Herzangst: Wenn das Vertrauen ins eigene Herz verloren geht
Das Herz schlägt bis zum Hals, dann stolpert es und scheint kurz auszusetzen. Angst macht sich breit. Die Hände werden feucht. Ob es schwarz vor den Augen wird? Für nicht wenige Menschen in Deutschland sind diese Beschwerden Alltag. Menschen mit Herzangst sind oft nicht herzkrank, sondern leiden an Symptomen, die so ähnlich auch bei einer Herzerkrankung auftreten könnten.
„Herzangst oder früher auch Herzneurose genannt, gehört zu den somatoformen Funktionsstörungen. Dabei erleben betroffene Menschen herztypische Symptome und führen das darauf zurück, dass ihr Herz krank sein könnte, auch wenn Untersuchungen bereits gezeigt haben, dass es gesund ist. Sie haben zum Beispiel Sorge einen Herzinfarkt zu bekommen. Es ist die Angst, dass die Symptome von einer Herzerkrankung stammen, die die körperlichen Beschwerden dann verstärkt“, sagt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband.
Bei Symptomen ist medizinische Abklärung der erste Schritt
Menschen mit einer sogenannten Herzneurose haben also Symptome, die einer Herzerkrankung ähneln. Dazu zählen Herzrasen, ein erhöhter Puls, Herzstechen, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Schwindel, Schweißausbrüche, Atemnot oder Brustenge. Solche Symptome können tatsächlich auf eine Herzerkrankung hindeuten. Deshalb sollten sie ärztlich abgeklärt werden, wenn sie erstmals auftreten. Ein EKG, ein Belastungs- und ein Langzeit-EKG oder eine Echokardiografie sowie Laboruntersuchungen können ersten Aufschluss geben, ob die Symptome tatsächlich vom Herzen kommen. Je nach Konstellation können auch weiterführende Untersuchungen durchgeführt werden. Kann die Ärztin oder der Arzt keine körperlichen Ursachen feststellen, halten die Symptome weiterhin an und entwickeln eine typische Dynamik, ist davon auszugehen, dass die Beschwerden seelisch bedingt sind.
Körperliche Beschwerden und Angst führen in einen Teufelskreis
Für die meisten Menschen mit Herzangst sind die Beschwerden beängstigend – umso mehr, je mehr Aufmerksamkeit sie ihnen schenken. „Die Beschwerden sind real und sehr belastend, denn das Herz ist ja ein enorm wichtiges Organ für uns“, erläutert die Fachärztin. Viele fangen an, nach möglichen Erklärungen im Internet zu suchen. Das, was sie dort finden, macht ihnen noch mehr Angst. Der Körper reagiert entsprechend: Der Blutdruck steigt, der Puls wird schneller und die Angst, dass etwas nicht stimmt, noch größer. Ein Teufelskreis, der bei manchen laut Maroß zu regelrechten Panikattacken mit Todesangst führen kann.
Dabei hat Angst für Menschen eine wichtige Schutzfunktion: Sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, damit er schnell reagieren kann, beispielsweise bei Gefahr. Nimmt die Angst um die eigene Herzgesundheit allerdings überhand, können „Attacken“ sich negativ auf die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität auswirken. „Weil viele Betroffene befürchten, ihre Beschwerden könnten sich verschlimmern, versuchen sie sich zu schonen und schränken sich in Alltagsaktivitäten ein. Sie machen keinen Sport mehr, gehen nicht raus, treffen keine Freunde, reisen nicht. Ihre allgemeine Fitness nimmt ab. Die Symptome können dann häufiger auftreten, weil der Körper keine Belastungen mehr gewohnt ist und zum Beispiel schneller mit Herzklopfen reagiert“, so Dr. Maroß.
Therapie stärkt Vertrauen in den eigenen Körper
Viele Betroffene leiden unter leichten Formen der Herzangst und kommen im Alltag gut damit klar. Wenn die Herzangst deutliche Auswirkungen auf das alltägliche Leben hat, kann den Betroffenen vor allem eine psychologische Betreuung helfen. Mit fachkundiger Unterstützung können sie erkennen, welche Rolle ihre persönlichen Erlebnisse in der Entstehung der Krankheit gespielt haben. „Zeit und einfühlsame Gespräche sind wichtige Faktoren in der Behandlung von Herzangst. Sie helfen den Betroffenen sich bewusst zu werden, dass es sich um komplexere Zusammenhänge von Körper und Seele handelt, und wie sich das im eigenen Fall gestaltet. Sich dies zu vergegenwärtigen, ist für viele wirklich nicht leicht“, sagt Dr. Maroß.
Bei einer sogenannten Verhaltenstherapie können Patientinnen und Patienten außerdem lernen, mit Herzangstattacken umzugehen sowie die eignen Gedanken und Ängste zu steuern und zu verändern. Atmungs- und Entspannungstechniken wie die progressive Muskelentspannung können trainiert werden. Sie tragen dazu bei, die Symptome zu bewältigen und mit Stresssituationen besser umzugehen. Und schließlich bringen bewegungstherapeutische Inhalte das Vertrauen ins eigene Herz zurück. In einer geschützten Umgebung und mit Begleitung erkennen die Betroffenen, dass ihr Herz körperliche Anstrengung gut verkraften kann. „Für das Herz ist die Bewegungslosigkeit die eigentliche Gefahr. Insofern ist die Rückkehr in einen normalen Alltag mit leichten Sporteinheiten wie Radfahren, Walking oder Schwimmen sehr wichtig“, so Dr. Maroß.
Angehörige und Selbsthilfegruppen können Betroffene unterstützen
Die Rolle der Angehörigen ist nicht einfach. Einerseits sind sie eine wichtige Säule, um das Leiden des Betroffenen ernst zu nehmen. Andererseits ziehen sich die Betroffenen oft zunehmend von Aktivitäten des Alltags zurück. Das macht das Zusammenleben mit ihnen schwierig. Angehörige geraten daher leicht in den Teufelskreis aus Vermeidungsverhalten und Angst mit hinein, indem sie den Betroffenen ständig begleiten müssen, ihren eigenen Radius und ihre Aktivitäten aus Rücksicht einengen oder immer wieder nach neuen Ärzten suchen. Beide Seiten verstehen im besten Fall, dass der Ausweg darin besteht, körperliche Wahrnehmungen neutraler zu interpretieren und trotz dieser Wahrnehmungen Schritt für Schritt in einen aktiveren Alltag zurückzukehren. Auch Selbsthilfegruppen können zum Behandlungserfolg beitragen. „Dort besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und dadurch wieder das Vertrauen in sich und den eigenen Körper zu gewinnen.“