Gesundheit mit Geschmack
Süß, salzig oder doch lieber bitter? Menschen haben unterschiedliche Geschmacksvorlieben. Warum das so ist und wie sich Verbraucher in unserer Überflussgesellschaft nachhaltig und gesund ernähren können, gehört zum Forschungsgebiet mehrerer Universitäten. Eine davon befindet sich in Baden-Württemberg
Rund zehn Kilometer vom Stuttgarter Zentrum, im Stadtbezirk Plieningen, befindet sich der Campus der Universität Hohenheim. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind Agrar-, Natur-, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften. Die Universität hat eine lange Tradition. 2018 feierte sie ihr 200-jähriges Jubiläum. Rund 9.000 Studentinnen und Studenten sind in diesem Semester eingeschrieben. 125 Professorinnen und Professoren forschen und lehren am Campus. Eine ist die Ernährungswissenschaftlerin Barbara Lieder. Seit September leitet die 38-Jährige das Fachgebiet Humanernährung und Diätetik. Das Interesse am Thema Ernährung wurde der Münchnerin in die Wiege gelegt. Gemeinsames Essen hat in ihrer Familie immer eine wichtige Rolle gespielt. Während ihr Großvater als Koch gutes Essen zubereitete, liegt ihr Augenmerk auf den Mechanismen hinter dem Zusammenspiel von Geschmacksrezeptoren und Nahrungsaufnahme.
„Bei meiner Forschung geht es darum, welche Faktoren unsere Geschmackswahrnehmung und Vorlieben beeinflussen und wie das die hormonelle Regulierung der Nahrungsaufnahme steuert“, erläutert sie. Umgekehrt kann die Nahrungsaufnahme auch einen Einfluss auf die Geschmackswahrnehmung haben. Besonders fasziniert sie, wie Lebensmittelinhaltsstoffe auf den Körper wirken und warum unsere Geschmacksvorlieben so sind, wie sie sind beziehungsweise, ob man sie beeinflussen kann. „Das Wechselspiel zwischen dem, was wir zu uns nehmen, und genetischen Mechanismen beeinflusst unsere Auswahl, und das kann zu einem Teufelskreis führen“, bringt sie das Problem auf den Punkt.
Denn Mechanismen, die evolutionär sinnvoll waren, können heute kontraproduktiv sein. So ist zum Beispiel unsere Vorliebe für Sü.es aus evolutionärer Sicht eigentlich sinnvoll. Der süße Geschmack galt im Gegensatz zum bitteren Geschmack, der eher als „riskant giftig“ eingeschätzt wurde, schon immer als „sicher“. Das schaffe aber aufgrund der heutigen leichteren Verfügbarkeit mit zahlreichen zuckerhaltigen Nahrungsmitteln Probleme, erklärt Barbara Lieder. Auch übergewichtige Menschen könnten mangelernährt sein, aber Mangelernährung werde meist mit Entwicklungsländern assoziiert.
Es geht also um die Frage, wie man es schafft, Menschen dazu zu bringen, gesunde Lebensmittel auszuwählen, obwohl sie von Natur aus Sü.es bevorzugen. „Wir müssen die Prinzipien dahinter verstehen, um Menschen zu einem gesunden Essverhalten zu motivieren“, so Lieder.
„Es geht um die Frage, wie man es schafft, Menschen dazu zu bringen, gesunde Lebensmittel auszuwählen, obwohl sie von Natur aus Süßes bevorzugen.“
Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Hohenheim
Noch großer Forschungsbedarf
Aktuell forscht Barbara Lieder am Thema Geschmackswahrnehmung und ihr Wechselspiel mit physiologischen Mechanismen. Dabei wird genau untersucht, wie Rezeptoren im Mund aktiviert werden und wie verschiedene Stoffe schmecken. So gibt es keinen anderen Stoff, der das gleiche Geschmacksprofil wie Zucker hat. Süßstoffe haben ein anderes zeitliches Profil. Sie brauchen meist etwas Zeit, bis sich die Süße aufgebaut hat, und haben dafür einen Nachgeschmack. „Wenn Sie beispielsweise Cola light trinken, haben Sie auch danach noch den Süß-Geschmack im Mund. Das finden wir unangenehm, denn das ist bei Zucker nicht der Fall. Und wie sich das physiologisch auswirkt, ist noch recht unbekannt“, erklärt sie.
Denn Süß-Rezeptoren gibt es nicht nur im Mund, sie sind im ganzen Körper verteilt. Auch im Dünndarm. Dort sind sie an der Ausschüttung von Hormonen beteiligt, die für unseren Stoffwechsel wichtig sind. „Wenn aber Zuckerersatzstoffe ein völlig anderes sensorisches Profil haben, müssen wir uns die Frage stellen, was das mit unserem Körper macht und ob es eine andere Wirkung auf den Stoffwechsel hat“, erläutert sie. Dazu führt sie gemeinsam mit ihrem Team Sensorik-Studien durch. Probandinnen und Probanden verkosten süße Nahrungsmittel. Ihre Wahrnehmung wird dokumentiert. Danach werden Untersuchungen, also beispielsweise Blutuntersuchungen oder Körpertemperaturmessungen, vorgenommen, um die Effekte im Körper unter die Lupe zu nehmen. Eines der Forschungsergebnisse weist darauf hin, dass die Aufnahme von Saccharose, also Haushaltszucker, unabhängig von seinem Energiegehalt über die Süßgeschmacksrezeptoren die Sättigungsregulation sowie die Energieaufnahme verändert. „Es besteht hier noch viel Forschungsbedarf, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Zuckerkonsum, Geschmacksrezeptoren und Sättigungsregulation auf molekularer Ebene zu klären.“
Folgeerkrankungen vermeiden
Stichwort Zucker: 187 Millionen Tonnen werden weltweit jedes Jahr konsumiert – dreimal mehr als vor 50 Jahren. „Gut 35 Kilogramm verbrauchen wir Deutschen pro Kopf und Jahr, das sind quer durch alle Altersgruppen etwa 95 Gramm Zucker am Tag. Das entspricht 31 Stück Würfelzucker“, sagt Gabi Weidner, Diplom-Ökotrophologin bei der AOK Baden-Württemberg. Rund dreimal so viel, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für vertretbar hält. Sie empfiehlt je nach Alter nicht mehr als zehn Prozent, idealerweise nur fünf Prozent, der täglichen Kalorien als Zucker aufzunehmen. Das entspräche einer Menge von circa 50 Gramm für Erwachsene beziehungsweise 25 Gramm für Kinder. Das entspricht etwa 44 Gramm Schokolade. Der meiste Zucker ist versteckt in Getränken, Süßigkeiten, Gebäck und Milchmischgetränken. Er lauert auch in Unerwartetem: Gewürzgurken, Rotkohl, Ketchup und Frühstücksflocken.
„Gut 35 Kilogramm Zucker verbrauchen wir Deutschen pro Kopf und Jahr, das sind quer durch alle Altersgruppen etwa 95 Gramm Zucker am Tag.“
Spezialistin für Ernährung bei der AOK Baden-Württemberg
Gezuckerte Getränke sind ein Risiko
Der hohe Zuckerkonsum bereitet Ernährungsexperten und Medizinern schon lange Sorgen. Denn er steht in dringendem Verdacht, krank zu machen. Karies ist sicherlich die bekannteste Folge von häufigem Naschen und der Vorliebe für süße Getränke. Auch mit zahlreichen anderen Krankheiten wird Zucker in Verbindung gebracht. Arterienverkalkung, bestimmte Krebserkrankungen, Demenz und Depressionen gehören dazu. Eindeutig bewiesen sind diese Zusammenhänge bisher jedoch nicht. „Wissenschaftlich gesichert ist aber, dass gezuckerte Getränke das Risiko für Übergewicht und Diabetes erhöhen“, erläutert Weidner. „Sie sind sehr kalorienreich und erzeugen, in größeren Mengen getrunken, einen dauerhaften Energieüberschuss, der Übergewicht begünstigt.“ Und ist das erst da, sind Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oft die Folge. Zudem kann übermäßiger Zuckerkonsum auch den Stresslevel deutlich erhöhen und dadurch zu depressiven Symptomen führen. Gabi Weidner empfiehlt deshalb prinzipiell Ernährungsweisen, die überwiegend Gemüse, Obst, Kartoffeln, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte sowie Nüsse und pflanzliche Öle enthalten. Dadurch erhält der Körper lebensnotwendige Nährstoffe, Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und ungesättigte Fettsäuren zugeführt. Meist zeichnen sie sich durch weniger Energie und gesättigte Fettsäuren aus als Ernährungsformen, die einen höheren Anteil tierischer Lebensmittel beinhalten.
Ernährungsstrategie auf dem Weg
Auf eine ausgewogene und umweltschonende Ernährung setzt auch die vom Bundeskabinett Mitte Januar verabschiedete Ernährungsstrategie. Sie enthält ein Bündel von 90 bereits bestehenden und geplanten Maßnahmen. So baut sie etwa auf der Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten und dem Nationalen Aktionsplan IN FORM auf und will diese weiterentwickeln in einem dynamisch, lernenden Prozess.
Ziel der Ernährungsstrategie der Bundesregierung ist es, gute Ernährungsweisen für alle Menschen so einfach wie möglich zu machen. „Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt“, sagte Bundesminister Cem Özdemir bei der Vorstellung. Das soll erreicht werden, indem etwa entsprechend vorteilhafte Ernährungsumgebungen und -muster gefördert und geschaffen werden, die es Menschen einfach machen, gesund zu essen – von der Säuglings- und Kinderernährung über die Betriebskantine bis zum Supermarktregal. Dieser Beitrag zur Transformation des Ernährungssystems kann für den Klima- und Artenschutz und damit auch für die Ernährungssicherheit der Zukunft von großer Bedeutung sein. Erste Maßnahmen sind bis 2025 vorgesehen.
Für Barbara Lieder sind offene und motivierte Beschäftigte von Bedeutung. Nur so können gute Forschungsergebnisse erzielt werden. Neben den beiden Doktorandinnen Jana Schmidt und Joudy Al Assar wird ihr Team bald durch einen weiteren Wissenschaftler aus Neuseeland verstärkt. „Ich freue mich darauf, denn das führt zu mehr Austausch, Diskussionen und Impulsen, und die können wir bei unseren Forschungsarbeiten gut gebrauchen.“