EU-Ticker September 2024
Der Ungar Olivér Várhelyi soll neuer EU-Kommissar für Gesundheit und Tierwohl werden. Die deutschen Europa-Abgeordneten sind skeptisch. Weitere Themen: ein besserer Schutz für Nichtraucher und mehr Geld für Gesundheitsprojekte.
Designierter EU-Gesundheitskommissar stößt auf Kritik
Der Ungar Olivér Várhelyi soll neuer EU-Kommissar für Gesundheit und Tierwohl werden. In dieser Funktion werde der bisherige Kommissar für EU-Erweiterungsfragen „für den Aufbau der Europäischen Gesundheitsunion zuständig sein, den Kampf gegen Krebs fortsetzen und die Gesundheitsvorsorge stärken“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung ihres Personaltableaus für die neue Legislaturperiode am 17. September in Straßburg. Várhelyi ist als Nachfolger der auf eigenen Wunsch ausscheidenden Zypriotin Stella Kyriakides vorgesehen.
Die einflussreichen deutschen EU-Gesundheitspolitiker Tiemo Wölken und Peter Liese haben die Nominierung scharf kritisiert. „Várhelyi hat nicht nur den Makel, dass er von Viktor Orbán vorgeschlagen wurde, er hat sich als strittiger Kommissar für Erweiterung auch sehr viele Fehler geleistet“,sagte Liese. Er könne sich kaum vorstellen, dass Várhelyi die Anhörung im Parlamentsausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) überstehen werde, betonte der gesundheitspolitische Fraktionssprecher der Europäischen Volkspartei (EVP). Die Nomineirung sei „zutiefst bedauerlich“, kommentierte Wölken die Personalie. Von der Leyen betrachte das Thema Gesundheitsunion inzwischen offenbar als „belanglos“. „Besonders nach einer globalen Pandemie und angesichts der vielen noch offenen Aufgaben ist dies besonders enttäuschend“, bemängelte der gesundheitspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament (S&D-Fraktion).
Várhelyi muss sich jetzt wie alle von den EU-Staaten benannten und von der Kommissionspräsidentin für das jeweilige Ressort nominierten elf Kandidatinnen und 15 Kandidaten einer Befragung durch den zuständigen Fachausschuss des Europaparlamentes stellen. Anschließend stimmt das Plenum im Block über die neue Kommission ab. Der 52-jährige parteilose Jurist Várhelyi ist bereits seit 2001 mit kurzer Unterbrechung in verschiedenen Funktionen für Ungarn in Brüssel tätig. So war er unter anderem als Diplomat an den Verhandlungen über den EU-Beitritt Ungarns im Jahr 2004 beteiligt. Ab 2015 leitete er die ungarische EU-Vertretung. 2019 benannte die ungarische Regierung ihn als Kandidaten für die EU-Kommission, nachdem der ursprüngliche Kandidat bei der Anhörung im Europaparlament durchgefallen war. Seit 2019 war Várhelyi als Erweiterungskommissar für die Beitrittsgespräche mit Nord-Mazedonien, Albanien, Georgien, der Ukraine, und Moldawien sowie für die EU-Gespräche mit der Türkei zuständig.
Pharmareform im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Agenda
Die EU-Kommission will auch in der neuen Legislaturperiode den Aufbau der Gesundheitsunion voranbringen. In einem am 18. September veröffentlichten „Mission letter“ für den designierten EU-Gesundheitskommissar Várhelyi unterstreicht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Bedeutung einer besseren Zusammenarbeit der 27 EU-Staaten im Gesundheitsbereich und betont den ressortübergreifenden „One-Health“-Ansatz. Deshalb habe sie der Generaldirektion Gesundheit (DG Santé) auch den Bereich Tierwohl zugeordnet.
In der Programmskizze fordert sie den neuen Gesundheitskommissar auf, die Reform der EU-Arzneimittelgesetzgebung voranzubringen. Nötig seien ein „Critical Medicines Act“ zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in der EU sowie ein Biotech-Act zur Förderung von Innovationen. Aktuell stecken die von der EU-Kommission im April 2023 vorgelegten Vorschläge für eine neue Pharmastrategie im EU-Ministerrat fest. Die Mitgliedstaaten konnten sich bislang nicht auf eine gemeinsame Position verständigen. Das Europaparament hatte im April dieses Jahres seine Stellungnahme verabschiedet.
Zusammen mit der neuen EU-Kommissarin für Techniksouveränität und -sicherheit, Henna Virkkunen aus Finnland, soll Várhelyi bereits in den ersten 100 Amtstagen Vorschläge für mehr Cybersicherheit in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen in der EU entwickeln. Darüber hinaus enthält die von der Präsidentin formulierte To-do-Liste bekannte Projekte. Dazu gehören der Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraums und die Bekämpfung von Krebserkrankungen ebenso wie die Überarbeitung der von der Industrie weiter kritisierten EU-Verordnungen für Medizinprodukte Medizinprodukte sind Apparate, Instrumente, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder… . Analog zum Krebs-Programm will die Kommission in den nächsten fünf Jahren Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Blick nehmen, den Nichtraucherschutz verstärken und mehr für die mentale Gesundheit der EU-Bürger tun. Auch das Vorgehen gegen antimikrobielle Resistenzen steht im „Mission letter“ für den Kyriakides-Nachfolger.
EU will den Nichtraucherschutz verbessern
Für die Anstrengungen gegen das Rauchen hat die scheidende EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ihrem Nachfolger doch noch eine Vorlage hinterlassen. Am 17. September veröffentliche die Kommission die bereits für den Jahresbeginn erwarteten Vorschläge für den besseren Schutz gegen das Passivrauchen. Es handelt sich um eine Vorlage zur Aktualisierung der inzwischen 15 Jahre alten Empfehlungen des EU-Ministerrates für rauchfreie Umgebungen.
Die Vorschläge sind Bestandteil des EU-Plans zur Krebsbekämpfung und zielen darauf ab, auch Außenbereiche als rauchfreie Umgebung auszuweisen, um besonders Kinder und junge Menschen besser zu schützen. Dies beträfe zum Beispiel öffentliche Spielplätze, Freizeitparks und Freibäder sowie die Außenbereiche von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, öffentlichen Gebäuden und Dienstleistungsbetrieben sowie Bushaltestellen und Bahnhofsbereiche.
Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten insbesondere, auf die Marktentwicklung zu reagieren und in den Nichtraucherschutz neue Konsumprodukte einbeziehen, darunter Tabakverdampfer und E-Zigaretten. „Oftmals werden sie mit irreführenden Behauptungen bezüglich ihrer angeblichen Sicherheit oder ihres vermeintlichen Nutzens für die Rauchentwöhnung vermarktet“, so die Kommission. Doch seien die potenziell schädlichen Auswirkungen erheblich: „Die Konsumierenden können nikotinsüchtig werden, und oft konsumieren sie am Schluss neben neuartigen Produkten auch traditionelle Tabakerzeugnisse.“ Kyriakides beruft sich dabei auch auf jüngste Berichte der Weltgesundheitsorganisation WHO über den zunehmenden Konsum neuer Tabak- und Nikotinprodukte durch Jugendliche und die gesundheitsschädlichen Folgen der Aerosol-Emissionen neuer Konsumprodukte.
In der Fraktion der Europäischen Volkspartei deutet sich allerdings bereits Widerstand dagegen an, E-Zigaretten mit anderen Nikotinprodukten gleichzustellen. „E-Zigaretten enthalten zwar Nikotin, was abhängig macht, aber alle anderen Stoffe im Zigarettenrauch, die eben die Schäden wie Krebs und Schlaganfall verursachen, sind in der E-Zigarette nicht enthalten“, kommentierte der EVP-Gesundheitspolitiker Peter Liese den Kommissionsvorschlag. Er hoffe, „dass die Mitgliedsstaaten hier nachbessern“.
Zur Finanzierung von EU-Projekten und nationalen Maßnahmen zur Tabak- und Nikotinbekämpfung sowie zur Suchtprävention stehen laut Kommission rund 16 Millionen Euro aus dem Gesundheitsprogramm EU4Health sowie 80 Millionen Euro aus dem Horizon-Forschungsprogramm. „Tabak ist der Krebsrisikofaktor Nummer eins, und mehr als ein Viertel der Krebstode in der EU, Island und Norwegen werden auf das Rauchen zurückgeführt“, erläuterte die Kommission.
Europaabgeordnete fordern mehr Geld für Gesundheitsprojekte
Der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europaparlaments (ENVI) hat mit großer Mehrheit eine Wiederaufstockung des Gesundheitsprogramms EU4Health gefordert. Mit der Kürzung des Programms gefährde der Rat der Mitgliedsstaaten wichtige Gemeinschaftsprogramme und den weiteren Aufbau der Gesundheitsunion. EU4Health wurde als Reaktion auf die Corona-Pandemie mit rund 5,1 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027 ausgestattet. Anfang dieses Jahres hatte der Rat das Budget zum Ärger der EU-Gesundheitspolitiker um eine Milliarde zugunsten der Ukraine-Hilfen gekürzt.
Für die beiden größten Fraktionen im Parlament – Europäische Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) forderten deren gesundheitspolitische Sprecher, Peter Liese und Tiemo Wölken, im EU-Haushalt für 2025 wieder mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch die Kürzungen beim EU-Forschungsprogramm Horizon müssten zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht werden, fordert der ENVI-Ausschuss in seiner Stellungnahme zum neuen Haushaltsplan.
Sparmaßnahmen müssten in erster Linie bei Geldern für Projekte auf rein nationaler Ebene ansetzen. Sonst seien wichtige gemeinsame EU-Forschungsprojekte im Kampf gegen gefährliche Antibiotika-Resistenzen in Gefahr, warnte Liese. Über EU4Health werden auch die europäischen Referenznetzwerke für seltene Krankheiten (ERN) und Programme zur Bekämpfung von Krebs finanziert. Zuletzt startete die EU-Kommission Mitte September ein Long-Covid-Forschungsprogramm im Umfang von zwei Millionen Euro sowie ein mit 1,3 Millionen Euro aus dem EU4Health-Budget finanziertes Projekt zum Halten und Gewinnen neuer Pflegekräften in den EU-Staaten.
Mpox: Keine große Gefahr für Europa
Der Gesundheitsausschuss des Europaparlamentes (ENVI) hat sich für eine bessere Krisenvorsorge im Zusammenhang mit dem Mpox-Ausbruch („Affenpocken“) in Zentralafrika ausgesprochen. Für Europa sieht die EU-Gesundheitsbehörde ECDC bislang allerdings keine große Gefahr. Die Situation sei nicht vergleichbar mit Covid-19, speziell für Kinder gebe es hier kein spezifisches Risiko, sagte ECDC-Direktorin Pamela Rendi-Wagner den ENV-Mitgliedern. Die EU-Arzneimittelagentur EMA will beschleunigt über eine Impfstoff-Zulassung Die Berechtigung, zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Leistungen zu erbringen, setzt… für Jugendliche entscheiden.
In der aktuellen Stunde am 4. September auf Antrag des CDU-Gesundheitspolitikers Peter Liese (EVP-Fraktion) erläuterten Rendi-Wagner, EMA-Chefin Emer Cooke und der Vizedirektor der EU-Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion HERA, Wolfgang Philipp, den Abgeordneten die aktuellen Notfall In Notfällen gewährleistet der Rettungsdienst lebensrettende Maßnahmen und den Transport kranker und… -Planungen. Sie unterstützten die Forderung nach aktuellen und einheitlichen EU-Empfehlungen für Reisende. Es komme aber vor allem darauf an, vor Ort Hilfe zu leisten, um eine weitere Mpox-Ausbreitung zu verhindern. Das ECDC hat Fachleute in die Demokratische Republik Kongo geschickt, die epidemiologische Daten sammeln sollen. Zudem unterstützt die EU die betroffenen Länder mit Impfstoff-Spenden, Labordiagnostik und Geld für Seuchenüberwachung, Gesundheitsaufklärung sowie Wasserversorgung und -entsorgung. Insgesamt wurden bereits mehr als 100 Millionen Euro an humanitären Hilfen bewilligt. Mitte September sind auch die ersten Impfstoff-Spenden der EU im Kongo eingetroffen. Sie stammen auch aus nationalen Beständen. Unangetastet bleibt laut HERA-Vize Philipp die gemeinsame „rescEU“-Notfallreserve der Union.
EU schränkt Verwendung „ewiger Chemikalien“ ein
Die Verwendung einer Untergruppe von PFAS-Chemikalien ist in der EU künftig verboten. Es handelt sich um Unecafluorhexansäure (PFHxA) und damit verwandter Stoffe. Sie dürfen nach einer produktabhängigen Übergangszeit zwischen 18 Monaten und fünf Jahren nicht mehr in Kleidungstextilien (zum Beispiel Regenwesten), Lebensmittelverpackungen (Pizzakartons), Imprägniersprays oder Kosmetika verarbeitet werden. „Die Beschränkung dieser Untergruppe von PFAS ist ein weiterer Meilenstein, der uns einer giftstofffreien Umwelt näherbringt“, sagte die Vizepräsidentin der EU-Kommission,Margrethe Vestager, am 19. September in Brüssel. Für die betreffenden Stoffe gebe es für die Hersteller inzwischen Alternativen.
PFAS-Stoffe gelten als gesundheitsgefährdend. Sie werden als „Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet, da sie in der natürlichen Umgebung nicht zerfallen. Weil sie für viele Industrieprodukte und Konsumgüter verwendet werden, ist die Boden- und Wasserbelastung mit diesen Chemikalien vielerorts sehr hoch. Bereits 2023 hatte eine Gruppe von fünf EU-Ländern, darunter auch Deutschland, der Kommission vorgeschlagen, das Verbot der gesamten PFAS-Gruppe zu prüfen. Dagegen gibt es jedoch erheblichen Widerstand aus der Industrie. Die EU-Chemikalienagentur ECHA prüft derzeit noch den Vorschlag der Ländergruppe.
Die Kommission berücksichtige bei ihren Maßnahmen „die Verfügbarkeit von Alternativen für PFAS, die in Anwendungen verwendet werden, die für den doppelten Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft erforderlich sind, sowie die strategische Autonomie der EU und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“, sagte der EU-Kommissar für den „Green Deal“, Maroš Šefčovič. Deshalb ist unter anderem die Anwendung von PFHxA in Halbleitern, Batterien oder Brennstoffzellen für grünen Wasserstoff vom aktuellen Verbot nicht betroffen. Die Richtung sei klar, aber die Unternehmen müssten „über ausreichende Übergangsfristen verfügen, um sich anzupassen“, so Šefčovič.
EU-Rechnungshof sieht Verbesserungsbedarf bei EMA und RCDC
Der Europäische Rechnungshof ECA hat vor Kompetenzüberschneidungen zwischen der EU-Arzneimittelagentur EMA, der EU-Gesundheitsbehörde ECDC und der 2021 eingerichteten EU-Behörde zur Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen HERA gewarnt. Die EU-Kommission müsse die jeweiligen Zuständigkeiten klären, um Doppelarbeit zu vermeiden und um im Fall einer neuen Gesundheitskrise Reibungsverluste zu vermeiden, empfehlen die Autoren eines Anfang September veröffentlichten ECA-Sonderberichtes zur Bewältigung der Corona-Pandemie.
Trotz vieler richtiger Konsequenzen aus der Krise sei die EU nicht umfassend auf eine erneute größere Gesundheitskrise vorbereitet, heißt es in der Analyse. Deshalb müsse das ECDC „seine interne Organisation sowie seine Verfahren, Systeme und Veröffentlichungen weiter verbessern“, empfiehlt der Sonderbericht. Auch die EMA „sollte ihre Verfahren und die Verbreitung von Informationen optimieren“. Für das Klarstellen der jeweiligen Befugnisse und Zuständigkeiten von EMA, HERA und ECDC hat der Rechnungshof der EU-Kommission das „Zieldatum 2026“ gesetzt.
Rückblickend stellen die Prüfer der EMA und dem ECDC gute Noten aus. Beide Behörden hätten „eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Pandemie gespielt“ und „die Situation letztlich gut bewältigt“. Insofern seien die inzwischen erfolgten Kompetenzerweiterungen richtig. Durch das Hinzukommen von HERA habe sich ein „komplexer organisatorischer Rahmen“ entwickelt, der „eine enge Zusammenarbeit zwischen zahlreichen Interessenträgern auf internationaler, europäischer, nationaler und regionaler Ebene erfordert“. Im Klartext: Im Ernstfall gäbe es auf den EU-Ebenen zu viele zeitraubende Abstimmungsprozesse.