Quiet Quitting - Dienst nach Vorschrift: Den Rückzug auf Raten ausbremsen

Beim Quiet Quitting wird nur noch Dienst nach Vorschrift gemacht. Arbeitgeber und Mitarbeitende können hier vorbeugen. Dabei hilft Offenheit.

Foto: Eine junge Frau mit Notebook schaut in die Ferne

Haben wir in Deutschland einen Trend zur "Dienst nach Vorschrift"-Mentalität - neudeutsch auch "Quiet Quitting" genannt? Bei diesem Phänomen arbeiten Beschäftigte nur noch das, was vertraglich festgelegt ist, machen keine Überstunden, bringen keine neuen Impulse mehr ein und identifizieren sich kaum noch mit ihrem Betrieb. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat jetzt untersucht, ob dies für Deutschland gilt - und kommt zu dem Ergebnis: Ein tiefgreifender Trend zum Quiet Quitting sei aktuell nicht erkennbar. Dennoch sei eine gesundheitsfördernde und motivierende Arbeitsgestaltung äußerst wichtig, um Engagement und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten möglichst lange zu erhalten.

 

Noch keine "innere Kündigung"

Der Begriff "Quiet Quitting" wird oft auch mit "innere Kündigung" übersetzt - ist aber nicht damit gleichzusetzen. "Bei einer inneren Kündigung sind die Mitarbeitenden zwar noch physisch anwesend, haben aber gedanklich schon gekündigt. Das Quiet Quitting beschreibt die Haltung, ohne Eigeninitiative nur noch die minimalen Anforderungen des Arbeitgebers zu erfüllen", sagt Dr. Sylvia Böhme, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin bei der AOK. Quiet Quitting geschieht nicht von heute auf morgen: "Arbeitgeber wünschen sich loyale, engagierte Mitarbeitende, Arbeitnehmer hoffen auf angemessene Wertschätzung, Entwicklungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in ihrem Job. Werden die Erwartungen der Mitarbeitenden dann nicht erfüllt, steigt der Frust, das Engagement lässt nach und irgendwann wird dann nur noch Dienst nach Vorschrift abgeleistet", so Psychologin Böhme weiter.

Radio O-Töne von Dr. Sylvia Böhme, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin bei der AOK

Arbeitgeber und Mitarbeitende sind gefordert

Ein Prozess, an dem durchaus beide Seiten ihren Anteil haben können, sagt die AOK-Expertin: "Das Wort 'Quiet' bezieht sich nicht nur auf das Nichtsprechen, sondern auch auf das Nichtschreiben, Nichthören, Vermeiden, Ignorieren beider Seiten.“ Diese Situation, auch „organizational silence“ genannt, bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung hin zum Quiet Quitting. Nicht immer äußern Mitarbeitende ihre Vorstellungen und Bedürfnisse ausreichend - so weiß der Arbeitgeber nicht, was gewünscht ist und kann auch nicht darauf reagieren. Die Forschung hat seitens der Beschäftigten verschiedene Gründe dafür identifiziert: Sie fürchten negative oder schlicht keine Konsequenzen, wenn sie kritische Gedanken äußern, sie wollen Konflikte vermeiden oder den innerbetrieblichen Frieden nicht stören.  Arbeitgeber wiederum zeigten oft zu wenig Wertschätzung und Interesse an den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Beschäftigten. Negative Auswirkungen hat die mangelhafte Kommunikation vor allem auf das vertrauensvolle Betriebsklima, die Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. Oft gehen also der inneren Kündigung längere Phasen beruflicher Unzufriedenheit voraus.

Offenes Gespräch über jeweilige Erwartungen wichtig

Hier ist es wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen, oder besser von Anfang an eine offene Gesprächskultur zu leben: Offene Worte und eine gegenseitige Kompromissbereitschaft können helfen, dieser Entwicklung vorzubeugen oder sie aufzuhalten und - ganz wichtig - sind transparente Prozesse auf der Organisationsebene. "Beschäftigte haben durchaus unterschiedliche Bedürfnisse. Während einige vor allem mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Perspektiven brauchen, suchen insbesondere Jüngere nach einer guten Work-Life-Balance", sagt Böhme. Diese Bedürfnisse sollte der Arbeitgeber kennen, um entscheiden zu können, ob die Gehaltserhöhung oder eine größere Autonomie und Flexibilität als Anerkennung für erbrachte Leistungen die richtige Maßnahme sind.

Eine höhere Wertschätzung und Berücksichtigung der Bedürfnisse der Mitarbeitenden sorgen zudem nicht nur für größeres Wohlbefinden der Beschäftigten - sie stärken auch die Produktivität und Innovationskraft eines Unternehmens und damit letztlich den Standort Deutschland. Denn auch, wenn es hierzulande keinen Trend zum Quiet Quitting gibt: Die Studie der BAuA zeigt, dass die Bereitschaft von Beschäftigten, sich beruflich proaktiv einzubringen, in den letzten Jahren gesunken ist: Gaben 2017 noch 87 Prozent der Befragten an, die Probleme auf der Arbeit aktiv anzugehen, waren es 2021 nur noch 81 Prozent.