Blickwinkel Finanzierung

Risikostrukturausgleich: Beirat springt zu kurz

13.06.2024 Klaus Jacobs 4 Min. Lesedauer

Jacobs' Weg: Der Wissenschaftliche Beirat hat die Wirkung der Regionalkomponente im Risikostrukturausgleich (RSA) untersucht. Dabei hat er jedoch leider aus dem Blick verloren, warum es den RSA überhaupt gibt.

Foto: Drei Spielfiguren in den Farben Rot, Blau und Gelb stehen auf Münzstapeln, die unterschiedlich hoch sind.
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich ist Bestandteil des Zuweisungsverfahrens für die Gelder aus dem Gesundheitsfonds, in den alle Krankenkassen die Beiträge der Versicherten abführen.

Der Risikostrukturausgleich (RSA) ist der Schlüssel zur Verteilung der Finanzmittel des Gesundheitsfonds auf die Krankenkassen. Er soll im Kassenwettbewerb für unverzerrte Beitragssignale sorgen und die Handlungsanreize richtig setzen: kein Abwimmeln von alten, kranken und vulnerablen Versicherten (Risikoselektion), sondern aktives Eintreten für die Verbesserung ihrer Versorgung. Seit 1994 ist der RSA stetig weiterentwickelt worden. Eine ganz zentrale Wegmarke war der 2009 eingeführte direkte Krankheitsbezug der Zuweisungen. Seit 2021 gibt es erstmals auch einen Regionalfaktor zur Abbildung regional unterschiedlicher Kostenniveaus. Die Analyse dieses Faktors war jetzt Aufgabe des wissenschaftlichen RSA-Beirats beim Bundesamt für Soziale Sicherung.

Handlungsanreize müssen stimmen

Foto: Porträtbild von Prof. Dr. Klaus Jacobs, Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
Prof. Dr. Klaus Jacobs

Ein Ergebnis der Analyse des Beirats war es, dass Regionaldifferenzen umso besser erfasst werden, je gezielter die Zuweisungen auf der Individualebene der Versicherten erfolgen, und zwar nicht nur nach Alter, Geschlecht und Krankheit, sondern auch nach weiteren sozioökonomischen Merkmalen. Doch weil die Pflegekassen dem Beirat zufolge Einfluss auf den Pflegegrad nehmen könnten, sollte das Merkmal Pflegebedürftigkeit nicht gesondert im RSA berücksichtigt werden. Das ist ein Fehler, denn gerade die immer größere Gruppe der Pflegebedürftigen darf keiner Risikoselektion ausgesetzt werden. Im Gegenteil: Ihre oft defizitäre Gesundheitsversorgung erfordert besondere Aufmerksamkeit. Viel zu viele Pflegebedürftige landen unnötig im Krankenhaus und erhalten ungeeignete Arzneimittel. Damit hiergegen gezielt vorgegangen wird, müssen aber die Handlungsanreize stimmen. Pflegebedürftige dürfen kein ungünstiges Versicherungsrisiko mehr sein, weil ihre überdurchschnittlich hohen Leistungsausgaben durch die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds systematisch unterdeckt sind.

„Im RSA muss es immer um die gezielte Verbesserung der Versorgung der Versicherten gehen.“

Prof. Dr. Klaus Jacobs

Volkswirt und ehemaliger Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK

Deshalb hätte der Beirat einen Vorschlag machen sollen, wie das individuelle Merkmal Pflegebedürftigkeit im RSA manipulationssicher berücksichtigt werden kann, anstatt bloß die Schultern zu zucken und sich an formalen Kriterien abzuarbeiten. Für einen solchen Vorschlag ist es aber noch nicht zu spät. Wenn der Beirat selbst nicht auf diese Idee kommt, kann ihm die Politik auch einen solchen Auftrag erteilen. Der RSA ist kein Selbstzweck für Methodik-Interessierte – in erster Linie muss es immer um die gezielte Verbesserung der Versorgung der Versicherten gehen. Auf dieses Ziel sind RSA-Reformen auszurichten und hieran sind sie zu messen.

Mitwirkende des Beitrags

2 Kommentare

Lieber Herr Amberg, vielen Dank für Ihren Hinweis. Wir haben die Formulierung angepasst.

Ihre G+G-Redaktion.

Ich empfehle den Passus „… die immer größere Gruppe der Pflegeversicherten darf keiner Risikoselektion ausgesetzt werden“ in „Gruppe der Pflegebedürftigen“ zu ändern. Inhaltlich ist der Beitrag sehr wertschöpfend und begrüßenswert.

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