GVSG: Mehrkosten ohne Nutzen für die Patienten
An diesem Mittwoch steht voraussichtlich der Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Sollte es bei den geplanten Änderungen für die Hausärztevergütung bleiben, kommen auf die gesetzlichen Krankenkassen Mehrkosten von mehreren hundert Millionen Euro zu. Ob sich auch die Versorgung der Versicherten verbessert, ist fraglich.
Meist findet sich in Gesetzentwürfen Licht und Schatten. Ein Teil der Pläne trifft bei den Beteiligten und Betroffenen auf Zustimmung, andere Teile stoßen auf Widerspruch. So war das auch Ende 2023 mit dem ersten Arbeitsentwurf für das GVSG, der das Ziel hatte, die Gesundheitsversorgung in den Kommunen zu stärken. Es ging unter anderem um Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren. Davon ist im Referentenentwurf und wohl auch in der Kabinettsvorlage keine Rede mehr. Stattdessen stehen nun in erster Linie neue Vorgaben für die hausärztliche Vergütung an – Stichwort Entbudgetierung. „Das Honorarvolumen für die Hausärztinnen und Hausärzte wird steigen, ohne klare Ziele, was sich für die GKV-Versicherten verbessern soll“, kritisiert Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung im AOK-Bundesverband, im Gespräch mit G+G. Auf rund 300 Millionen Euro im Jahr taxiert der AOK-Bundesverband die Mehrkosten für das Ende des Honorardeckels.
Dabei ist für die Diplom-Volkswirtin die Entbudgetierung, also der Wegfall einer zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen ausgehandelten Obergrenze für die hausärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten, nur ein Teil des im GVSG enthaltenen Problems. Sie verweist auf die neuen Pauschalen, die für die hausärztliche Vergütung vorgesehen sind: die jährliche Versorgungspauschale und die Vorhaltepauschale. Die Jahrespauschale soll die jetzige Quartalspauschale ersetzen und dazu beitragen, die Zahl der Arztbesuche zu verringern.
Mehr Fälle und höhere Fallkosten bei Kinderärzten
In dieser Neuregelung in Kombination mit der Entbudgetierung sieht Richard die Gefahr von Nachteilen gerade für chronisch Kranke: „Mit der jährlichen Versorgungspauschale wird für die Hausärzte der Anreiz geschaffen, sich gerade nicht um die behandlungsintensiven chronisch Kranken zu kümmern. Viel lukrativer werden die Patientinnen und Patienten sein, bei denen die Möglichkeit zusätzlich abrechenbarer Leistungen besteht.“ Richard verweist auf die Erfahrungen mit der Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte. Diese hätten nicht nur mehr Fälle abgerechnet. Vielmehr seien die Kosten pro Fall um etwa 75 Prozent gestiegen. Und es sei noch offen, ob sich die ärztliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen damit auch verbessert habe. Allen Beteiligten sollten die Folgen klar sein. „Die Hausarztpraxen in den Ballungsräumen werden davon stärker profitieren als die in ländlichen Regionen“, ist sie sich sicher.
Dabei sieht die Geschäftsführerin Versorgung durchaus Verbesserungsbedarf. „Wir würden gerne die hausärztliche Versorgung weiterentwickeln, das Versorgungsangebot und auch die Erreichbarkeit der Hausarztpraxen erweitern, so dass diese auch wirklich erste Ansprechpartner für Patientinnen und Patienten sind, gerade für jene, die derzeit in den Notaufnahmen landen.“ Letztlich sollten die Praxen „einen Versorgungsauftrag übernehmen, der sie in die Lage versetzt, den Patienten stärker durch das System zu navigieren“, erklärt Richard. Das alles sei zwar bereits im Fünften Sozialgesetzbuch und auch im Bundesmantelvertrag der Vertragsärzte enthalten, schlage sich aber in den jetzigen Strukturen nicht ausreichend nieder. Daran werde auch das geplante GVSG nichts ändern. „Denn mit diesem Gesetz werden die Krankenkassen mehr bezahlen, ohne die Zusage zu erhalten, dass sich die hausärztliche Versorgung verbessert“, so Richard. Für eine auf Dauer handlungsfähige Primärversorgung, die interprofessionell arbeite und flächendeckend erreichbar sei, müssten aber auch die ambulanten Strukturen weiterentwickelt werden.
Mehrausgaben bei Hausarztverträgen ohne Mehrwert
Daran ändere auch die geplante Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung nichts, im Gegenteil. Bisher hätten die meisten Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV) die geforderte Wirtschaftlichkeit nicht vorweisen können. Dies werde mit dem geplanten Bonus von 30 Euro für Versicherte, die an einer solchen Versorgung teilnehmen, noch schwieriger. Rund neun Millionen Versicherte hätten sich, so Richard mit Bezug auf Zahlen des Deutschen Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, in eine HZV eingeschrieben: „Damit werden voraussichtlich weitere rund 270 Millionen Euro Mehrkosten auf die Krankenkassen zukommen.“ Für den AOK-Bundesverband ist der Zeitpunkt gekommen, die gesetzliche Pflicht der Kassen auf Abschluss eines Hausarztvertrags zu streichen.
Noch völlig unberücksichtigt sind nach Richards Einschätzungen die Auswirkungen der geplanten Vergütungsregelungen auf die Finanzierungssystematik der Krankenkassen. Die Zuweisungen im morbiditätsorientieren Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) basieren auf quartalsbezogenen Daten. Die Pauschalierungen der hausärztlichen Vergütung führten daher nicht nur zu Fehlanreizen in der Versorgung, sondern auch zu unkalkulierbaren Verwerfungen im kassenübergreifenden Finanzausgleich. Es wäre daher unerlässlich, die RSA-Mechanik mit zeitgleicher Wirkung anzupassen.
Angesichts der vielen Herausforderungen für die Sicherung einer guten Versorgung plädiert sie für neue Versorgungsstrukturen, wie sie der AOK-Bundesverband vor wenigen Wochen unter dem Stichwort „Regionale sektorenunabhängige Versorgung“ vorgestellt hat. Der Grundgedanke: Regional ausgerichtete sektorenunabhängige Versorgungsverträge sollen rechtlich ermöglicht werden. „Wir wollen, dass vor Ort innovative Ansätze entwickelt und von Krankenkassen, Pflegekassen und auch Kommunen umgesetzt werden können.“
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