Wieder gesund essen

Kann bei Magersucht eine ambulante Therapie genauso gut wirken wie eine stationäre? Dieser Frage geht ein neues Innovationsfondsprojekt unter Beteiligung der AOK nach.

Ilustration eines Mädchens beim Essen

Magersucht wird ab einem gewissen Schweregrad hierzulande in der Regel vollstationär behandelt. Drei bis sechs Monate verbringen die betroffenen, jungen Menschen in einer Einrichtung. Nach der Entlassung kommt es bei knapp einem Drittel zu einem Rückfall, der häufig einen erneuten Krankenhausaufenthalt erfordert. Vor allem im angelsächsischen Raum hat sich stattdessen ein ambulantes Therapieverfahren bewährt, bei dem die Eltern von Beginn an eng in die Behandlung einbezogen werden. Es heißt Familien-Basierte Therapie (FBT). „In den Behandlungsleitlinien in den USA und England wird die FBT als evidenzbasierte Therapie der ersten Wahl empfohlen“, berichtet Verena Haas, die an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin das neue Innovationsfondsvorhaben dazu leitet.

Im Projekt „Familien-Basierte, telemedizinische vs. Institutionelle Anorexia Nervosa Therapie“ (FIAT) wird die Familien-Basierte Therapie mit der stationären Standardversorgung verglichen. Zwölf Monate lang werden 100 Kinder im Alter von acht bis 17 Jahren telemedizinisch mit FBT behandelt. Ihnen gegenüber steht eine gleichgroße Kontrollgruppe mit Kindern, die die stationäre Regelversorgung erhalten. „Wir gehen davon aus, dass es für die Jugendlichen von Vorteil ist, möglichst im familiären, sozialen und schulischen Umfeld zu verbleiben, um dort gesund werden zu können“, sagt Haas. Die Ergebnisse einer bereits durchgeführten und im International Journal of Eating Disorders veröffentlichten Pilotstudie bestätigen diese Annahme überwiegend. In ganz Deutschland beteiligen sich 20 Studienzentren an der bislang weltweit größten Vergleichsstudie dieser Art. In Baden-Württemberg ist es das Uniklinikum Tübingen und das Diakonie- Klinikum Stuttgart. Die AOK Baden- Württemberg ist Konsortialpartnerin des Innovationsfondsprojekts.

„In der ersten Phase des Projekts werden wir mit den Kliniken Selektivverträge für die neue Versorgungsform schließen“, sagt Lena Flagmeier, Versorgungsinnovatorin der AOK Baden-Württemberg. „Uns geht es darum, den betroffenen Personengruppen schnelle und evidenzbasierte Therapie zur Verfügung stellen zu können.“ Wichtige Aspekte sind kürzere Wartezeiten und dass das ambulante, telemedizin-basierte Konzept auch im ländlichen Raum gut funktioniere. Studien aus den USA haben bereits belegt, dass die Wirksamkeit der FBT durch den telemedizinischen Ansatz im Vergleich zur Präsenztherapie nicht unterlegen war. Die Interventionsphase startet im Januar 2025. Nach der Eingangsuntersuchung und ausführlichen Informationen folgen für die Familien zirka 25 FBT-Sitzungen in einem Zeitraum von maximal zwölf Monaten, begleitet durch ein engmaschiges (Gewichts-) Monitoring.

Beteiligt ist ein interdisziplinäres Team aus den Fachbereichen Psychologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädiatrie sowie Ernährungstherapie. „Wir erhoffen uns gute Ergebnisse, um die neue Versorgungsform weiterhin durchzuführen“, so Flagmeier. „Entweder über einen Selektivvertrag oder durch die Aufnahme in die Regelversorgung.“

Abnehmen als Sucht

Dieses Bekenntnis hat viele betroffen gemacht: Als Schauspielerin Karoline Herfurth vergangenes Jahr den Ernst-Lubitsch-Preis in Empfang nahm, offenbarte sie in ihrer Dankesrede, dass sie eine Magersucht-Überlebende sei. Anorexia nervosa ist eine schwere Erkrankung und kann in Extremfällen tödlich enden. 2022 wurden in deutschen Krankenhäusern 9.775 Fälle diagnostiziert. Von den im selben Jahr 58 registrierten Todesfällen durch Essstörungen ließen sich 41 auf Magersucht zurückführen. Die Sterberate bei Magersucht ist fast sechsmal höher als bei anderen psychischen Erkrankungen. Betroffen von der Abnehmsucht sind vor allem junge Frauen und Mädchen. Die Krankheit tritt durchschnittlich im Alter von 14 bis 15 Jahren zum ersten Mal auf. Magersüchtige Menschen haben ein gestörtes Körperbild und empfinden sich auch mit starkem Untergewicht noch als zu dick. In der Covid-Pandemie und vor allem in den Zeiten der Lockdowns ist die Zahl an Neuerkrankungen deutlich gestiegen.