förderende in sich zusammenbrechen, weil sie der praktischen Versorgungswirklichkeit nicht standhalten. Hierfür wären die 200 Millionen Euro Beitragsmittel sicher gut aufgehoben.