Unternehmerische Sozialverantwortung ist langfristig eine Win-Win-Lösung
In Krisen sind auch Unternehmen stark gefordert, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, um Gesundheit der Mitarbeitenden, Wohlstand und natürliche Ressourcen zu sichern, sagt Dr. Johanna Baumgardt, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO). Das Konzept der "Unternehmerischen Sozialverantwortung“ könne dafür mehr denn je Orientierung bieten, um etwaige Steuerungssysteme zu etablieren.
In Krisen sind auch Unternehmen stark gefordert, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, um Gesundheit der Mitarbeitenden, Wohlstand und natürliche Ressourcen zu sichern, sagt Dr. Johanna Baumgardt, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung Seit dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes zum 1. April 2007 sind die bisherigen… , Wissenschaftliches Institut der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… (WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… ). Das Konzept der "Unternehmerischen Sozialverantwortung“ könne dafür mehr denn je Orientierung bieten, um etwaige Steuerungssysteme zu etablieren.
Frau Dr. Baumgardt: Die Idee der "Unternehmerischen Sozialverantwortung“ beziehungsweise "Corporate Social Responsibility" (CSR) ist ja nicht neu, sondern entstand schon vor über 100 Jahre und wurde mal mehr, mal weniger von Unternehmen gelebt. Warum steht sie jetzt wieder im Fokus?
Dr. Baumgardt: Das Konzept der "Corporate Social Responsibility“ beruht im Kern auf der Idee der "Nachhaltigkeit“, die ja noch sehr viel älter ist, über sehr lange Zeit jedoch kaum bis gar keine Berücksichtigung fand. Da die Vielzahl und das Ausmaß gegenwärtiger gesellschaftlicher Probleme wie Klimawandel, Corona-Pandemie oder die negativen Auswirkungen der Globalisierung mittlerweile den Fortbestand der menschlichen Existenz bedrohen, kann nicht mehr ignoriert werden, dass ein grundlegendes Umdenken erforderlich ist. Um diese Situationen zu bewältigen, sind daher nicht nur starke, intakte staatliche Institutionen, sondern auch Unternehmen als maßgebliche gesellschaftliche Akteure aufgefordert, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Aus dem Blickwinkel der Betrieblichen Gesundheitsförderung ist ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über… geht dies über klassisches CSR hinaus und schließt die Gesundheit von Beschäftigten mit ein. Sie ist deshalb ebenso dringlich wie alternativlos, um Gesundheit der Mitarbeitenden, Wohlstand und natürliche Ressourcen zu erhalten und für zukünftige Generationen zu sichern.
Was hat sich seither verändert?
Dr. Baumgardt: Im Unterschied zu vor 100 Jahren leben wir heute in einer sehr viel stärker vernetzten Welt. Ursachen und Auswirkungen gesundheitlicher, sozialer und ökologischer Krisen beschränken sich nicht mehr auf die eigene Umgebung, sondern haben oft eine sehr hohe, bisweilen globale Reichweite. Deshalb mehren sich seit langem Forderungen, dass Unternehmen noch stärker als zuvor die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns anerkennen und darüber hinaus Steuerungssysteme etablieren, die über das gesetzlich geforderte Maß hinausgehen. Das Konzept der "Unternehmerischen Sozialverantwortung“ kann dafür mehr denn je Orientierung sein und einen hilfreichen Rahmen bieten, da es mittlerweile von Leitlinien werden definiert als systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Ärzte und Patienten, die eine… flankiert wird und durch die Berichtspflicht einen fairen Wettbewerb sicherstellt.
Wie profitieren Arbeitgebende und Arbeitnehmende davon?
Dr. Baumgardt: Auf vielfältige Art und Weise. Für den Fehlzeiten-Report 2022 wurden Beschäftigte unter anderem nach ihrer Leistungsbereitschaft, ihrer Arbeitszufriedenheit und ihrer Unternehmensverbundenheit, drei maßgebliche Aspekte für Unternehmenserfolg, gefragt. Es zeigte sich, dass die Befragten in allen Bereichen höhere Werte aufwiesen, wenn sie in ihrem Unternehmen eine hohe Unternehmensverantwortung wahrnahmen. Damit kann sich durch die in Unternehmen gelebte Sozialverantwortung in Zeiten des Fachkräftemangels ein Wettbewerbsvorteil ergeben, Beschäftigte langfristig in den eigenen Reihen zu halten.
"Unternehmerische Sozialverantwortung" ist ein freiwilliges „Engagement“. Wie lassen sich für Unternehmen Anreize schaffen?
Dr. Baumgardt: Unternehmen sollten erkennen, dass "Unternehmerische Sozialverantwortung“ langfristig eine Win-Win-Lösung ist und sich der vielen Vorteile, die eine solche Ausrichtung mit sich bringt, bewusstwerden. Und genau dazu kann die Mitarbeitendenbefragung des neuen Fehlzeiten-Reports deutliche Hinweise geben. Diese liefert quasi die harten Zahlen zu einer guten Idee, welcher die meisten Menschen intuitiv ohnehin zustimmen würden. Solche empirischen Belege sind ja ein viel stärkerer Motivator für den Ausbau Betrieblicher Gesundheitsförderung im Sinne "Unternehmerischer Sozialverantwortung“ und stellen diese auf ein solides Fundament.
Wie drückt sich denn "Unternehmerische Sozialverantwortung“ in der Praxis der Betrieblichen Gesundheitsförderung aus?
Dr. Baumgardt: Vor allem dadurch, dass Unternehmen Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten übernehmen und sie aktiv fördern. Zentral dabei ist, sich der hohen Bedeutung des gesundheitlichen Wohlergehens der Beschäftigten bewusst zu werden. Gleichzeitig muss erkannt werden, dass "Unternehmerische Sozialverantwortung“ nur realisiert werden kann, wenn sie auf allen Ebenen und von allen Beteiligten eines Unternehmens gelebt wird. Deshalb muss das Thema Gesundheit flächendeckend in der Unternehmenskultur integriert werden, etwa durch den Aufbau oder den Ausbau eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Konkrete Instrumente wären etwa regelmäßige Befragungen von Mitarbeitenden, Arbeitsunfähigkeitsanalysen oder Schulungen von Führungskräften.
Dass Unternehmen für die Gesundheit ihrer Beschäftigten Fürsorge tragen, kann man einerseits ja gutheißen; andererseits ließe sich kritisieren, dass sich Unternehmen zu sehr in deren Privatleben einmischen. Wo ist die Grenze?
Dr. Baumgardt: Betriebliche Gesundheitsförderung sollte allem voran als umfassender Ansatz zur Förderung der Gesundheit von Beschäftigten im Kontext Arbeit verstanden werden, der vielfältige Interventionen mit sich bringt und im besten Fall die gesamte Unternehmenskultur prägt. So können Unternehmen etwa durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen die Gesundheit ihrer Beschäftigten sehr effektiv fördern. Dazu zählen individuelle Arbeitsmittel wie rückengerechte Schreibtischstühle und ergonomische PC-Ausstattungen ebenso wie Inneneinrichtung und Architektur, also Arbeitsräume mit ausreichend Tageslicht und Frischluftzufuhr oder gut abgedichtete Werkstüren gegen Zugluft. Auch klassische Fortbildungsangebote zu gesundheitsgerechtem Verhalten wie beispielsweise Rücken-, Entspannungs- oder Yoga-Kurse oder "gesunde“ Essensangebote in der Firmenkantine können dazugehören. Bei all dem gilt: Angebote der Betriebliche Gesundheitsförderung müssen für den einzelnen Mitarbeitenden immer mit dem notwendigen Freiraum einhergehen, diese nach eigenem Ermessen zu nutzen. Es darf natürlich kein Zwang oder kein Druck entstehen.
Verantwortungsvolle Unternehmen haben nicht nur Gesundheit ihrer Beschäftigten im Blick, sondern investieren auch in gesundheitsorientierte Führung. Wie sieht das aus?
Dr. Baumgardt: Maßgeblich ist, einen gesundheitsorientierten Führungsstil zu etablieren, der damit beginnt, die Gesundheit der eigenen Mitarbeitenden als relevanten und schützenswerten Wert zu verstehen. Dazu zählt auch, das gesundheitliche Befinden der Beschäftigten überhaupt wahr und ernst zu nehmen und darauf basierend wertschätzend mit den Mitarbeitenden umzugehen und zu kommunizieren. Aber auch die Fähigkeit, für Gesundheitsförderung zu begeistern und zu dieser zu motivieren, ist Baustein gesundheitsgerechter Führung. Unternehmen sollten ihren Führungskräften bei Bedarf anbieten, sich durch entsprechende Fortbildungen mit diesem Thema zu befassen und sie dabei unterstützen, das Thema Gesundheit sowohl für sich selbst wie auch für ihre Mitarbeitenden in den Fokus zu nehmen.
Wie lässt sich erkennen, dass Unternehmen nur mit CSR und Co. werben, um ihr Image zu verbessern?
Dr. Baumgardt: Das merken Beschäftigte sehr schnell: Hohe Fluktuation, hoher Krankenstand Der Krankenstand beziffert die Zahl der arbeitsunfähig geschriebenen Kranken bezogen auf 100… , ungesundes Arbeitsklima und unzufriedene Mitarbeitende sind vielleicht die augenscheinlichsten Indikatoren, um das von Ihnen angesprochene „green washing“ zu entlarven. Da nützen dann auch keine Hochglanzbroschüren, die das vermeintliche CSR-Engagement anpreisen.