Mit starkem Rücken

Rund 20 Millionen Deutsche suchen mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen eine Ärztin oder einen Arzt auf. Meistens verschwinden die Beschwerden wieder. Manchmal jedoch werden sie chronisch und schränken die Lebensqualität stark ein. Ein Beispiel aus Schwäbisch Gmünd zeigt, was gegen die Volkskrankheit hilft.

Ein Mann sitzt, einen Frau steht neben ihm
Gezieltes Training: Bianca Stöppler betreut Volker Förstner am Trainingsgerät Butterfly Reverse.

Mittwoch, kurz nach 14 Uhr im AOK-Rückenstudio in Schwäbisch Gmünd: Volker Förstner trainiert am Butterfly Reverse, einem Gerät, das seine Schulter- und Rückenmuskulatur besonders effektiv stärkt. Es ist eines von fünf computergestützten Trainingsgeräten des AOK-RückenKonzepts, die er heute nutzt. Der 49-Jährige, gelernter Karosserie- und Fahrzeugbauer, arbeitet als Lkw-Mechaniker bei einem großen Nutzfahrzeug- Hersteller in Stuttgart. Einmal pro Woche, immer mittwochs, kommt er direkt nach der Arbeit ins AOK-Rückenstudio. Dort absolviert er eine Stunde lang unter qualifizierter Betreuung sein Programm, auf das er nicht mehr verzichten möchte.

Zurück zur Lebensqualität

Ein Mann liegt auf dem Boden, Frau beugt sich über ihn
Für weniger Schmerzen und mehr Fußball im Leben: Neben dem Gerätetraining werden auch Übungen zur Mobilisation und Kräftigung vermittelt.

Die Effekte des regelmäßigen Trainings sind spürbar und nachhaltig. Immer besser bekommt er seine gesundheitlichen Defizite in den Griff und erlangt zunehmend seine frühere Lebensqualität zurück. Seine Rückenprobleme begannen bei der Gartenarbeit zu Hause, als es ihm plötzlich in den unteren Rücken schoss. Volker Förstner litt unter nie gekannten Schmerzen. Selbst kurze Strecken zu gehen, fiel ihm schwer. Gerne hätte er mit seinen beiden Töchtern Fußball gespielt – undenkbar. Ohne Schmerzmittel und Entzündungshemmer war sein Alltag kaum zu meistern. „Wenn ich heute meinen Gesundheitszustand mit dem vor wenigen Monaten vergleiche, liegen Welten dazwischen“, sagt er.

Bianca Stöppler von der AOK-Bezirksdirektion Ostwürttemberg bestätigt: „Volker Förstner hat die Funktion seiner Wirbelsäule durch gezieltes Training verbessert“, so die 41-Jährige. Das Programm ist für ihn als AOK-Versicherten kostenfrei. Eine Empfehlung seines Arztes ermöglicht ihm die Teilnahme. Es gibt 47 AOK-Rückenstudios in Baden- Württemberg, in denen rund 30.000 AOK-Kunden, darunter immer mehr Männer, das Angebot nutzen. Rund 220 Trainerinnen und Trainer gewährleisten bei jährlich über 600.000 Trainingseinheiten eine qualifizierte Betreuung.

Das Trainingsmodul ist multimodal aufgebaut und umfasst aerobes Aufwärmen, dynamisches Krafttraining, funktionelle Gymnastik und Stretching. Es besteht aus 36 Einheiten à 60 Minuten, verteilt auf 24 Wochen. Das Programm startet mit einem Eingangstest. Die AOK-Sportfachkräfte erstellen anhand einer ausführlichen Anamnese und standardisierter Übungen ein computerermitteltes Kraft- und Beweglichkeitsprofil der Wirbelsäule. Darauf basierend erhält jeder Teilnehmende einen individuellen Trainingsplan. In der ersten Einheit lernen die Teilnehmenden die Übungen und Geräte kennen, angeleitet von den AOK-Trainern. Danach trainieren sie eigenverantwortlich, wobei die AOK-Fachkräfte stets vor Ort sind, Trainingsprotokolle auswerten und den Plan anpassen.

„Wenn ich heute meinen Gesundheitszustand mit dem vor wenigen Monaten vergleiche, liegen Welten dazwischen.“

Volker Förstner

Karosserie- und Fahrzeugbauer, Teilnehmer beim AOK-RückenKonzept

Lindert Schmerzen und spart Kosten

Zusätzlich zu den gerätegestützten Übungen zeigen die Trainer Mobilisations- und Kräftigungsübungen für zu Hause. „Sie erlernen auch ergonomische Verhaltensweisen sowie Arbeits- und Hebetechniken, um Rückenprobleme zu verhindern oder zu lindern“, erklärt Bianca Stöppler. Ein Abschlusstest dokumentiert die Trainingserfolge. Jede weitere regelmäßige sportliche Aktivität wie Laufen, Walking, Schwimmen oder Radfahren verstärkt die positiven Effekte für den Rücken. „Um die Motivation zu erhalten, sollte Bewegung Spaß machen“, betont Bianca Stöppler. Psychosoziale Faktoren können ebenfalls eine Rolle spielen. Sie beeinflussen, ob akute Schmerzen chronisch werden. „Wer viel Stress hat und dauerhaft angespannt ist, bekommt häufig Verspannungen und spürt die Schmerzen im Rücken dann noch schneller und intensiver“, sagt Bianca Stöppler.

Eine Frau sitzt vor einem Bildschirm, ein Mann steht neben ihr
Gesundheit unter der Lupe: Dr. Valeska Hofbauer-Milan und Professor Gerhard Müller im Austausch zu aktuellen Studienergebnissen.

Das AOK-RückenKonzept hilft bei Beschwerden und ist ein gelungenes Beispiel für Prävention. Gerhard Müller, Sportwissenschaftler bei der AOK-Hauptverwaltung, ist davon überzeugt. Der 60-Jährige, der auch am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) lehrt, hat das Programm auf seine ökonomischen und gesundheitlichen Effekte untersucht. Die Ergebnisse bestätigen die Wirksamkeit des Programms: „Die Rückenschmerzen der Teilnehmer sanken im Durchschnitt um 38 Prozent und der Anteil derjenigen mit mittleren bis starken Funktionseinschränkungen halbierte sich“, so der Wissenschaftler.

„Die Zahl der Rückenschmerzerkrankten in Deutschland könnte bis 2040 auf bis zu 30 Millionen Patientinnen und Patienten ansteigen.“

Dr. Valeska Hofbauer-Milan

Datenanalystin, AOK Baden-Württemberg

Das Programm spart Kosten bei Menschen mit chronischen Rückenschmerzen und hoher schmerzbedingter Funktionseinschränkung, was Einsparungen von über 4.500 Euro innerhalb von zwei Jahren bedeutet. Für Arbeitnehmende führt die Teilnahme zu durchschnittlich sieben Arbeitsunfähigkeitstagen pro Jahr weniger. Valeska Hofbauer-Milan, Datenanalystin bei der AOK Baden-Württemberg, bestätigt, dass Rückenschmerzen im Gesundheitssystem zunehmend ein Problem darstellen. Die 34-Jährige veröffentlichte in ihrer Dissertation eine Prognose für die zehn häufigsten und kostenintensivsten Erkrankungen. 2018 waren etwa 23,5 Millionen Menschen aufgrund von Rückenschmerzen in ärztlicher Behandlung. „Mit steigender Lebenserwartung könnte bis 2040 die Zahl der Rückenschmerzpatienten auf bis zu 30 Millionen steigen“, prognostiziert Valeska Hofbauer-Milan. „Nur durch erfolgreiche Prävention können wir die erwarteten hohen Fallzahlen deutlich reduzieren.“ Sie betont: „Effektive Präventionsprogramme sind die einzige Möglichkeit, die steigende Krankheitslast zu dämpfen. Andernfalls könnten die Kapazitäten im Gesundheitssystem bald nicht mehr ausreichen, um alle Patientinnen und Patienten zu versorgen.“

Herzfehler von Anfang an

Drei Menschen sitzen nebeneinander und unterhalten sich
Für mehr Prävention: AOK-Experte Guido Deis sowie Nicole Haag und Marcel Winter vom Sportkreis Ostalb.

Die AOK kümmert sich nicht nur um die Rückengesundheit. Seit Jahren trägt sie in vielen Präventionsbereichen umfassend zur Gesundheit ihrer Versicherten und der Menschen im Land bei. Zwar steht das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) durch das Scheitern der Ampel-Koalition nun vor dem Aus, doch Vorhaben wie dieses könnten das Engagement der Gesundheitskasse untergraben. „Das GHG ging in die falsche Richtung. Statt auf bewährte Präventionsangebote zu setzen, sollten die Mittel der Krankenkassen für qualitätsgesicherte Gesundheitskurse zweckentfremdet werden“, erklärt Guido Deis, Geschäftsbereichsleiter Prävention bei der AOK-Bezirksdirektion Ostwürttemberg. Eine Kürzung der Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung zugunsten medikamentöser Lösungen und flächendeckender Screenings verkenne jedoch das Potenzial der Primärprävention, erklärt er. Denn bei Herz-Kreislauf- Erkrankungen könnten Aufklärung und die Förderung eines gesunden Lebensstils Risikofaktoren reduzieren.

Die ursprünglich geplante Umschichtung der Präventionsmittel hätte seiner Ansicht nach die erfolgreichen Gesundheitskurse in Bereichen Bewegung, Ernährung und Stressreduktion bedroht. Ein Teufelskreis: Denn weniger Prävention führt zu mehr Krankheitslast und höheren Kosten. Statt die Ursachen anzugehen, habe die Ampel-Regierung auf die Bekämpfung der Symptome gesetzt, so AOK-Experte Guido Deis. Ein Irrweg, der die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet und die Chancen der Prävention leichtfertig verspielt.

„Wir müssen mit Sport- und Bewegungsangeboten so früh wie möglich ansetzen.“

Marcel Winter

Sportkreisvorsitzender Ostalb

Auch für Turn- und Sportvereine, die mit ihren gesellschaftlich so wichtigen Vereinsstrukturen im Land nicht zuletzt auch als Gesundheits- und Integrationsmotor dienen, hätte das Gesetz fatale Folgen gehabt: In Baden-Württemberg finden zahlreiche zertifizierte Präventionskurse in Kooperation mit Vereinen statt. Kein Wunder, dass Marcel Winter, neuer Sportkreisvorsitzender Ostalb, diese Entwicklung kritisch sieht. Der Sportkreis vertritt rund 360 Vereine, die 46 Sportarten in der Region anbieten. Kinder und Jugendliche liegen dem Juristen besonders am Herzen. „Wir müssen weiterhin mit qualifizierten Sport- und Bewegungsangeboten so früh wie möglich ansetzen“, ist der 35-Jährige überzeugt. Die Unterstützung der Krankenkassen spiele hier eine maßgebliche Rolle.

Kinder mehr bewegen

Mit der AOK besteht seit Jahren eine intensive Partnerschaft. Viele gemeinsame Projekte wurden dank fachlicher und finanzieller Unterstützung auf den Weg gebracht. Beispielsweise das Projekt „Ostalb bewegt Kinder“, das sich zusammen mit dem Landratsamt Ostalbkreis und dem Turngau Ostwürttemberg für die Bewegungsförderung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren einsetzt. Ziel ist es, Kinder für ein regelmäßiges Sportangebot in den Vereinen zu gewinnen. „Nach der Corona-Pandemie wird die Resonanz immer besser. Das stimmt mich optimistisch“, sagt Winter.

Volker Förstner hat sein Training beendet und macht sich auf den Heimweg. Nach Ruppertshofen braucht er rund 20 Minuten. „Ein Katzensprung für mich. Vielleicht spiele ich heute noch eine Runde Fußball mit meinen Töchtern.“

Forsa-Umfrage

Vier von fünf Menschen in Baden-Württemberg leiden regelmäßig unter Rückenschmerzen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der AOK Baden-Württemberg hervor. 79 Prozent der Befragten im Südwesten gaben an, im vergangenen Jahr zumindest ab und zu Rückenschmerzen gehabt zu haben. Die meisten der Betroffenen litten unter Schmerzen, die weniger als sechs Wochen anhielten. Ein Viertel der Befragten litt dagegen unter Schmerzen, die länger als sechs Wochen anhielten. Starke Einschränkungen durch die Schmerzen hatten demnach 28 Prozent der Betroffenen.

Was gegen Rückenschmerzen hilft, ist den allermeisten Menschen im Südwesten auch klar: Fast jeder weiß der Umfrage zufolge, dass Bewegung und gezielte Rückenübungen bei Schmerzen im Kreuz helfen können. 40 Prozent haben sich vorgenommen, mehr für ihren Rücken zu tun, haben dieses Vorhaben aber bislang nicht in die Tat umgesetzt. Als Grund für die mangelnden Bemühungen gibt die Mehrheit der Befragten an (54 Prozent), dass sie ihren inneren Schweinehund nicht überwinden kann. Vier von zehn Befragten gaben an, zu wenig oder keine Zeit dafür zu haben.