Viel Theater ums Handy

Mit dem Präventionsprojekt „@Ed und ich – Medienkompetenz von Kindern stärken“ will die AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg gemeinsam mit verschiedenen Landkreisen Schulkindern die Gefahren des Internets näherbringen. Im Zentrum des Projekts steht ein interaktives Theaterstück, das die Risiken und Fallstricke im digitalen Raum vermittelt.

Gespannt halten die Schülerinnen und Schüler der Konrad-Witz-Schule in Rottweil den Atem an, als die kleine Leonie bei einem Online-Spiel plötzlich mit einem Fremden chattet und ihm beinahe ihre Adresse verrät. „Denkt ihr, das ist gefährlich, wenn ich ihm schreibe, wo ich wohne?“, fragt Leonie unschuldig von der Bühne herab. „Jaaa!“, ruft es wie im Chor aus den Stuhlreihen, die vor der Bühne aufgestellt sind. Und mehr als 60 Kinder nicken zustimmend.

Glücklicherweise ist Leonie kein echtes Kind, sondern wird von einer erwachsenen Frau, der Schauspielerin Marnie Sophie Berger, gespielt. Leonie ist die Hauptfigur des Theaterstücks „@Ed und ich“, das derzeit durch den Landkreis Rottweil tourt und Schülerinnen und Schülern sowohl die Vorzüge als auch die Gefahren des Internets näherbringen soll.

Das Präventionstheater erzählt die Geschichte von Leonie, die von ihrer Oma ein Tablet geschenkt bekommt und immer mehr in der Welt eines Online-Märchenspiels versinkt. Sie vernachlässigt und verliert ihren Freund Paul, ihre Noten werden schlechter, sie bezahlt Käufe in der Spiele-App über das Konto ihrer Großmutter. Erst als sich die fremde Person, mit der Leonie online chattet, nach ihrer Adresse erkundigt, erschrickt sie und schaltet das Tablet fürs Erste ab.

Den Dritt- und Viertklässlern der Konrad-Witz-Schule kommen manche dieser Szenen ziemlich bekannt vor. Schließlich bewegen sie sich alle regelmäßig im Internet und spielen Online-Spiele. Als Theaterpädagogin und Schauspielerin Monika Wieder, die in „@Ed und ich“ Leonies Mutter mimt, wissen möchte, wie viele im Saal bereits ein eigenes Handy haben, meldet sich mehr als die Hälfte der Kinder. Und in der anschließenden Nachbesprechung des Stücks innerhalb der Schulklassen wird klar: Einige nutzen auch Spiele und Apps, die für ihr Alter noch längst nicht geeignet sind.

„Das Stück zeigt authentisch und lebensnah, worauf die Kinder beim Umgang mit Medien achten müssen.“

Justina Firnkes

Konrektorin der Konrad-Witz-Schule in Rottweil

Stark im Spiel, schwach in der Schule

„Wusstet ihr, dass ihr WhatsApp eigentlich erst ab 13 Jahren nutzen dürft?“, fragt Monika Wieder die Klasse 3 a im Anschluss an das Stück – und erntet verwunderte Blicke. „WhatsApp dürfte auch einfach so euer Profilbild verkaufen, wenn ihr eines hochgeladen habt. Keine so tolle Vorstellung, oder?“ Im Klassenzimmer herrscht betretenes Schweigen.

Apps wie familylink, über die Eltern die Aktivitäten ihrer Kinder auf dem Smartphone kontrollieren und Nachrichten mitlesen können, kennt keines der Kinder der 3 a. Und auch die Viertklässler haben in puncto Medienumgang nicht nur einiges zu lernen, sondern auch viel zu berichten. Auf die Frage der Theaterpädagogin, welche Erfahrungen die Schülerinnen und Schüler mit Online-Spielen gemacht haben, erzählt der zehnjährige Malek (Name geändert), dass er manchmal auch Spiele „zocke, die erst für ältere Kinder“ geeignet seien. Und die gleichaltrige Marina (Name geändert) gibt zu, dass sie früher sehr viel auf dem Handy gespielt habe. „Irgendwann konnte ich mich immer schlechter konzentrieren, das habe ich auch an meinen Noten gemerkt“, erzählt sie offen. „Jetzt darf ich nur noch am Wochenende spielen und es läuft wieder viel besser in der Schule.“

Pädagogen fehlt es an Angeboten

Die Konrektorin der Konrad-Witz-Schule Justina Firnkes mit AOK-Präventionsfachmann Ingo Marot und Schulsozialarbeiterin Sina Ulmschneider.

Die Konrad-Witz-Schule ist eine von 33 Grund- und Förderschulen im Kreis Rottweil, an denen „@Ed und ich“ in diesem Jahr gezeigt wird. Vorher war das Stück bereits an 31 Schulen im Kreis Tuttlingen zu sehen, weitere Aufführungen im Kreis Villingen-Schwenningen gibt es voraussichtlich ab März 2025. Möglich ist das Theaterprojekt dank einer Kooperation der jeweiligen Landkreise mit der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg, die das Präventionstheater für die Schulen finanziert.

Die Schulen vor Ort nehmen das Präventionsangebot dankbar an. Denn für die Grundschulen im Land gibt es bislang nur wenige Initiativen in Sachen Medienkompetenz. Dabei wird die auch schon für jüngere Kinder immer wichtiger. „Ab der fünften Klasse haben wir eine Kooperation mit der Polizei zum Thema Medienkompetenz, aber wir müssen hier früher ansetzen“, sagt Schulsozialarbeiterin Sina Ulmschneider nach der Besprechung des Stücks in den Schulklassen. „Deshalb finde ich das Theaterprojekt eine tolle Sache.“

Auch die stellvertretende Rektorin der Konrad-Witz-Schule Justina Firnkes ist vom Konzept begeistert. „Wir sind gerade dabei, für die Grundschule ein Präventionscurriculum zu entwerfen, das ist aber noch im Aufbau. Deshalb sind wir dankbar, dass es dieses Angebot gibt“, erklärt sie. „Das Stück zeigt den Kindern sehr authentisch und lebensnah, worauf man beim Umgang mit Medien achten muss.“

Schulleiter Dominique Lang ist am Ende des Vormittags froh. Froh darüber, dass die Schülerinnen und Schüler sich so haben mitreißen lassen – und über die begleitende Elternarbeit. Denn Teil des Präventionsprojektes sind nicht nur Info-Flyer für die Eltern mit Tipps zum gesunden Umgang mit Medien und hilfreichen Links. Ein elementarer Bestandteil sind auch die begleitenden Elternabende, bei denen es um das Thema Medienkompetenz geht. „Oft ist es so, dass es nicht nur den Schülerinnen und Schülern, sondern auch den Eltern an Medienkompetenz fehlt“, erklärt der Schulleiter. „Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass auch sie für das Thema sensibilisiert werden.“ Bislang haben an den Elternabenden zu „ @Ed und ich“ rund 250 Mütter und Väter teilgenommen – allein im Landkreis Tuttlingen.

Medienkompetenz auch für Eltern

Theaterpädagogin Monika Wieder tauscht sich nach dem Stück mit den Kindern über ihre Erfahrungen mit Handy, Tablet und Internet aus.

Für Monika Wieder, die das Präventionstheater namens „Mach Was“ 2019 gegründet und „@Ed und ich“ geschrieben hat, ist das Projekt etwas ganz Besonderes. „Es ist klasse, wie die AOK, die Landkreise, die Ämter und die Schulen hier zusammenarbeiten“, sagt sie strahlend, als sie nach der Aufführung wieder aus der Rolle von Leonies Mutter geschlüpft ist. „Besonders gefällt mir, dass bei dieser Kooperation nachhaltig etwas getan wird, indem sowohl die Kinder als auch die Eltern und Lehrer einbezogen werden und der Effekt nicht einfach verpufft.“

Genau darum gehe es bei dem Theaterprojekt, bestätigt Ingo Marot, Geschäftsbereichsleiter „Prävention“ bei der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg, der heute ebenfalls in Rottweil dabei ist: „Wir wollen Präventions- und Gesundheitsthemen in die Schulen tragen und aufmerksam machen auf verschiedene Themen“, sagt er. „Und wir wollen nicht nur als Sponsor auftreten, sondern wirklich was bewegen.“

„Je jünger die Zielgruppe ist, desto größer ist die Chance, den Grundstein für ein gesundes Leben zu legen.“

Dirk Scherer

Präventionsexperte und Projektverantwortlicher bei der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg

Präventionsprojekt mit Auszeichnung

Dass mit dem Präventionsprojekt „@Ed und Ich - Medienkompetenz von Kindern stärken“ wirklich etwas bewegt wird, zeigt auch die Auszeichnung des Projekts mit dem Internationalen Deutschen PR-Preis 2024 in der Kategorie Gesundheit und Life Science – nur wenige Stunden vor der Aufführung an der Konrad-Witz-Schule. Eigentlich hätte Dirk Scherer, Koordinator des Bereichs Gesundheitsförderung in Lebenswelten bei der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg, heute ebenfalls in Rottweil sein sollen. Doch die Preisverleihung in Hannover, bei der die AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg und der Landkreis Tuttlingen für die Kommunikation rund um das Projekt geehrt wurden, kam ihm kurzfristig dazwischen.

„Mit dem Preis hätte ich niemals gerechnet, wir freuen uns natürlich sehr über diese tolle Anerkennung“, sagt Scherer noch ganz euphorisch am Telefon auf dem Rückweg von Hannover. Denn das Präventionsprojekt liege ihm sehr am Herzen. „Als Krankenkasse haben wir den gesetzlichen Auftrag zur Prävention – und gesundheitlich relevante Themen wie Bewegungsmangel oder Übergewicht haben auch etwas mit der zunehmenden Mediennutzung zu tun“, sagt Scherer. „Und je jünger die Zielgruppe ist, die wir mit dem Thema Prävention erreichen, desto größer ist die Chance, den Grundstein für ein gesundes Leben auch in späteren Jahren zu legen.“

Dazu gehöre es auch, einen gesunden Umgang mit Medien zu etablieren, so Scherer. Damit keines der Schulkinder – weder in Rottweil noch anderswo – seine Freunde vernachlässigt oder die Rente der eigenen Oma in App-Käufe steckt. Und vor allem, damit keines von ihnen in Gefahr gerät und, wie Leonie, beinahe einem Fremden den eigenen Wohnort verrät.

Standpunkt

Maren Diebel-Ebers, alternierende Vorsitzende
des Verwaltungsrates der AOK Baden-Württemberg, Arbeitnehmerseite

Medienkompetenz ist eng mit Gesundheit verknüpft. Fragt man die Fachwelt, sollte der Medienkonsum von Kindern zwischen vier und sechs Jahren eine halbe Stunde am Tag nicht überschreiten. Die AOK-Familienstudie zeigt, dass mehr als die Hälfte der Kinder in Baden-Württemberg schon im Vorschulalter längere Zeit vor TV und Handy verbringen. Was die Fachleute auch sagen: Ein zu hoher und falscher Medienkonsum kann sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken. Vor allem dann, wenn darunter die Bewegung leidet oder die Mädchen und Jungen unbeaufsichtigt nicht altersgerechte Inhalte konsumieren. Deswegen ist es wichtig, Kinder und Eltern zu sensibilisieren und deren Medienkompetenz zu stärken. Die AOK Baden-Württemberg engagiert sich hier im Rahmen ihrer Präventionsarbeit – unter anderem mit „@Ed und ich – Medienkompetenz von Kindern stärken“. Das Thema ist seit 2023 auch fester Bestandteil des Präventionsprogramms „JolinchenKids“, das die AOK Baden-Württemberg derzeit landesweit in über 500 KiTas durchführt. Seit 2020 kooperiert die AOK zudem mit der Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht.“. Damit die Prävention in der Bildung eine noch stärkere Rolle einnehmen kann, braucht es perspektivisch ein Schulfach Gesundheit. Dort könnte dann auch das Thema Medienkompetenz adäquat adressiert werden.