Daten für eine bessere Versorgung

Die Anwendung DocPad soll medizinischem Personal fachübergreifend eine optimale Versorgung ermöglichen. Dafür werden Daten vorangegangener und aktueller Behandlungen übersichtlich visualisiert.

Egal, ob im Krankenhaus oder in der Arztpraxis, mit DocPad können sich Ärztinnen und Ärzte schnell ein Bild machen.

Qualität, Verfügbarkeit und Aufbereitung der für die Versorgung relevanten medizinischen Daten befinden sich hierzulande noch immer auf einem sehr niedrigen Niveau. Während mit der Telematikinfrastruktur und Fachanwendungen wie der ePA ein erster Schritt in Richtung besserer Datenverfügbarkeit gegangen wird, fehlt eine Vision, wie diese Daten im Behandlungskontext verständlich aufbereitet und dargestellt werden können. Hier setzt DocPad an, eine cloudbasierte Anwendung, die mithilfe von Datenmodellen und Visualisierungen das Ziel verfolgt, medizinisches Personal in der strukturierten Erfassung von medizinischen Daten zu unterstützen, diese schnell und verständlich darzustellen sowie sektorenübergreifend den an der Behandlung Beteiligten verfügbar zu machen.

„DocPad wird eine globale Dokumentationsplattform für alle Leistungserbringenden sein“, erläutert Notfallmediziner Michael Specht. Er ist bei der Parmenides Stiftung in München verantwortlich für Konzeption und Umsetzung von DocPad. In einer eigens dafür entwickelten Cloud-Infrastruktur, die höchsten Sicherheitsstandards genügt, sollen die Gesundheitsdaten quasi am Patienten „kleben“. Sodass es egal ist, ob dieser „in der Notfallmedizin behandelt wird, bei seinem Hausarzt, von einer Fachärztin oder ob er stationär aufgenommen werden muss“, führt Specht aus.

„Mit DocPad kann ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Versorgung geleistet werden“, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. „Die Behandelnden werden in ihrer Arbeit datenbasiert unterstützt und haben einen ganzheitlichen Überblick über relevante medizinische Informationen ihrer Patientinnen und Patienten.“ Insbesondere interprofessionell arbeitende Teampraxen könnten bereits in den frühen Ausbaustufen von der Anwendung profitieren, da beispielsweise im Rahmen von Delegationsleistungen erhobene Daten von anderen Praxismitgliedern eingesehen werden könnten. Ein weiterer wichtiger Punkt für Bauernfeind: „Die damit einhergehenden Effizienzsteigerungen sind auch vor dem Hintergrund struktureller Veränderungen und des Fachkräftemangels von großer Bedeutung.“ Aus diesem Grund unterstützt die AOK Baden-Württemberg das Vorhaben.

Im Gegensatz zur Datenerhebung in den Primärsystemen der Praxen werden im DocPad nicht nur abrechnungsrelevante Informationen wie Diagnosen, Medikation und Prozeduren strukturiert erfasst, sondern sämtliche aus Behandlersicht relevanten Parameter wie Blutdruck, Körpergewicht, Schmerzniveau und vieles mehr. Um die Behandelnden zu entlasten, ist eine Vorauswahl dieser Daten durch Spracheingabe möglich. Symptome können bestimmten Körperpartien per Klick zugewiesen werden. Für einen schnellen und gut verständlichen Überblick werden die Daten in einer Weise abgebildet, die sofort erkennbar macht, welche Organsysteme betroffen sind und wie sich der Zustand der Patientin oder des Patienten im Vergleich zum vorangegangenen Praxisbesuch verändert hat. Sämtliche Behandlungskontexte der Vergangenheit werden auf einer Zeitachse anlassbezogen dargestellt.

Für Notfallmediziner Specht steht im Fokus, nicht wieder eine „Insellösung zu schaffen“, sondern breiter zu denken und alle Akteure zusammenzubringen. DocPad soll allgemein verfügbar und kein spezielles Angebot einer Krankenkasse sein. Um dies zu ermöglichen und DocPad interoperabel nutzbar zu machen, sollen Schnittstellen zu Primärsystemen der Leistungserbringenden auf Basis bestehender Standards genutzt werden. Darüber hinaus wird in der Entwicklung auf die offene Standardspezifikation „Open Electronic Health Record“ (OpenEHR) gesetzt, um das Zusammenspiel mit unterschiedlichen Systemen zu ermöglichen.

Zertifizierung als Medizinprodukt

Um sowohl Qualität als auch Sicherheit zu gewährleisten, läuft derzeit die Zertifizierung von DocPad als Medizinprodukt. Zudem „werden wir auch den Datenschutz und die Datensicherheit auf europäischer Ebene zertifizieren lassen“, berichtet Specht. Aufgebaut auf einen Prototyp, soll das Produkt Ende des Jahres in einer ersten Pilotphase in die Versorgung gebracht und unter echten Bedingungen getestet werden. Um das Produkt bestmöglich an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer auszurichten, haben verschiedene Vertreterinnen und Vertreter aus ambulanter Ärzteschaft und Klinik den DocPad-Prototyp getestet und wichtiges Feedback für die Entwicklung gegeben.

Wenn die Versicherten der AOK Baden-Württemberg dem zustimmen, soll es zudem die Möglichkeit geben, den Behandelnden bestimmte Infos zu Diagnosen, Medikation und Prozeduren aus den AOK-Abrechnungsdaten bereitstellen zu lassen. Darüber hinaus sollen die DocPad-Daten für die Forschung und Weiterentwicklung von Funktionalitäten auf Basis von Algorithmen und künstlicher Intelligenz genutzt werden, sofern die Patientinnen und Patienten zustimmen. Über eine App können in einer der folgenden Ausbaustufen auch die Versicherten selbst als Nutzerinnen und Nutzer eingebunden werden.

Erster Schritt auf langem Weg

Dem Nutzen sieht auch Norbert Smetak, Vorsitzender des Fachärzteverbandes MEDI Baden-Württemberg, hoffnungsvoll entgegen. Der Kardiologe testet die Anwendung auf ihre Praxistauglichkeit. Besonders bei Diagnose und Therapie sieht er Potenzial für Verbesserungen, wenn hier KI unterstützt und die Daten gut aufbereitet sind. Zum Start wird das DocPad allerdings noch keine KI-Funktionalitäten enthalten, auch wenn sie bereits entwickelt sind. Aber noch lassen sich KI-Anwendungen innerhalb des europäischen Medizinprodukterechts nicht zertifizieren. Wichtig ist für den Kardiologen Smetak eine „echte Zeitersparnis“ und ein Abruf der Daten aus Perspektive der jeweiligen Fachrichtung. Ein Pluspunkt für Smetak: „DocPad hilft dem ärztlichen Nachwuchs, sich weiterzubilden und Berufserfahrung zu sammeln.“ Auch Christoph Wasser, ärztlicher Leiter der Abteilung Klinische Akut- und Notfallmedizin am Robert-Bosch-Krankenhaus, sieht eine mögliche Effizienzsteigerung als großen Vorteil. Bei kleinen Kliniken könne die Anwendung bei Personalmangel und Zeitdruck künftig gute Dienste leisten. „In der Notaufnahme kleiner Häuser ist oft nur eine Ärztin oder ein Arzt im Einsatz. Diese Person hat niemanden zum Fragen, da kann DocPad von großem Nutzen sein.“

Bevor jedoch die Vorteile im Praxisalltag spürbar werden, wird DocPad für die meisten Nutzerinnen und Nutzer zunächst ein Umlernen und mehr Zeitaufwand bedeuten. Angesichts des zeitlichen Drucks in den Praxen ist jedes neue System, das integriert werden soll, eine Herausforderung. Große Veränderungen brauchen Zeit und es wäre vermessen zu behaupten, es wäre ein einfacher Weg, die datenbasierte Versorgung im Gesundheitssystem zu revolutionieren. DocPad kann hier ein wichtiger Schritt sein auf einer langen Reise hin zu einer besseren und strukturierten Nutzung von Gesundheitsdaten in der Versorgung der Patientinnen und Patienten.