Den Gemeinsinn fördern
Ab 2025 können Kommunen Fördergelder für Modellvorhaben in der Pflege erhalten. Die Gemeinde Ibach setzt auf unbürokratische Lösungsansätze und belastbare Netzwerke.
Seit Juli 2023 ist das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) in Kraft. Öffentlich viel diskutiert wurden die beschlossenen Beitragssatzerhöhungen. Weniger präsent dürfte sein, dass das Gesetz auch eine finanzielle Förderung für Modellvorhaben in der Pflege vorsieht. Und zwar für „Unterstützungsmaßnahmen und -strukturen vor Ort und im Quartier“. Baden-Württemberg bemüht sich um diese Modellvorhaben. Im vergangenen Jahr wirkte das Land darauf hin, dass der entsprechende Passus wieder in das PUEG aufgenommen wurde, nachdem er im vorparlamentarischen Prozess aus dem Referentenentwurf gestrichen worden war.
Schließlich muss dringend etwas passieren. Daseinsfürsorge ist Aufgabe der Kommunen. Doch für viele Gemeinden wird es immer schwieriger. Geld ist das eine Problem, der Fachkräftemangel das andere. Die Babyboomer gehen nach und nach in Rente. Darunter sind viele professionelle Pflegekräfte. Der Nachwuchs kompensiert das nicht. Demgegenüber steht eine wachsende Zahl an Pflegebedürftigen. „Die Schere geht immer weiter auseinander“, sagt Helmut Kaiser, ehrenamtlicher Bürgermeister von Ibach im Landkreis Waldshut. „Das führt dazu, dass nicht mehr der gesamte Bedarf bedient werden kann.“ Hinzu kommen die weiten Strecken auf dem Land. Die Caritas-Sozialstation St. Blasien, die auch Ibach bedient, ist für sieben Gemeinden zuständig. „Die bezahlten Entgelte bilden die Wege nicht ab. So kann niemand wirtschaftlich arbeiten“, sagt Kaiser, der als Kommunen-Vertreter auch im Aufsichtsrat der Sozialstation Hochrhein sitzt.
„Wir brauchen Netzwerke ohne viel Bürokratie.“
Ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Ibach
Im März hat Kaiser zusammen mit Vertretern der Sozialstation an einem Workshop beim Sozialministerium in Stuttgart teilgenommen. Hier konnten sich Kommunen und Leistungserbringer über die Fördermöglichkeiten für Modellvorhaben informieren. Die genauen Verfahrensregeln sollen im Sommer feststehen. Für Baden-Württemberg geht es um bis zu vier Millionen Euro pro Jahr vom Bund, wenn Land und Kommune dieselbe Summe beisteuern. Die Gemeinde Ibach will sich zusammen mit den Umlandgemeinden, der örtlichen AOK, dem Landkreis Waldshut, den Nachbarschaftshilfen und der Sozialstation um die Fördermittel bewerben. „Wir können die Situation nur meistern, wenn wir Netzwerke ohne viel Bürokratie aufbauen“, so Kaiser. Mit der Nachbargemeinde Dachsberg hat Ibach hierzu bereits einen „Bürger für Bürger“-Verein. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Kaiser: „Wir wollen ein Umfeld kreieren, in dem Familie, Freunde und Nachbarn Hand in Hand arbeiten, um Pflege so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.“ Das Konzept für den Förderantrag soll die Vor-Ort-Bedingungen aufgreifen und konkrete Lösungen aufzeigen, dazu werden Pflegelehrgänge und Netzwerkbildung zählen.
Standpunkt: Modellvorhaben Pflege - Kommunen ans Ruder
Erinnern Sie sich noch an die Modellkommunen? Unter diesem Stichwort sollten in der letzten Legislaturperiode Leuchtturmprojekte in der Pflegeberatung gefördert werden. Dazu ist es bundesweit nicht gekommen. Die Hürden waren zu hoch. Geblieben ist die Erkenntnis, dass der Blick in den Sozialraum und die Notwendigkeit, eine Sozialraumplanung und Vernetzung der regionalen Akteure bedeutsam sind. In diesem Sinne ist die nun durch das PUEG anberaumte Förderung von Modellvorhaben ein kleiner, aber wichtiger Mosaikstein im großen Bild der Etablierung einer nachhaltigen Versorgung. Von 2025 bis 2028 fördert der Spitzenverband Bund der Pflegekassen regionalspezifische Modellvorhaben mit bis zu 30 Millionen Euro je Kalenderjahr aus dem Ausgleichsfonds. Kommunen und Land sollen das Geld erhalten, wenn sie noch einmal so viel dazutun. Heruntergerechnet bedeutet das für den Südwesten vier beziehungsweise acht Millionen Euro. Das sind keine Riesensummen. Und doch stellt diese zusätzliche Mehrbelastung die Kommunen vor Herausforderungen angesichts der Fülle von zu bewältigenden Ausgaben – auch jenseits der Pflege. Sie müssen priorisieren.
Die Kommunen müssen befähigt werden, ihre Rolle der Daseinsfürsorge für Menschen im Alter einzunehmen. Vor dem Hintergrund geringer werdender Ressourcen und wachsender Versorgungsinfrastrukturprobleme muss der Sozialraum dabei an Bedeutung gewinnen. Menschen mit Pflegebedarf kommen sonst zunehmend unter die Räder und der sozialpolitische Sprengstoff könnte sich auch daran entzünden.