WIdO-Chef zum KHVVG: „Chance für eine Dekadenreform“
Am 22. November hat der Bundesrat mit seiner Entscheidung, nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen, den Weg für die Krankenhausreform freigemacht. Für den Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und langjährigen Mitherausgeber des renommierten Krankenhaus-Reports, Jürgen Klauber, ist die Reform mehr als überfällig.
Herr Klauber, was haben Sie gedacht, als letzten Freitag das KHVVG doch noch den Bundesrat passiert hat?
Klauber: Ich habe mich gefreut, dass die Reform kommt. Und ehrlich gesagt bin ich auch ein wenig stolz darauf, dass das Engagement der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Gemeinschaft und des WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… für eine qualitätsorientierte Strukturreform mit seinen jahrelangen Bemühungen auf allen politischen Ebenen dazu beigetragen hat.
Immer wieder haben wir als WIdO in den letzten beiden Jahrzehnten für eine Vielzahl von Indikationen wissenschaftlich nachgewiesen, dass größere Fallzahlen und eine eingespielte Versorgungskette mit besseren Outcomes einhergehen. Immer wieder haben wir diese Erkenntnisse gemeinsam mit verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften öffentlich vorgetragen oder auf Qualitätskongressen, auch zusammen mit großen Krankenhausgruppen wie der Initiative Qualitätsmedizin, platziert. Zuletzt hat die WiZen-Studie für zentrale onkologische Bereiche gezeigt, dass die Versorgung in DKG-zertifizierten Zentren, die eine Mindestfallzahl vorschreiben und mit Struktur- und Prozessvorgaben verknüpfen, zu einem höheren Überleben nach Krebs führt.
Die Krankenhauslandschaft ist also reif für die Reform?
Klauber: Ja, die Reform ist überfällig, aber nicht nur mit Blick auf die Qualitätsmängel der stationären Versorgung. Auch unter wirtschaftlichen und strukturellen Aspekten sind die bestehenden Gegebenheiten schon länger nicht mehr tragbar. Über die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland weist weniger als 200 Betten auf. Diese Kleinstkrankenhäuser können, abgesehen von Spezialkliniken, weder betriebs- noch personalwirtschaftlich sinnvoll geführt werden. Verschärft wird die Situation durch den Fachkräftemangel. Wie Analysen zeigen, sind viele der Kleinsthäuser auch mit Blick auch die zu gewährleistende regionale Sicherstellung nicht erforderlich, Umverteilungseffekte sind zudem empirisch belegt überschaubar.
Alle Fakten liegen auf der Hand, es gibt kein Erkenntnisproblem. Immer wieder hat auch die breite Phalanx der mit dem Krankenhaus Krankenhäuser sind Einrichtungen der stationären Versorgung, deren Kern die Akut- beziehungsweise… -Report verbundenen Gesundheitsökonominnen und -ökonomen dies mit ihren Arbeiten über die Jahre empirisch belegt. Letztlich sollte bei allen offenen Fragen, Diskussionen und politischen Positionierungen zur weiteren Ausgestaltung der Krankenhausreform in der nächsten Legislaturperiode der Bedarf für einen grundlegenden Strukturwandel Konsens sein. Die Reform sollte nun richtungsweisend ausgestaltet werden, nach der DRG-Einführung Anfang der 2000er-Jahre bietet sich hier die Chance auf eine Dekadenreform.
Was sind aus Expertensicht die wichtigsten Pluspunkte des KHVVG?
Klauber: Das Kernstück ist die Einführung der zunächst 65 Leistungsgruppen, für die jeweils Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität festgelegt werden. Die Krankenhäuser erhalten die von ihnen erbringbaren Leistungsgruppen im Rahmen der Krankenhausplanung Die Planung von Krankenhäusern steht in der Verantwortung der Bundesländer, die damit die… der Länder. Mit den avisierten Mindestfallzahlen sollte auf jeden Fall schon einmal einhergehen, dass die vielfach empirisch beleuchtete und belegte Gelegenheitschirurgie, etwa im Bereich der Krebserkrankungen, ein Ende findet. Natürlich wird es immer noch darauf ankommen, in welcher konkreten Form die im kommenden Jahr zu gestaltenden Rechtsverordnungen den Bundesrat passieren, welche Ausnahmeregelungen möglich sein werden und wie die Bundesländer das dann in Praxis leben. Auf jeden Fall kann aber gesagt werden, dass mit den Leistungsgruppen und den damit verknüpften Vorgaben zur Struktur- und Prozessqualität erstmals eine einheitliche Krankenhaus-Planungssprache für Deutschland geschaffen wird, auch wenn diese noch auszugestalten ist.
Welche Fortschritte bringt die Reform in Bezug auf die Finanzierung der Kliniken?
Klauber: Grundsätzlich ist es ein Erfolg, dass das Finanzierungssystem mit der an Leistungsgruppen gekoppelten Vorhaltefinanzierung reformiert wird. Damit wird es möglich, Krankenhäuser zukünftig unabhängiger von der Leistungserbringung zu finanzieren, Fehlanreize zur Mengenerbringung werden reduziert. Wenn es gelingt, künftig einen relevanten Anteil der Finanzierung an Qualitäts- und Zugangskriterien sowie perspektivisch an regionale Bedarfe zu binden, wäre das auch auf der Finanzierungsseite ein großer Fortschritt.
Allerdings ist dieses Ziel nur erreichbar, wenn die jetzt vorgesehene Koppelung an Ist-Fallzahlen für die Bemessung der Vorhaltefinanzierung aufgegeben wird. Sonst besteht die Gefahr, dass die Beibehaltung der bestehenden Strukturen zu sehr gefördert wird, wo sie nicht indiziert ist.
Opposition, Krankenhausvertreter, aber auch Krankenkassen fordern dringend noch Nachbesserungen am KHVVG. Wo müsste auch aus Expertensicht noch unbedingt nachjustiert werden?
Klauber: Zweifellos sind noch viele Fragen zu klären. Drei Rechtsverordnungen zum Finanzierungsmodus, den Leistungsgruppen-Kriterien und den Mindestzahlen sind mit Beteiligung des Bundesrats auf den Weg zu bringen. Grundsätzlich kann man die Unsicherheit und Ängste in manchen Bundesländern, Kommunen und bei den Krankenhäusern nachvollziehen. Und dass Politiker in Wahlkampfzeiten besonders sensibel auf ihre Wahlkreise schauen, liegt ebenfalls auf der Hand. Es ist politisch immer heikel, wenn kleine Krankenhäuser drohen wegzufallen, und sich die Frage stellt, wie man das der Bevölkerung erklärt. Das ändert aber nichts daran, dass es gerade in Zeiten eines länger überfälligen Strukturwandels umso wichtiger ist, diesen gemeinsam auf Bundes- und Landesebene zielgerichtet anzugehen. Wesentlich wird es sein, dass der Abbau der strukturellen Überversorgung In der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung erstellen die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen im… , die leider oftmals mit einer Gelegenheitsversorgung in kleinen Fachabteilungen einhergeht, in den Ballungszentren und verdichteten Räumen als Kern der Reform durchgetragen wird.
Weiterer Handlungsbedarf besteht darüber hinaus bei der Vorhaltefinanzierung: Um die Konservierung der veralteten Strukturen von vornherein zu vermeiden, sollte diese nicht an Ist-Zahlen geknüpft werden, sondern an den bevölkerungsbezogenen Versorgungsbedarf.
Wie bewerten Sie die Reformansätze an der Schnittstelle zur ambulanten Versorgung?
Klauber: Die Förderung der Ambulantisierung ist dringend notwendig. Hier frage ich mich, ob die Anreize dafür ausreichend stark gesetzt sind, wenn die in sektorenübergreifende Versorgungszentren umzuwandelnden Level-1i-Krankenhäuser neben der ambulanten Öffnung weiter stationäre Basisversorgung betreiben können. Zur optimalen Nutzung der Ambulantisierungspotenziale braucht es zusätzlich die Reform der Notfall In Notfällen gewährleistet der Rettungsdienst lebensrettende Maßnahmen und den Transport kranker und… - und Akutversorgung in Verbindung mit dem Rettungswesen, die nun wegen des Bruchs der Koalition erst einmal gestoppt ist.
Problematisch ist letztlich auch das Finanzierungskonstrukt des Transformationsfonds. Es ist ordnungspolitisch nicht nachvollziehbar, weshalb eine zentrale Aufgabe der infrastrukturellen Sicherstellung hälftig von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden soll. Hier werfen verschiedene Beteiligte, nicht nur Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… , die Frage auf, ob diese Lösung verfassungskonform ist.
Bei allen offenen Fragen lautet mein Appell an die beteiligten Akteure auf Bundes- und auf Landesebene gleichwohl, den notwendigen Strukturwandel in der weiteren Ausgestaltung gemeinsam konstruktiv anzupacken. Je später er erfolgt, umso höher werden die gesellschaftlichen Kosten.