Nachricht

EU-Ticker Mai 2024

15.05.2024 AOK-Bundesverband 9 Min. Lesedauer

In seiner seiner letzten Plenartagung vor den Europawahlen hat das EU-Parlament einen gesundheitspolitischen Endspurt hingelegt. Der Veraltungsrat des GKV-Spitzenverbandes hat anlässlich der Wahlen ein umfangreiches Positionspapier verabschiedet.

Die blaue Europaflagge mit gelben Sternen vor einem Gebäude
Europaflaggen vor einem Gebäude

EU-Parlament legt gesundheitspolitischen Endspurt hin

Das Europaparlament hat in seiner letzten Plenartagung vor den Europawahlen am 9. Juni noch zahlreiche gesundheitspolitische Vorhaben abgeschlossen. Das Plenum verabschiedete Ende April unter anderem seine Positionen zum Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraumes (EHDS). Mit dem Beschluss billigten die EU-Parlamentarier einen im März erzielten Kompromiss mit dem Ministerrat. Danach erhalten alle EU-Bürger das Recht auf eine kostenlose elektronische Gesundheitsakte. Eine europaweite Pflicht zu deren Nutzung wird es jedoch nicht geben. Die Einzelstaaten dürfen insbesondere den Umgang mit Forschungsdaten detaillierter regeln.

Das Parlament gab zudem grünes Licht für die neue EU-Luftqualitätsrichtlinie. Danach soll in einem ersten Schritt bis 2030 der Grenzwert für Feinstaub halbiert werden. Bis 2050 soll die Luft in der EU gänzlich frei von Schadstoffen sein. Die Abgeordneten stimmten auch einer von der EU-Kommission vorgeschlagenen weiteren Fristverlängerung für die Rezertifizierung von In-vitro-Diagnostika (IVD) zu. Sie soll dazu beitragen, Versorgungsprobleme zu vermeiden. Danach gilt für IVD mit hohem Risiko (zum Beispiel HIV- oder Hepatitis-Tests) eine Übergangsfrist bis Dezember 2027. Für IVD mit mittlerem Risiko, darunter Krebstests, soll die Frist bis Dezember 2028 laufen. Produkte mit geringerem Risiko, etwa Schwangerschaftstests, bekämen Verlängerung bis Dezember 2029.

Die Zustimmung des Parlamentes fand auch die Aktualisierung der mehr als 20 Jahre alten EU-Regeln zur Verwendung von Blut, menschlichem Gewebe und anderen Substanzen menschlichen Ursprungs, darunter Sperma. Die Neufassung soll vor allem die Sicherheit bei der Verwendung von Lebendspenden verbessern. Die Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… erfasst jetzt auch Muttermilch und Mikroorganismen zur Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen. Umstritten war in der vorangegangenen Diskussion vor allem die Frage einer Entschädigung für Spender. Das Parlament stimmte jetzt einer Fassung zu, nach der die Mitgliedsstaaten Lebendspender zwar finanziell oder auf andere Arten entschädigen können, dies jedoch nicht für Werbekampagnen verwendet werden darf. Die Zustimmung durch den Europäischen Rat steht noch aus.

Die Abgeordneten billigten überdies den mit dem Ministerrat gefundenen Kompromiss für eine neue EU-Verpackungsrichtlinie. Deren Ziel ist es, den Verpackungsmüll in den 27 EU-Staaten bis 2025 um mindestens 15 Prozent unter die im Jahr 2018 angefallene Menge zu senken. In der EU fallen nach Angaben des Parlamentes jedes Jahr allein rund 26 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an, lediglich 30 Prozent werden bisher recycelt. Spätestens bis 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen wiederverwendbar sein oder recycelt werden können. Die Maßnahmen sehen zudem ein Verbot für gesundheitsgefährdende Stoffe in Lebensmittelverpackungen vor. Das betrifft insbesondere die sogenannten ewigen Chemikalien (PFAS) und Bisphenol A (BPA).

Allianz für sichere Arzneimittelversorgung nimmt Arbeit auf

Bei der Bewältigung von Arzneimittelengpässen setzt die EU auf ein breites Bündnis. Nationale Behörden, Pharmaindustrie, Verbände aus dem Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen umfasst alle Einrichtungen, die die Gesundheit der Bevölkerung erhalten,… und Zivilgesellschaft sollen in den nächsten fünf Jahren gemeinsam mit den zuständigen EU-Einrichtungen Strategien für eine sichere Versorgung mit besonders wichtigen Medikamenten erarbeiten. Nach einer ersten Ankündigung im Oktober 2023 und einem Teilnahmeaufruf im Januar gaben EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und der belgische Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke am 24. April in Brüssel offiziell den Start der Allianz für eine sichere Versorgung mit besonders wichtigen Arzneimitteln bekannt.

Zum Auftakt hatten sich bereits 250 Verbände, Organisationen und Institutionen für die Mitarbeit in der Critical Medicines Alliance registriert. Die Teilnehmenden sollen sich laut Kyriakides auf die Industriepolitik konzentrieren und so die anstehende Reform der EU-Arzneimittelgesetzgebung ergänzen. Ziel sei es, die starke Abhängigkeit von wenigen Wirkstoffproduzenten in Asien zu beenden, mehr Produktion in die EU zurückzuholen und globale Lieferketten breiter aufzustellen.

Die Arbeit der Allianz wird inhaltlich und organisatorisch durch die bei der EU-Kommission angesiedelte Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) koordiniert. Im vierten Quartal 2024 sollen die Bündnisteilnehmer zunächst eine Strategie für ihre künftige Zusammenarbeit vorlegen. Die Bundesregierung entsendet nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Expertinnen und Experten des Bundesinstituts für Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… und Medizinprodukte Medizinprodukte sind Apparate, Instrumente, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder… , des Zentrums für Pandemieimpfstoffe und Therapeutika beim Paul-Ehrlich-Institut sowie des BMG selbst in das Bündnis. Die gesetzlichen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… sind über die Europavertretung der deutschen Sozialversicherungen (DSVE) auch eingebunden.

Die Bundesregierung werde sich innerhalb der Allianz dafür einsetzen, „die Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland wieder zu erhöhen und auszubauen sowie eine zuverlässige Versorgung sicherzustellen“, sagte ein BMG-Sprecher dem AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Magazin „G+G“. Dazu müssten „die Rahmenbedingungen für eine starke, nachhaltige und international wettbewerbsfähige Pharmaindustrie in der EU verbessert werden“.

Zum Start der Allianz legte die EU-Arzneimittelagentur (EMA) Empfehlungen zur Verhinderung von Lieferengpässen vor. Ausgearbeitet wurden sie durch eine inzwischen eingerichtete EMA-Lenkungsgruppe zur Beobachtung und Vermeidung von Arzneimittelengpässen. Die Experten fordern unter anderem eine bessere Überwachung der Lagerbestände von Pharmaunternehmen. Zudem sollten die EU-Staaten „Pufferbestände“ anlegen, um Nachfrageschwankungen bei Arzneimitteln und Wirkstoffen ausgleichen zu können. Damit auch wirtschaftlich schwächere EU-Länder ausreichend mit Arzneimitteln versorgt werden könnten, komme auch eine gemeinsame Medikamentenbeschaffung durch die EU in Frage.

Krankenkassen betonen Bedeutung der EU

Mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni hat der Verwaltungsrat des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung die Bedeutung der EU hervorgehoben. „Europa als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des sozialen Fortschritts gründet auf der uneingeschränkten Achtung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit“, heißt es in einem Ende April veröffentlichten Positionspapier des Verwaltungsrates. Für diese Werte stehe auch die gesetzliche Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind grundsätzlich alle Arbeiter und Angestellten… „gemeinsam und vehement ein – insbesondere auch gegen populistische, nationalistische oder antidemokratische Strömungen“.

„Die gesetzlich Versicherten profitieren ungemein von der Vernetzung der Gesundheits- und Pflegesysteme auf europäischer Ebene“, sagte der Vorsitzende des Gremiums für die Versichertenseite, Uwe Klemens. Die EU wiederum profitiere von der Sozialen Selbstverwaltung, die ihre Expertise und Erfahrung seit über 30 Jahren auch auf EU-Ebene einbringe. In anderen EU-Ländern arbeiten oder studieren zu können und dabei auch im Krankheitsfall sozial abgesichert zu sein, sei keine Selbstverständlichkeit, „sondern eine der ältesten Errungenschaften des europäischen Projekts“, betonte Susanne Wagenmann, Vorsitzende für die Arbeitgeberseite.

Die „soziale Flankierung der Mobilität innerhalb Europas“ sei ein Beispiel für die sinnvolle EU-Zusammenarbeit im Interesse von Patienten und Beitragszahlenden, heißt es im Positionspapier. Sie müsse stetig weiterentwickelt werden, „um mit Herausforderungen wie mobilem Arbeiten und zunehmender Digitalisierung der Verwaltung Schritt zu halten“. Der Verwaltungsrat weist darauf hin, dass dank digitaler Kommunikation zwischen den Sozialversicherungsträgern bereits jetzt viele Abrechnungs- und Verwaltungsprozesse innerhalb der EU schnell und zuverlässig elektronisch abgewickelt würden. Weitergehende europäische Initiativen zur Digitalisierung der Koordinierung der Sozialsysteme, darunter die geplante elektronische europäische Krankenversicherungskarte Mit der europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC) können gesetzlich Krankenversicherte bei… , könnten nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch den „operativen Anforderungen der Sozialversicherungsträger“ entsprächen. Dazu müssten diese frühzeitig in die Planung der Digitalisierungsprozesse auf EU-Ebene einbezogen werden.

Die Verwendung persönlicher Gesundheitsdaten im geplanten Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) müsse sich am Gemeinwohl orientieren, betont der Verwaltungsrat. Nutzungsberechtigt sollten Projekte sein, „die einen Mehrwert für die Versicherten, deren Versorgung oder die Gesundheitssysteme Der Zugang aller Bürger zu einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung unabhängig von ihrem… generieren und nachweisen“. Zu vorrangigen Interessen bei der Auswertung gehören aus Sicht des Gremiums „sicherheits- und qualitätsrelevante Aufgaben der Europäischen Arzneimittelagentur“, aber auch „gesetzliche Aufgaben der Sozialversicherungsträger zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Versorgung und Beratung der Versicherten“. Sensible Gesundheitsdaten müssten jederzeit sicher und vertraulich behandelt werden. Die Versicherten müssten auch bei grenzüberschreitendem Informationsaustausch „steuern und nachvollziehen können, wer auf ihre Daten zugreifen darf“. Bei der Vernetzung nationaler Systeme gelte es, unnötige Eingriffe in die jeweilige Telematikinfrastruktur zu vermeiden.

Der Verwaltungsrat setzt sich zudem dafür ein, bei der Reform der EU-Arzneimittelgesetzgebung die Gesichtspunkte „Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit“ stärker zu berücksichtigen. So müssten etwa neue Patentschutzregeln dazu beitragen, „den Wettbewerb durch Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt… und Biosimilars zu stärken und die finanzielle Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme zu sichern“. Mit Blick auf die Arzneimittelversorgung votiert der Verwaltungsrat für EU-weit verbindliche Liefer- und Meldepflichten der Hersteller sowie eine Pflicht zur Bereitstellung der Medikamente in allen 27 Mitgliedsländern. Verstöße müssten anders als bisher auch geahndet werden.

In dem Positionspapier rufen die Versicherten- und Arbeitgebervertreter die EU-Institutionen überdies dazu auf, die bereits 2016 begonnene Überarbeitung der Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit „zügig zum Abschluss zu bringen“. Dabei gehe es insbesondere darum, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu grenzüberschreitenden Leistungen bei Pflegebedürftigkeit Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 27. November 2015 wurde der Begriff der… in die EU-Verordnungen aufzunehmen.

Lebenserwartung wieder auf Vor-Pandemie-Niveau

2023 in der EU geborene Kinder haben nach Anfang Mai vorgelegten neuen Eurostat-Zahlen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81,5 Jahren, 0,9 Jahre mehr als 2022. Für Frauen ermittelten die EU-Statistiker einen Wert von 84,2 Jahren, für Männer 78,9 Jahre. Damit hat die durchschnittliche Lebenserwartung in der EU das Vor-Pandemie-Niveau leicht übertroffen: Gegenüber 2019 ist sie bei Männern um 0,4 Jahre und bei Frauen um 0,2 Jahre gestiegen.

Die Lebenserwartungen in den Einzelstaaten unterscheiden sich jedoch deutlich, es gibt nach wie vor ein starkes West-Ost-Gefälle. 15 Länder liegen über dem EU-Schnitt, an der Spitze Spanien (84 Jahre), Italien (83,8 Jahre) und Malta (83,6 Jahre). Am Ende der Skala stehen Bulgarien (75,8 Jahre), Lettland (75,9) und Rumänien (76,6). Den stärksten Anstieg bei der Lebenserwartung gegenüber 2019 berechnete Eurostat für Rumänien (1,0 Jahre), Litauen (0,8 Jahre) sowie Bulgarien, Tschechien, Luxemburg und Malta (alle 0,7 Jahre). Eine rückläufige Lebenserwartung im Vergleich zu 2019 weisen die Daten für sechs EU-Länder aus, darunter Österreich und Finnland (minus 0,4 Jahre), Estland und die Niederlande (minus 0,2 Jahre) sowie Deutschland und Griechenland (minus 0,1 Jahre).

Gegenüber 2022 gab es in allen EU-Staaten leichte Zugewinne an durchschnittlicher Lebenszeit. Den Eurostat-Zahlen liegen die wöchentlichen Daten über Todesfälle mit Stand vom 30. April 2024 zugrunde.

Gesundheit gehört für EU-Wähler zu den Top-Themen

Das Bekämpfen von Armut und die öffentliche Gesundheitspolitik Die Gesundheitspolitik ist ein facettenreiches Gebiet, das weit über die in der Öffentlichkeit mit… gehören für die Wahlberechtigten in der EU zu den wichtigsten politischen Prioritäten. Das geht aus der Eurobaromter-Frühjahrsbefragung im Vorfeld der Europawahlen hervor. Danach gaben 32 Prozent der Befragten an, die EU müsse sich vorrangig für die Förderung der öffentlichen Gesundheit einsetzen. Mit 33 Prozent erreichte nur der Aspekt Armutsbekämpfung einen höheren Wert. Für jeweils 31 Prozent stehen die Stärkung der Wirtschaft sowie eine bessere Verteidigung und Sicherheit der EU im Vordergrund.

Das für Deutschland erhobene Meinungsbild unterscheidet sich vom EU-Schnitt. 41 Prozent der deutschen Umfrageteilnehmer nannten „Verteidigung und Sicherheit der EU“ als wichtigstes Thema, gefolgt von „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ (36 Prozent) und der „Zukunft Europas“ (35 Prozent). Dagegen nannten nur 17 Prozent der deutschen Wahlberechtigten das öffentliche Gesundheitswesen als vorrangiges EU-Thema.

Laut Umfrage interessieren sich 60 Prozent der EU-Bürger für die bevorstehenden Wahlen - elf Prozent mehr als bei der gleichen Umfrage vor den Europawahlen 2019. Die Bereitschaft, im Juni auch tatsächlich zu wählen, ist laut Umfrage deutlich gestiegen. Die Ergebnisse basieren auf mehr als 26.000 persönlich oder online geführten Interviews. Die Ergebnisse wurden entsprechend der Bevölkerungszahl der einzelnen EU-Staaten gewichtet.