Standpunkt: Marktmacht der EU nutzen
Die AOK-Gemeinschaft setzt sich für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung ein. Die Politik muss ebenfalls aktiv werden – vor allem auf europäischer Ebene.
Vor fast 20 Jahren erweiterte der Gesetzgeber die Möglichkeiten für Krankenkassen, Versorgungsverträge mit Arzneimittelherstellern abzuschließen. Seither ist viel passiert. Die AOK Baden-Württemberg verhandelt die Arzneimittelrabattverträge im patentfreien Markt federführend für die AOK-Gemeinschaft und spielt bei der Weiterentwicklung der Verträge eine aktive Rolle. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Versorgung. Der Preis ist nicht mehr das einzige entscheidende Kriterium. Die AOK ist bereit, mehr zu bezahlen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. 2020 wurde ein Umweltkriterium in die Vergabe von Antibiotika-Verträgen aufgenommen. Unternehmen, die sich freiwillig verpflichten, der Einhaltung einer wirkungsbasierten Maximalkonzentration in dem Produktionsabwasser zuzustimmen und eine Überprüfung zuzulassen, erhalten bevorzugt den Zuschlag. Dies ist wichtig, da bei der Herstellung dieser lebenswichtigen Arzneimittel antimikrobielle Resistenzen entstehen können, was sowohl für die menschliche Gesundheit als auch die Umwelt gefährlich ist. Proben aus Gewässern, die von Produktionsstätten beeinflusst werden, zeigten in Europa, Indien und China teilweise erhebliche Grenzwertüberschreitungen. Es braucht hier dringend europäische oder sogar weltweite Regelungen.
„Eine nachhaltige Arzneimittelversorgung ist ökonomisch, sozial und ökologisch ein Thema auf europäischer Ebene.“
Alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates der AOK Baden-Württemberg, Arbeitgeberseite
Ein weiteres Kriterium in den Rabattverträgen war der Nachweis einer geschlossenen Lieferkette in Europa. Einige Pharmaunternehmen haben allerdings dagegen geklagt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärte das Lieferkettenkriterium als nicht mit dem EU-Vergaberecht vereinbar. Dadurch wurde der AOK Baden-Württemberg ein wichtiges Steuerungsinstrument genommen.
2023 hat der Gesetzgeber mit dem Arzneimittel-Lieferengpass- Bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) zwar eine Regelung verabschiedet, wonach auch ein sogenanntes EU-Los für Antibiotika und mittlerweile auch für Onkologika ausgeschrieben werden muss. Dieser Ansatz ist jedoch unzureichend. Auch hier braucht es europäische Lösungen, da Deutschland nur vier Prozent des globalisierten Arzneimittelmarktes ausmacht.
„2020 haben wir Umweltkriterien in unseren AOK-Rabattverträgen eingeführt.“
Ein einheitlicher Rahmen auf EU-Ebene ist notwendig, um die Marktmacht der EU für mehr Diversifizierung und bessere Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit zu nutzen. Die Arzneimittelhersteller müssen zukünftig europaweit durch verbindliche Regelungen für die Qualität und Verfügbarkeit in allen Ländern der Europäischen Union in die Verantwortung genommen werden. Das EU-Pharma-Paket ist hierfür ein Schritt in die richtige Richtung, reicht jedoch noch nicht aus. Verpflichtende Umweltkriterien und Überprüfungen sowie umfassende Transparenz über das Liefergeschehen sowie ausreichende Lagerhaltung sind erforderlich. Die EU-Staaten sind jetzt gefordert, Verbesserungen in diesen Bereichen im Rat zu erzielen.