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Erfolgsmodell in Nöten – Diskussion zur Pflege im Schatten der Verhandlungen

28.03.2025 AOK-Bundesverband 3 Min. Lesedauer

In einem Punkt waren sich die Akteure bei den Rosenthaler Gesprächen schon zu Beginn an einig. Die Soziale Pflegeversicherung ist mit 30 Jahren zwar der jüngste Spross der Sozialversicherung, aber dennoch schon im höchsten Maße pflegebedürftig.

Das Podium (v.l.): Maria Klein-Schmeink, Dr. Carola Reimann, Thomas Hommel, Dr. Susanne Wagenmann, Mike Schubert

Entsprechend richtete sich der Blick bei der Veranstaltung des Aufsichtsrats des AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverbandes am Donnerstagabend nicht nur zurück in die Anfangsjahre dieses Sozialversicherungszweigs, sondern vor allem auf die Schlussphase der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen. Angesichts eines Defizits von 1,54 Milliarden Euro Ende 2024 drohen ohne Steuerhilfen schon bald neue Beitragssatzsprünge.

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Aufzeichnung Podiumsdiskussion Soziale Pflegeversicherung: Erfolgsgeschichte mit ungewisser Zukunft

Vor 30 Jahren wurde die Soziale Pflegeversicherung (SPV) als fünfte Säule der Sozialversicherung neu eingeführt. Eigentlich ist die Entwicklung der SPV eine Erfolgsgeschichte: Rund 75 Millionen Men...

Die Soziale Pflegeversicherung Die Pflegeversicherung wurde 1995 als fünfte Säule der Sozialversicherung eingeführt. Ihre Aufgabe… (SPV) sei insgesamt eine Erfolgsgeschichte, sagte der Leiter des Instituts AGP Sozialforschung und des Zentrums für zivilgesellschaftliches Engagement, Professor Thomas Klie. Durch sie sei die Pflegebedürftigkeit Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 27. November 2015 wurde der Begriff der… als allgemeines Lebensrisiko anerkannt worden. Die Akzeptanz für die SPV in der Bevölkerung sei hoch, wie Umfragen zeigten. Bei der Zufriedenheit mit der Performance hapere es allerdings. Die Versorgungssicherheit sei in Gefahr, schon jetzt gebe es unterversorgte Regionen. Systemvertrauen der Menschen hänge aber nicht zuletzt „von der subjektiv empfunden und objektiv bestehenden Sicherheit gesundheitlicher und pflegerischer Versorgung vor Ort“ ab. Klie betonte, die Pflege Kann die häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden, besteht Anspruch auf… sei eine „dynamische Dauerbaustelle“, wie sich an den 90 Änderungsgesetzen seit 1995 zeige. Die Grundlagen der umlagefinanzierten Pflegeversicherung gerieten immer mehr in Gefahr.

Maria Klein-Schmeink (l.) und Dr. Carola Reimann

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, sah in den Ergebnissen der schwarz-roten Facharbeitsgruppe aus den Koalitionsgesprächen „Licht und Schatten“. Es sei richtig, wenn der Bund in die Verantwortung für die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen gehen wolle und die Corona-Kosten zurückerstatte. „Dann hätte man zumindest eine Atempause, um eine Reform aufzusetzen“, sagte Reimann. Wie Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink äußerte sie jedoch die Befürchtung, dass in der nun laufenden Endphase der Koalitionsberatungen diese Vorhaben wieder einkassiert werden. Flössen die Mittel etwa für die Rentenbeiträge Angehöriger im Volumen von vier Milliarden Euro nicht, müssten in diesem Jahr erneut die Beiträge steigen, obwohl sie erst am Jahresanfang um 0,2 Prozentpunkte angehoben worden seien, warnte die AOK-Chefin.

Reimann kritisierte zugleich, dass es auf der Ausgabenseite der Koalitionspartner in spe an „Fantasie und Einsicht“ fehle. Es sei notwendig, bei GKV und SPV die Ausgaben an den Einnahmen zu orientieren. Klein-Schmeink machte deutlich, dass der Umbau der Pflegeversicherung diesmal gelingen müsse, denn die Beiträge und die Eigenbeträge in der stationären Pflege seien hoch und das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.

Hohe Eigenanteile stellen Problem dar

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Professor Josef Hecken, bezweifelte angesichts der anstehenden innen- und außenpolitischen Herausforderungen, dass die vier Milliarden Euro aus Steuermitteln am Ende fließen werden. Er wünsche alle denjenigen „viel Glück“, die in der geplanten Ministerarbeitsgruppe innerhalb eines halben Jahres eine Strukturreform erarbeiten sollten, die sowohl den Pflegebedürftigen, dem Wirtschaftsstandort als auch der schwarzen Null gerecht werde. Der frühere saarländische Gesundheitsminister mahnte: „Irgendeiner muss irgendetwas bezahlen. Linke Tasche, rechte Tasche wird hier nicht funktionieren.“

Dr. Susanne Wagenmann

Die Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Susanne Wagenmann, ging auf die hohen Eigenanteile von derzeit 2.400 Euro in der stationären Pflege ein. Das sei für die Pflegebedürftigen „eine ganze Menge Holz“. Sie forderte die Kommunen auf, ihren Investitionsverpflichtungen nachzukommen, damit diese nicht vollständig auf Bewohnerinnen und Bewohner der Heime abgewälzt würden. Einen „Sockel-Spitze-Tausch“ zur Begrenzung der Eigenkosten bewertete sie dagegen kritisch. „Wir glauben, dass das falsche Akzente setzt und nicht finanzierbar ist.“ Schon die jetzige Entlastung bei den Eigenanteilen koste 6,4 Milliarden Euro und damit fast doppelt so viel wie bei der Einführung geschätzt worden sei. Wagenmann verwies auf Studien, wonach sieben von zehn Rentenhaushalten sich die Eigenanteile zum Pflegeheim leisten könnten. „Warum sollten diese weiter entlastet werden, zu Ungunsten der kompletten Beitragszahler, also der breiten Masse?“ Hier müssten andere Instrumente gefunden werden, sagte sie mit Blick auf die Koalitionsgespräche.

Auch Jurist und Pflege-Experte Klie warnte davor, Heimkosten komplett aus der Pflegeversicherung zu schultern. „Wie sollen wir das denn finanzieren?“ Der Pflegebedürftigkeitsbegriff müsse mit einer Bedarfsprüfung und Bedarfslenkung einhergehen. Pflege müsse zudem als gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit Familien-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik Die Gesundheitspolitik ist ein facettenreiches Gebiet, das weit über die in der Öffentlichkeit mit… verschränkt werden. Zudem sei eine sektorenübergreifende Versorgung notwendig, sowohl zwischen ambulantem und stationärem Sektor als auch zwischen GKV und SPV.

Blick in die Gründungsphase der Pflegeversicherung

Prof. Josef Hecken

Der Potsdamer Oberbürgermeister und SPD-Politiker Mike Schubert lehnte es ab, dass die Kommunen die Pflegemisere ausbaden sollten. Seine Stadt unterstütze das eigene Krankenhaus Krankenhäuser sind Einrichtungen der stationären Versorgung, deren Kern die Akut- beziehungsweise… inzwischen mit 18 Millionen Euro pro Jahr, „weil das, was aus Beiträgen kommt, nicht ausreicht“. Im Übrigen werde bei der Pflege zu viel auf das Ehrenamt Die ehrenamtliche Betreuung von Pflegebedürftigen ist ein wichtiger Bestandteil der … gebaut, monierte Schubert. Nur auf Altruismus zu setzen, halte er jedoch für gefährlich. Der Sozialdemokrat regte in diesem Zusammenhang eine Diskussion über einen neuen Pflichtdienst an. Wagenmann machte dagegen deutlich, dass Umfragen zufolge 43 Prozent der Bürger ehrenamtlich aktiv seien und acht von zehn bereit seien, zukünftig etwas zu tun. „Diese müssen wir aktivieren und müssen dann auch Strukturen vor Ort schaffen.“

Hecken, einst Büroleiter von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm als einem der Väter der Pflegeversicherung, blickte in einem launigen Vortrag zurück auf die dreieinhalbjährigen Verhandlungen zu dem Sozialversicherungszweig in den neunziger Jahren. Ziel der Einführung sei es gewesen, dass Menschen nach einem langen Arbeitsleben nicht allein wegen der Pflegekosten auf Sozialhilfe angewiesen seien und pflegende Angehörige ein Mindestmaß an sozialer Absicherung erhielten. Allerdings seien die Betroffenenzahlen vor 30 Jahren noch viel geringer gewesen. Wie heute sei auch damals schon über Kapitaldeckungskomponenten oder eine Vollkaskoversicherung debattiert worden.

Knut Lambertin (r.) mit Moderator Thomas Hommel

Zum Schluss der Veranstaltung blickte der Aufsichtsratsvorsitzende Knut Lambertin als Versichertenvertreter auf eine Gruppe, die in der Debatte oft vergessen werde: „Wir haben 480.000 Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren, die ihre Angehörigen pflegen.“ Das seien 6,1 Prozent dieser Altersgruppe. Lambertin wertete das als „skandalösen Punkt“. Die jungen Menschen bräuchten nicht nur Unterstützungsleisten, sondern müssten insgesamt von dieser Aufgabe befreit werden.

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  • 30 Jahre Pflegeversicherung - wissenschaftliche Einordnung von Prof. Dr. Thomas Klie

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