Artikel Gesundheitssystem

G+G Podcast: Gesundheitspolitik vor der Wahl – parteiübergreifende (Un-)Einigkeit

19.02.2025 Ralf Breitgoff 5 Min. Lesedauer

Einig im Ziel, aber manchmal mehr, manchmal weniger uneinig über den Weg: Was daherkommt wie eine hohle Worthülse, umreißt recht treffend, was engagierte Gesundheitspolitikerinnen und -politiker antreibt. Vier von ihnen waren anlässlich der anstehenden Neuwahlen zum Deutschen Bundestag die Premierengäste im „G+G Kassentreffen“.

Ein Mann sitzt auf der Couch an seinem Tablet und hat Kopfhörer auf. Recht im Bild ist ein Handy zu sehen, auf dem der G+G-Podcast "Kassentreffen" abgespielt wird.
G+G hat vier Gesundheitspolitiker und -politikerinnen zur Bundestagswahl 2025 interviewt.

Gesundheitspolitik sei „eins der unabhängig der Parteipolitik stattfindenden Themen“, antwortet Sepp Müller auf die Frage, was ihn an der Gesundheits- und Pflegepolitik reize. „Wir wollen, dass es den Menschen besser geht, dass sie länger gesund leben.“ Dieses Ziel sei unstrittig, beschreibt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion und dort zuständig für Gesundheit und Pflege seine Motivation, sich in diesem Themenbereich politisch zu engagieren.

Heike Baehrens sieht die Gesundheitspolitik vor riesigen Herausforderungen. „Das spüren die Menschen“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Als langjähriges Vorstandsmitglied im Diakonischen Werk Baden-Württemberg war sie dort schon zuständig für die Bereiche Gesundheit, Alter und Pflege. „Ich weiß, dass es darauf ankommt, dass die Patientinnen und Patienten versorgt werden und vor allem Pflege in unserer alternden Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat.“

„Wer in die Hausarztzentrierte Versorgung eingeschrieben ist, ist zufriedener mit der Versorgung, verursacht weniger Kosten, und die Ergebnisse sind besser.“

Foto: Porträt von Prof. Dr. Armin Grau, Mitglied für Bündnis 90/Die Grünen im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages.

Armin Grau

Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages (Bündnis 90/Die Grünen)

Berufliches Fachwissen bringen die beiden Ärzte Andrew Ullmann (FDP) und Armin Grau (Bündnis/Die Grünen) in die Debatte ein. „Ich komme aus dem System, weiß auch wo die Fehler sind“, betont Ullmann, Professor am Uniklinikum Würzburg. Umstrukturierung und Modernisierung des Gesundheitssystems sind ihm ein Anliegen. „Wir müssen unser Gesundheitssystem wirksamer machen für die Menschen, die wir versorgen wollen, effizienter für die Patientinnen und Patienten“, unterstreicht Grünen-Politiker Grau, ebenfalls Professor mit veritablem medizinischen Lebenslauf als ehemaliger Leiter der neurologischen Klinik in Ludwigshafen und dereinst erster Vorsitzender der Deutschen Schlaganfallgesellschaft.

Vertrauen ins und Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem sind ein zentrales Thema der Gespräche. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte im Dezember 2024 die Menschen in Deutschland im Auftrag der AOK befragt, mit teilweise besorgniserregenden Ergebnissen: 45 Prozent der Befragten sind mit der Qualität in der Gesundheitsversorgung wenig oder gar nicht zufrieden. 60 Prozent haben wenig oder gar kein Vertrauen in die künftige medizinische Versorgung. 48 Prozent sind der Meinung, bei Gesundheit und Pflege bestehe für die kommende Bundesregierung der größte Handlungsbedarf – noch vor Wirtschaft, innerer Sicherheit und Bildung.

„Die freie Arztwahl als solche wollen wir ja nicht abschaffen, aber das muss dann auch anders bezahlt werden.“

Foto: Prof. Dr. Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Andrew Ullman

Gesundheitspolitischer Sprecher der FDP

Nicht alles, aber viel haben Unzufriedenheit und Vertrauensverlust damit zu tun, dass es vor allem für gesetzlich Versicherte, also rund 90 Prozent der Versicherten, schwierig ist, einen Termin beim Arzt zu bekommen. Mehr Effizienz brauche das System, ist die nahezu einhellige Einschätzung der Gesundheitspolitiker. Im europäischen Vergleich gibt Deutschland das meiste Geld für Gesundheit aus, bei oft nur mittelmäßigen Ergebnissen. „Wie kann es sein, dass wir pro Kopf mehr Ärzte haben, dass wir pro Kopf mehr Betten haben, dass wir pro Kopf mehr für das Gesundheitssystem ausgeben, obwohl wir für die westlichen Industrieländer eine geringere Lebenserwartung haben?“, fragt CDU-Politiker Müller und fordert, der Hausarzt müsse Dreh- und Angelpunkt sein: „Stichwort Überweisungsvorbehalt: Also erst zum Hausarzt und der verteilt dann und keine Mehrfachbesuche bei den Fachärzten, die von allen bezahlt werden müssen, obwohl die Ergebnisse die gleichen sind.“

Hier liegen bisherige Opposition und Ex-Ampel nicht weit auseinander. Auch Armin Grau sieht in einem Primärarztsystem mit dem Hausarzt als erster Anlaufstelle den richtigen Lösungsansatz. Der Baden-Württemberger verweist auf die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV), die besonders in seinem Bundesland weit verbreitet ist und „wirklich exzellente Ergebnisse“ liefere. „Wer in die HzV eingeschrieben ist, ist zufriedener mit der Versorgung, der verursacht weniger Kosten und die Ergebnisse sind besser – eine Win-Win-Win-Situation für die Kassen, für die Patientinnen und Patienten und auch die beteiligten Ärzte.“

„Es muss der medizinische Bedarf darüber entscheiden, ob ich einen Termin schnell bekomme oder ob ich eine Wartezeit habe.“

Foto: Porträt von Heike Baehrens, Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

Heike Baehrens

Gesundheitspolitische Sprecherin der SPD

Primärarzt ja, sagt auch Ullmann. Das müsse aber nicht zwingend ein Haus-, sondern könne auch ein Facharzt sein, obwohl auch Allgemeinmediziner in Deutschland umfangreiches Fachwissen mitbrächten. Ein Facharzt als Primärarzt könne vor allem bei chronisch kranken Menschen und jenen mit Handicap sinnvoll sein, die wegen ihrer Erkrankung oder Behinderung auf jeden Fall einen Facharzt benötigten. Der FDP-Politiker kann sich im Zuge dessen auch eine Einschränkung der freien Arztwahl vorstellen, für einen Liberalen nicht unbedingt erwartbar. Allerdings: „Die freie Arztwahl als solche wollen wir ja nicht abschaffen, aber das muss dann auch anders bezahlt werden.“ Stichwort Eigenbeteiligung. Wenn die medizinische Notwendigkeit nicht existiere, müsse nicht die Solidargemeinschaft dafür geradestehen, so Ullmann. „Das kann dann auch jeder selber bezahlen.“

Das klingt dann doch schon eher nach FDP. Allerdings deckt sich das in Teilen mit den Ergebnissen der bereits erwähnten Forsa-Umfrage im Auftrag der AOK. 53 Prozent der Menschen wären demnach bereit, auf die freie Arztwahl zugunsten eines schnelleren Arzttermins zu verzichten. 43 Prozent wollen an der freien Arztwahl festhalten. Für die Sozialdemokratin Heike Baehrens ist in diesem Zusammenhang entscheidend, dass die Bevorzugung privat Versicherter gegenüber gesetzlich Versicherten ein Ende hat. „Es muss der medizinische Bedarf darüber entscheiden, ob ich einen Termin schnell bekomme oder ob ich eine Wartezeit habe.“

„Wir werden den Transformationsfonds vorziehen müssen, dass die, die sich jetzt spezialisieren möchten, auch jetzt das Geld erhalten.“

Foto: Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.

Sepp Müller

Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Die Notfallreform müsse jetzt endlich im dritten Anlauf kommen, fordern alle vier Gesprächspartner. In den vergangenen beiden Legislaturperioden waren entsprechende Gesetzentwürfe am Ende nicht verabschiedet worden und gingen den Weg der Diskontinuität. Jenem Prinzip, das sagt: „Nicht verabschiedete Gesetzentwürfe werden nach dem Ende einer Legislaturperiode von der Tagesordnung genommen und müssen komplett neu ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.“

Unions- und damit bisher Oppositionspolitiker Müller verknüpft die Notfallreform mit einem Gelingen der Klinikreform. „Hier müssen wir mit den Ländern gleich am Anfang der Legislaturperiode ins Gespräch kommen, um die Notfallreform in die Verbesserung der Krankenhausreform einzubinden.“ Während die Ex-Ampel auf eine konsequente Umsetzung des noch kurz vor der Bundestagswahl verabschiedeten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) dringt, ist für ihn die Klinikreform nicht in Stein gemeißelt. Die Union will die Krankenhausreform im Falle eines Wahlsieges am 23. Februar noch einmal aufschnüren, „weil wir sonst eine kalte Strukturbereinigung sehen“, sagt Müller. Zudem fehle immer noch eine Auswirkungsanalyse. „Wir wissen also nicht, was bedeutet es konkret in dem einzelnen Krankhaus vor Ort in Köln, im Schwarzwald am Bodensee, aber auch in der Colbitz-Letzlinger Heide.“

Außerdem sprechen die Gesundheitspolitiker mit Elena Gorgis und Ralf Breitgoff über weitere „föderalistische Herausforderungen“, über Gesundheitskompetenz, über die „dicksten Bretter“ zur nachhaltigen Sicherung der Pflege, den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, die Chancen der Digitalisierung und was sich in der Gesundheitspolitik atmosphärisch ändern muss. Alle Folgen gibt es überall da, wo es Podcasts gibt, unter anderem bei Spotify.

Foto: Ein Mensch hält sein Smartphone in der Hand auf dem zu lesen ist: G+G Kassentreffen
Die G+G nicht nur lesen, sondern auch hören: Der Podcast als neues Format ist ein Wunsch unserer Leserinnen und Leser. Vier Folgen von „G+G Kassentreffen – Wer kommt, was geht?“ sind nun online.
10.01.20251 Min

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