Damit Wunden besser heilen

In Deutschland leiden mehr als zwei Millionen Menschen an chronischen und schwer ­heilenden Wunden. Diese Menschen brauchen umfassende Beratung und Behandlung. Hilfe gibt es in einem der 24 WZ-WundZentren in Deutschland. Vier dieser spezialisierten Einrichtungen befinden sich in Baden-Württemberg, eines davon in Heidelberg.

Foto: Pflegefachkraft und AOK Mitarbeitenden gucken in die Kamera
Im fachlichen Austausch: Spezialisierte Pflegefachperson Isabel Tombarge und Susanne Adolf von der AOK.

Es ist kurz nach 11 Uhr im WZ-WundZentrum in der Südstadt von Heidelberg. ­Gaetano Nino Minoia liegt bequem auf einer Liege in einem der sieben Behandlungszimmer der ambulanten Pflegeeinrichtung. Der groß ­gewachsene Mann mit italienischen Wurzeln ist gut gelaunt. „Ich werde hier super betreut. Das sind hier keine Wundenheilerinnen, das sind Wunderheilerinnen“, scherzt der 65-Jährige, der in Heddesheim eine Trattoria betreibt. Seit seiner frühen Jugend ist er leidenschaftlicher Koch. Tag für Tag steht er in seiner Küche und verwöhnt seine Gäste mit italienischen Gerichten. Doch sein Job bereitete ihm in der Vergangenheit ­immer größere Mühe. Vor allem das lange Stehen am Herd wurde zunehmend beschwerlicher.

Foto: Arzthelferin verbindet Fuß
Gut versorgt: Melanie Korneck bei der Therapie.

Gaetano Nino Minoia leidet seit vielen Jahren an einem offenen Geschwür an beiden Unterschenkeln, einem sogenannten Ulcus cruris. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der ­Venen, Arterien oder Lymphgefäße, die zu ­einer gestörten Versorgung des ­Gewebes führen. Für die Gewebezellen wichtige Nährstoffe und Sauerstoff können nicht in ausreichenden Mengen ­bereitgestellt werden. Abfallprodukte des Zellstoffwechsels sowie Wasser werden deshalb nicht ausreichend abtransportiert. Die Erkrankung bremst ihn ­seit ­vielen ­Jahren so stark aus, dass ­seine ­Lebensfreude und sein Optimismus ­immer mehr verloren gingen. Seine offenen Wunden nässten ständig und rochen stark. Die Schmerzen waren ­zudem unerträglich.

„So muss es sich anfühlen, wenn einem ein Raubtier das Fleisch aus den Beinen reißt“, beschreibt er seinen Leidensdruck. Kurzzeitig bestand sogar die Gefahr, dass seine Unterschenkel amputiert werden mussten. Seit August letzten Jahres wird er jetzt zweimal in der Woche im WundZentrum behandelt.

„Wir prüfen, ob hinter einer Wunde weitere Ursachen, wie beispielsweise ein Diabetes, stecken könnten. Daran schließt sich die Erarbeitung eines gemeinsamen Therapieplans an.“

Isabel Tombarge

Leiterin des WZ-WundZentrums

Und das mit Erfolg. Seine Wunden schließen sich zunehmend. Bald wird seine Therapie abgeschlossen sein und er kann wieder ein weitgehend unbeschwertes Leben führen.

Foto: Arzthelferinnen gucken auf einen Computer
Analyse am Rechner: Melanie Korneck und Elena Zimmermann bei einer Fallbesprechung.

Schwer heilende oder bereits chronische Wunden sind vielfältig und in der Regel die Folge eines Ereignisses oder Stadiums einer Erkrankung. Neben dem Ulcus cruris, dem offenen Geschwür am Unterschenkel, führen insbesondere das offene Geschwür am Fuß, das Diabetische Fußsyndrom sowie das Druckgeschwür, der Dekubitus, zu Problemen. Beim Diabetischen Fußsyndrom werden Nerven und Blutgefäße durch eine Diabetes-Erkrankung geschädigt. Die Folgen sind unter anderem eine verminderte Druck- und Schmerzwahrnehmung, Deformitäten und eine besonders rissige Haut. Vor allem bei falschem Schuhwerk kann es dadurch zu Wunden am Fuß kommen. Durch die verminderte Schmerzwahrnehmung werden Durchblutungsstörungen oft zu spät erkannt. Dadurch können Wunden vor allem an Zehen und Ferse entstehen. Beim Dekubitus entstehen Wunden in der Folge von Druck in der Kombination mit einer Verschiebung von Gewebeschichten über knöchernen Vorsprüngen. Betroffen sind zumeist Menschen mit Bewegungseinschränkungen, die ihre Position im Liegen oder Sitzen nicht selbstständig verändern können.

Jede Wunde ist individuell

Eine Wunde wird dann als chronische Wunde bezeichnet, wenn sie trotz fachgerechter Therapie innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach ihrer Entstehung keine Heilungstendenzen zeigt. In der Regel können selbst langjährig chronifizierte Wunden innerhalb weniger Monate durch eine leitliniengerechte Therapie abheilen. „Wir möchten mit unserer Fachkompetenz Wunden so versorgen, dass sich die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten verbessert“, sagt Isabel Tombarge, examinierte Pflegefachperson und ­Leiterin des 2020 ­eröffneten WZ-WundZent­rums. Die meisten ihrer Patientinnen und ­Patienten kommen mit einer Verordnung ihrer Hausärztin oder ihres -arztes und haben ein Durchschnittsalter von 73 Jahren. Die Bandbreite erstreckt sich aber vom Kindesalter bis in das hohe Alter. „Ab Pflegegrad 3 machen wir auch Hausbesuche“, erklärt die 40-Jährige. Auch junge Menschen können von einem Wundheilungsproblem betroffen sein. Etwa wenn sie an der sogenannten Akne inversa leiden. Dabei handelt es sich um eine chronische Hauterkrankung, bei der sich Haarfollikel, ­insbesondere der Achsel- oder in der Genitalregion, entzünden und sich eitrige Knoten bilden.

Foto: Materialien zur Wunderversorgung
Materialien für die Therapie: Für eine gute Wundversorgung braucht es aber noch mehr.

Das Team im WundZentrum besteht aktuell bereits aus fünf Pflegefachpersonen. ­Alle verfügen über Expertise aus den verschiedensten medizinischen Bereichen, wie beispielsweise Kranken- oder Altenpflege. Und alle absolvierten eine spezielle Zusatzqualifikation in der Wundbehandlung. Diese Qualifizierung zur zertifizierten Wundmanagerin erfolgt über die Akademie-ZWM. ­Damit wird garantiert, dass das Team immer auf dem neuesten Stand medizinischen Wissens ist.

Strukturierte Therapieplanung

Die Nachfrage in diesem Versorgungbereich wird immer größer. Durchschnittlich werden im WundZentrum Heidelberg täglich rund 40 Wunden nach einem standardisierten Schema behandelt. Zu Beginn stehen dabei immer eine gründliche und bedarfsgerechte Anamnese und Diagnostik zur Ermittlung der Wundursache und ihrer speziellen Bedürfnisse. „Wir prüfen, ob hinter einer Wunde weitere Ursachen, wie beispielsweise ein Diabetes, stecken könnten“, erklärt die Expertin. Daran schließe sich die Erarbeitung eines gemeinsamen Therapieplans an, der unter anderem medizinisch notwendige Maßnahmen beinhaltet. Ein großes Risiko bei Wunden ist immer die Infektion. Im WundZentrum wird deshalb sehr auf ­Hygiene geachtet. Alles ist gut zu reinigen und zu desinfizieren. Selbst die Tastaturen der Computer in den jeweiligen Behandlungsräumen sind desinfizierbar.

Versorgungsvertrag sorgt für Qualität

Foto: Patient steht am Empfangstresen beim Arzt
Nach der Behandlung: Gaetano Nino Minoia an der Empfangstheke.

Dass die Versorgung chronischer Wunden ein teurer, langwieriger und deshalb wichtiger Bereich innerhalb der Häuslichen Krankenpflege ist, weiß auch Susanne Adolf, Teamleiterin Häusliche Krankenpflege bei der AOK-Bezirks­direktion Rhein-Neckar-Odenwald. „Wir sorgen hier, wie überall in der Häuslichen Krankenpflege, dafür, dass die Menschen unter Beachtung wirtschaftlicher Aspekte die Leistungen, die sie brauchen, auch bekommen“, sagt die 60-Jährige. Seit April 2023 haben Versicherte mit chronisch und schwer heilenden Wunden auch im Raum Heidelberg und weiteren Standorten in Baden-Württemberg wie Freiburg, Schramberg und Ulm die Möglichkeit, eine spezialisierte, ambulante Einrichtung für die Behandlung nach den Richtlinien der Häuslichen Krankenpflege (HKP-Richtlinie) auf Grundlage von Paragraf 132a SGB V in Anspruch zu nehmen.

„Die hohe Qualität einer leitliniengerechten Behandlung bei chronisch und schwer heilenden Wunden ist uns im Interesse einer bestmöglichen Versorgung für unsere Versicherten sehr wichtig“, sagt Michael Svoboda, Vertrags- und Verhandlungsmanager Care bei der AOK Baden-Württemberg. Die AOK im Land nehme hier eine Vorreiterrolle ein und engagiere sich von Anfang an für eine konsequente Umsetzung des Vertrags für spezialisierte Einrichtungen. Dass diese Einrichtungen dabei Bindeglieder im Versorgungsnetzwerk von ­ambulanten Einrichtungen sowie der haus- und fachärztlichen Betreuung darstellen, ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

„Die Schmerzen waren so unerträglich. So muss es sich anfühlen, wenn einem ein Raubtier das Fleisch aus den Beinen reißt.“

Gaetano Nino-Minoia

Patient im WZ-WundZentrum

Ernährung und Bewegung sind wichtig

Gaetano Nino Minoia freut sich auf den Sommer. Er hat seine Ernährung umgestellt, verzichtet weitestgehend auf ­Zucker und baut eiweißreiche Gerichte mit viel Gemüse in seinen Speiseplan mit ein. Außerdem hat er sich regelmäßige Bewegungseinheiten vorgenommen. „Mein Pedelec steht etwas verstaubt im Keller und sollte jetzt dringend wieder zum Einsatz kommen.“

Bessere Therapieerfolge

WZ–WundZentren sind durch das Heil-Hilfsmittel-Versorgungs-Gesetz (HHVG) als eigener Leistungserbringer im Sinne des SGB V zu verstehen. Die Leistungen in den WZ–WundZentren werden als spezialisierte Einrichtungen, die sich auf die Behandlung von chronischen und schwer heilenden Wunden spezialisiert haben, über den Paragraf 37 Absatz 7 SGBV, auf Basis der Häuslichen Krankenpflege, gegenüber den Krankenkassen geltend gemacht. Die WZ–WundZentren haben sich bereits im Jahr 2008 zum Ziel gesetzt, eine gegenüber der bisherigen Regelversorgung deutlich verbesserte ambulante und spezialisierte Wundbehandlung von ­Patientinnen und Patienten mit chronischen und schwer heilenden Wunden zu ermöglichen.