Günster: „Beschönigende Einordnung“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft wirkt befremdlich
In einer Reaktion auf die Pressekonferenz zum Krankenhaus-Report 2024 hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Befunde des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zu Qualitätsdefiziten bei der Brustkrebs- und Herzinfarkt-Behandlung in Frage gestellt. Warum die Gegenargumente der DKG nicht stichhaltig sind, begründet Christian Günster, Leiter der Abteilung Versorgungsforschung im WIdO, im Interview.
Herr Günster, die DKG argumentiert in ihrer Pressemitteilung, das WIdO habe neben vielen positiven Entwicklungen nur zwei Negativbeispiele für „eklatante Fehlentwicklungen“ besonders identifiziert. Stimmt diese Einordnung der beiden Beispiele, die Sie auf der Pressekonferenz zum Krankenhaus-Report 2024 vorgestellt haben?
Günster: Nein, viele positive Entwicklungen, wie sie die DKG suggeriert, können wir bei der Qualität ist ein zentrales Versorgungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Rahmen der… der Krankenhausbehandlung Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben Anspruch auf vollstationäre… nicht erkennen. Im Gegenteil: In der Pressekonferenz haben wir zwei Beispiele für eine Vielzahl weiterer Problemindikationen herausgegriffen. Im Bereich der Krebsversorgung ist Brustkrebs sogar die Indikation mit dem höchsten Anteil von Patientinnen, die aktuell schon in zertifizierten Zentren versorgt werden. Das liegt daran, dass dieses Zertifikat 2003 von der Deutschen Krebsgesellschaft als erstes Zertifikat überhaupt eingeführt worden ist. Alle anderen Krebsindikationen weisen klinik- und fallbezogen geringere Raten an Behandlungen in zertifizierten Kliniken auf. So betrug laut Deutscher Krebsgesellschaft der Anteil der Behandlung neuerkrankter Fälle in zertifizierten Zentren 2021 beim Pankreaskarzinom 35 Prozent, beim Lungenkarzinom 39 Prozent und beim Kolonkarzinom 42 Prozent. Im Bereich der Schlaganfall-Behandlung zeigt sich ebenfalls Fehlversorgung. So wurde in der fünften Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung für den Schlaganfall inklusive der Vorstufe TIA die Rate der Versorgung außerhalb von Stroke Units mit 23 Prozent angegeben. Dabei ist der Überlebensvorteil bei Versorgung in einer Stroke Unit wissenschaftlich belegt.
Die DKG argumentiert ja, dass das Problem der Fehlversorgung außerhalb zertifizierter Zentren beim Brustkrebs durch die 2024 neu eingeführte Mindestmenge von 50 Fällen pro Jahr gelöst sei, die im nächsten Jahr auf 100 Fälle pro Jahr steigen wird. Ist da etwas dran?
Günster: Das Problem ist mit der Einführung der Mindestmenge keineswegs gelöst. Erstens müssten die Mindestmengen konsequent ohne Ausnahmetatbestände umgesetzt werden. Das Ausmaß an Ausnahmeregelungen bei Ösophagus- und Pankreas-Operationen, bei denen schon viel länger Mindestmengen-Vorgaben existieren, zeigt, dass es auf die Umsetzung in der Realität ankommt. Zweitens hat die groß angelegte WiZen-Studie gezeigt, dass die Zertifizierung einer Klinik durch die Deutsche Krebsgesellschaft auch ganz unabhängig von der Fallzahl Summe aller Abrechnungsfälle in einem Abrechnungszeitraum. mit einem Überlebensvorteil assoziiert ist. Bei konsequenter Umsetzung der Brustkrebs-Mindestmenge von 100 Fällen ab 2025 wären die Kliniken mit Mindestmengen-Erreichung erst einmal nur zertifizierungsfähig, denn die Zertifizierung setzt 100 Behandlungsfälle pro Jahr voraus. Die Zertifizierung beinhaltet aber weitere Anforderungen wie personelle und strukturelle Voraussetzungen, interdisziplinäre Behandlungsteams, insgesamt 23 Qualitätsindikatoren und weitere Punkte. Die Vorgaben orientieren sich am Leitlinienprogramm Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft. Es ist medizinisch plausibel, dass diese Kriterien zu einer besseren Versorgung führen. Studienevidenz für bessere Versorgung besteht für die Zertifizierung, die Fallzahl ist besser als nichts, aber nur ein ungenauer Ersatzparameter.
Sie haben das Ausmaß der Fehlversorgung von Herzinfarkten in Kliniken ohne Herzkatheterlabor dargestellt. Die DKG hält dem entgegen, die Rate von fünf Prozent fehlversorgten Patienten sei marginal und quasi unvermeidbar. Was halten Sie dem entgegen?
Günster: Hinter der Rate von fünf Prozent Fehlversorgung stehen immerhin 9.409 Patienten, die nicht die empfohlene Behandlung erhalten haben. Damit kann man nicht zufrieden sein. Und dass sich diese Fehlversorgungsrate reduzieren lässt, zeigt ja gerade die positive Entwicklung der letzten Jahre. Als das WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… 2022 über eine Fehlversorgungsrate von sieben Prozent im Jahr 2020 berichtet hat, hat die DKG mit dem gleichen Reflex reagiert. Damals konnte man also aus Sicht der Krankenhausgesellschaft mit 93 Prozent richtiger Versorgung zufrieden sein. Dass hier wesentlich mehr drin ist, zeigt der Vergleich der Bundesländer. In Hamburg liegt der Fehlversorgungsanteil bei null Prozent. Gerade einmal zwei Herzinfarkt-Patienten sind dort in der „falschen“ Klinik ohne Herzkatheterlabor gelandet. Im Flächenland Schleswig-Holstein lag die Rate bei 2,2 Prozent und in Bayern bei 2,7 Prozent. Eine Zusatzanalyse zeigt zudem ein Nebeneinander an Versorgung in Kliniken mit und ohne Herzkatheterlabor in 80 Städten in Deutschland. Für die Bevölkerung im Saarland, wo 2022 jeder neunte Herzinfarktpatient in einer Klinik ohne Katheterlabor behandelt worden ist, muss die beschönigende Einordnung der DKG schon sehr befremdlich wirken. Übrigens ist die WIdO-Abschätzung noch konservativ. Denn Kliniken mit unklaren Angaben zum Herzkatherlabor oder Kliniken mit Herzkatheterlabor ohne 24/7-Bereitschaft wurden in unserer Auswertung als Katheterkliniken gewertet.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft führt dazu auch ins Feld, regionale Unterschiede in der Fehlversorgung hingen von den Möglichkeiten der jeweiligen Region ab. Was sagen Sie dazu?
Günster: Selbst bei der Notfallindikation Herzinfarkt gibt es gravierende Unterschiede unter den Flächenländern. Die Spanne der nicht optimal, also ohne Herzkatheterlabor behandelten Patientinnen und Patienten reicht von 2,7 Prozent in Schleswig-Holstein bis zu 11,5 Prozent im Saarland. Auch unter den Stadtstaaten bestehen große Unterschiede. Neben dem Hamburger Spitzenergebnis sehen wir in Berlin 3,8 Prozent und in sogar Bremen 7,1 Prozent falsch versorgte Fälle. Die Besonderheit in Hamburg ist die glasklare Vorgabe im Krankenhausplan, dass der Rettungsdienst In Notfällen gewährleistet der Rettungsdienst lebensrettende Maßnahmen und den Transport kranker und… bei akutem Herzinfarkt ausschließlich in Krankenhäuser mit rund um die Uhr betriebenen Linksherzkathetermessplatz bringen darf und solche Kliniken in einer Liste aufführt. Und für die planbaren Brustkrebs-Operationen kann das Argument regionaler Möglichkeiten erst recht nicht gelten.