EU-Ticker November 2023
Die Beseitigung von Arzneimittel-Engpässen bleibt im Fokus der Kommission. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA), Josef Hecken, mahnt einen Zeitplan für die Nutzenbewertung von Medizinprodukten an. Und: 13,4 Millionen Euro Strafe für ein Pharma-Kartell unter deutscher Beteiligung
Kommission will Allianz gegen Arzneimittel-Engpässe schmieden
Die EU-Kommission hat ein Bündel von Maßnahmen gegen Arzneimittel-Engpässe vorgestellt. Dazu gehört unter anderem ein „freiwilliger Solidaritätsmechanismus“ für den Austausch von Medikamenten zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Das flexible Handhaben von Rechtsvorgaben soll es ermöglichen, Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… ohne Anpassung der Beschriftung in der Landessprache in andere EU-Länder zu liefern. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides will bis Jahresende eine „Liste unverzichtbarer Arzneimittel“ bereitstellen, für die besondere Maßnahmen gelten sollen. Für die wichtigsten Antibiotika sowie bestimmte Kinder-Arzneimittel gebe es inzwischen schon eine entsprechende Aufstellung der EU-Gesundheitsbehörde zur Krisenvorsorge (Hera), erläuterte Kyriakides. Bereits für den anstehenden Winter sollen die Mitgliedstaaten Antibiotika und Therapeutika gegen Atemwegsviren gemeinsam auf EU-Ebene beschaffen.
„Wir brauchen einen Binnenmarkt für Arzneimittel in der EU und ein neues Konzept, wie wir Engpässe bei kritischen Arzneimitteln besser bewältigen können“, sagte Kyriakides in Brüssel. Das beinhalte auch eine engere Zusammenarbeit mit der Industrie. Dazu will die Kommission eine „Allianz für kritische Arzneimittel“ schmieden. Diese soll bereits Anfang 2024 ihre Arbeit aufnehmen, „um gemeinsam mit allen Akteuren das Angebot zu diversifizieren und die Herstellung kritischer Arzneimittel anzukurbeln und zu modernisieren“. Ebenfalls Anfang nächsten Jahres will die Kommission außerdem neue Ausschreibungsvorgaben für Arzneimittel-Lieferverträge vorlegen. Sie sollen dazu führen, dass für den Zuschlag neben dem Preis auch Kriterien wie die Lieferzuverlässigkeit ausschlaggebend sind.
Mit dem jetzt vorgestellten Maßnahmenpaket kommt die Kommission auch Forderungen des Europäischen Rates und des Europaparlamentes nach, für die Gesundheitsversorgung besonders wichtige Medikamente verfügbar zu halten und die Abhängigkeit der EU von externen Lieferquellen zu verringern.
GBA-Chef Hecken bedauert fehlenden EU-Zeitplan zur Medizinproduktebewertung
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA), Josef Hecken, hat einen Zeitplan für die EU-weite Nutzenbewertung von Medizinprodukten angemahnt. Leider enthalte die EU-Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… zur europäischen Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment "Technologiefolgenabschätzung" ist ein Verfahren, um Technologien der gesundheitlichen Versorgung… – HTA) bisher keine solche Festlegung, bedauerte Hecken bei einer GBA-Veranstaltung Mitte November. Dafür gebe es aber „größte Notwendigkeit, weil wir uns hier in einem weitgehend diffus regulierten Raum bewegen, während die Arzneimittelbewertungen doch einigermaßen gleichen strukturellen Regularien unterworfen sind“.
Das bereits angelaufene gemeinsame EU-Bewertungsverfahren für neue Arzneimittel bedeute aus deutscher Sicht „erst einmal Mehrarbeit“, erläuterte der GBA-Chef. Doch die lohne sich vor allem wegen der damit verbundenen Transparenz. Das bewährte deutsche Nutzenbewertungsverfahren (AMNOG) werde dabei keinesfalls überflüssig. „Man muss das Beste aus dem AMNOG-Verfahren erhalten und das Wertvolle aus dem europäischen Verfahren nach Deutschland bringen“, forderte Hecken. Ein Hauptanliegen der Kommission ist die schnellere Versorgung der Patienten mit neuen Medikamenten in allen EU-Ländern. „Damit haben wir in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt kein Problem“, sagte der GBA-Vorsitzende. Er hoffe, dass sich daran durch die Umsetzung des EU-Verfahrens nichts ändere.
Als zentrale nationale Kontaktstelle ist der GBA noch bis Ende 2024 mit der Umsetzung der im Januar 2022 in Kraft getretenen EU-HTA-Verordnung beschäftigt. Dazu gehört der Aufbau von Strukturen, Prozessen und Methoden zur systematischen, evidenzbasierten Bewertung klinischer Studien für neue Arzneimittel. Diese beginnt laut Verordnung im Januar 2025 mit der Bewertung von Krebsmedikamenten und spezieller Medikamente zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orphan Drugs). Ab 2028 werden alle Orphan Drugs sowie Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) einbezogen; ab 2030 gilt das Verfahren für alle in der EU zugelassenen neuen Medikamente.
Kommission schließt Vertrag für Medikament gegen Affenpocken, Pocken und Kuhpocken
Die EU-Gesundheitsbehörde zur Krisenvorsorge (Hera) hat Ende Oktober einen Liefervertrag für ein Therapeutikum gegen Affenpocken, Pocken und Kuhpocken vereinbart. Vertragspartner ist das britisch-amerikanische Pharmaunternehmen Meridian Medical Technologies. Die Vereinbarung beinhaltet laut Kommission die Lieferung von rund 100.000 Behandlungseinheiten des Präparates Tecovirimat Sigam, um bei einem möglichen Ausbruch schnell reagieren zu können. Die Ausbreitung der Affenpocken Ende 2022 habe gezeigt, dass „wir wachsam bleiben und auf jedes Szenario vorbereitet sein müssen, sollten die Fälle wieder steigen“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Glyphosat darf in der EU noch zehn Jahre versprüht werden
In der EU dürfen Landwirte und andere Nutzer das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat weitere zehn Jahre einsetzen. Das entschied die EU-Kommission Mitte November. Zuvor hatten sich die 27 Mitgliedstaaten in den Fachgremien weder auf ein Verbot noch auf eine Erneuerung der Glyphosatgenehmigung einigen können. Gemäß EU-Rechtsprechung sei die Kommission verpflichtet, vor Ablauf der geltenden Zulassung Die Berechtigung, zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Leistungen zu erbringen, setzt… am 15. Dezember eine Entscheidung zu treffen, teilte die Exekutive mit. Der aktuelle Beschluss stütze sich auf „umfassende Sicherheitsbewertungen“, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der EU-Chemikalienagentur (ECHA) gemeinsam mit Mitgliedstaaten durchgeführt worden seien. Die um zehn Jahre verlängerte Genehmigung ist mit neuen Bedingungen und Beschränkungen verbunden. So darf das Mittel nicht mehr zum Austrocknen vor der Ernte eingesetzt werden. Zudem müssen die Verwender laut Kommission „den Schutz von Organismen“ sicherstellen, „die nicht zu den Zielgruppen gehören“.
Nach EU-Recht ist die nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit Glyphosat allerdings Sache der Mitgliedstaaten. „Diese haben auch weiterhin die Möglichkeit, die Verwendung dieser Pflanzenschutzmittel auf nationaler und regionaler Ebene zu beschränken, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, insbesondere unter Berücksichtigung der notwendigen Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt“, erläuterte die Kommission.
Um den Einsatz von Glyphosat wird in der EU seit Jahren gestritten. Kritiker des Pflanzenschutzmittels warnen vor Gesundheitsgefahren für Menschen und Schäden für Tier- und Pflanzenwelt. Laut EFSA wurden dagegen „bei der Bewertung der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt wurden keine kritischen Problembereiche festgestellt“. Deutschland enthielt sich bei den Abstimmungen über den künftigen Umgang mit Glyphosat, weil sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigen konnte. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) setzte sich für ein Auslaufen der Genehmigung ein, die FDP unterstützte die Verlängerung.
Pharma-Preiskartell muss 13,4 Millionen Euro Strafe zahlen
Die EU-Kommission hat erstmals Strafen wegen Preiskartellbildung im Arzneimittelbereich ausgesprochen. Gegen fünf Pharmaunternehmen wurden nach einem juristischen Vergleich Geldbußen im Umfang von 13,4 Millionen Euro verhängt. Die insgesamt sieben beteiligten Unternehmen hatten nach Angaben der Kommission im Zeitraum von November 2005 bis September 2019 Mindestpreise für den Arzneimittelwirkstoff Butylscopolamin abgesprochen und Verkaufsquoten abgesprochen. Bei dem Wirkstoff handelte es sich „um einen wichtigen Ausgangsstoff zur Herstellung des Arzneimittels Buscopan und entsprechender Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt… , die gegen Bauchkrämpfe eingesetzt werden“.
Die Unternehmen beteiligten sich laut Kommission in unterschiedlicher Intensität und Dauer an dem Preiskartell. Die Geldstrafen betreffen die Unternehmen Alkaloids of Australia, Alkaloids Corporation, C2 Pharma, Boehringer, Linnea sowie Transo-Pharm. C2 Pharma ging straffrei aus, da das Unternehmen die Behörden nach der Kronzeugenregelung über das Kartell informiert hatte. Transo-Pharm und Linnea wurden wegen ihrer Kooperation mit der Kommission mit geringeren Geldstrafen belegt. Gegen das Pharmaunternehmen Alchem, das sich dem Vergleich verweigert habe, laufe jetzt ein reguläres Kartellverfahren, so die Kommission. Mit rund 10,4 Millionen Euro muss der deutsche Pharmakonzern Boehringer die höchste Geldstrafe zahlen.
EU will Bekämpfung des Drogenhandels forcieren
Die 27 EU-Staaten haben den Fahrplan der Kommission für einen stärkeren Kampf gegen Drogenhandel und organisierte Kriminalität gebilligt. Das Konzept umfasst 17 Maßnahmen, darunter eine „neue Europäische Hafenallianz“. Sie soll das Unterwandern von Hafenbehörden durch Kriminelle verhindern. „Der Drogenhandel zählt zu den größten Sicherheitsbedrohungen, denen die EU heute gegenübersteht“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei der Vorstellung des Plans. Europa sei inzwischen der größte Kokainmarkt der Welt. Allein 2021 seien 303 Tonnen Kokain sichergestellt worden.