„Der Gesundheitssektor braucht Reformen, die den Namen verdienen"
Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sind mit dem Jahreswechsel stärker gestiegen als erwartet – und werden es weiter tun, wenn die Politik nicht für mehr Effizienz sorgt, glaubt der Kieler Ökonom Jens Boysen-Hogrefe. Eine Analyse mit Blick auf den Kliniksektor.
Die Experten des Schätzerkreises hatten für den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung ein Plus von 2,5 Prozent vorhergesagt, tatsächlich waren sie zu optimistisch: Statt um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent kletterte er für das Jahr 2025 im Durchschnitt auf mehr als 2,9 Prozent. Dabei waren die Beiträge schon in den vergangenen zehn Jahren massiv gestiegen – von durchschnittlich 3.510 (2014) auf 4.724 Euro (2023) je Mitglied. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke hervor. Zusammen mit den übrigen Beiträgen zur Sozialversicherung – darunter die stark steigenden Anteile für die Pflegeversicherung – liegt der Beitragssatz für die Sozialversicherung heute bei 41,9 Prozent. Kinderlose kommen sogar auf 42,3 Prozent.
Der Hintergrund ist unstrittig: ein stetiger Anstieg der Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Bis zum Jahr 2020 hatten sich die Ausgaben lange stabil mit den Löhnen und Gehältern entwickelt“, sagt Jens Boysen-Hogrefe, außerplanmäßiger Professor für Statistik und Ökonometrie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, im aktuellen Blickpunkt Klinik: „Seit der Coronakrise sind die Ausgaben im Verhältnis zu Bruttolöhnen und -gehältern aber deutlich erhöht.“ Weil die Krankenkassen wegen gesetzlicher Vorgaben ihre Rücklagen abschmelzen mussten, fielen die Beitragserhöhungen zunächst moderat aus.
Kostentreiber Krankenhaus
Eine besondere Rolle spielt dabei die Behandlung im Krankenhaus. Bei stationären Aufenthalten dürften die Ausgaben 2024 die 100-Milliarden-Euro-Marke überspringen. Bereits 2023 erhielten die rund 1.700 Krankenhäuser mit 94 Milliarden Euro allein aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung mehr Geld und beschäftigten mit 986.983 Vollzeitkräften mehr Personal als je zuvor. Für 2024 rechnen Experten mit einem weiteren Ausgabenschub, die genauen Zahlen liegen noch nicht vor.
Während die Preise für Klinikleistungen in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, ging indes auch die Effizienz der Häuser zurück. Das zeigen Analysen zum Verhältnis von In- und Output im Krankenhaus auf Basis der Case-Mix-Entwicklung, die der GKV-Spitzenverband durchführte. Demnach ist die Produktivität der Kliniken 2022 auf 85,7 Prozent des Niveaus von 2014 gesunken. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten heute für jeden eingesetzten Euro knapp 15 Prozent weniger Leistung als vor zehn Jahren. Und die finanzielle Misere dürfte sich weiter zuspitzen, denn demografisch bedingt und auch durch den medizinischen Fortschritt rechnen viele Ökonomen mit einem künftig steigenden Behandlungsbedarf.
Mehr Effizienz ins System
Was tun? Das Mittel der Beitragssatzsteigerungen hält der Kieler Ökonom für ausgereizt. „Höhere Ausgaben schlicht über die Beiträge auszugleichen, wird die ohnehin hohe Abgabenlast der mittleren Einkommensgruppen weiter erhöhen“, sagt Boysen-Hogrefe, der auch stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Konjunktur und Wachstum am Kiel Institut für Weltwirtschaft ist. „Die steigenden Lohnnebenkosten belasten den Arbeitsmarkt – und das in einer Situation, in der die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben ausscheiden.“ Im Ergebnis werde die GKV auch von der Einnahmenseite unter Druck geraten. Der Gesundheitssektor brauche Reformen, „die den Namen verdienen und die die Ausgabendynamik wieder in Einklang mit den Einnahmen bringen“, so Boysen-Hogrefe, „dafür müssen wir darüber nachdenken, wie wir medizinische Leistungen effizienter zur Verfügung stellen können – insbesondere in dem wirtschaftlich wichtigen Kliniksektor.“ Andernfalls wären Leistungskürzungen wohl die logische Konsequenz.
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