„Digitalisierung muss als strategische Priorität verstanden werden“
Die Digitalisierung verändert die Arbeit im Krankenhaus. Wie genau, das hat jetzt die Studie „Digitalisierung im Krankenhaus“ der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Über die Vorteile digitaler Technologien, deren Risiken und was die Forschenden überraschte, spricht Mit-Autor der Studie, Christian Meske, Professor für Soziotechnisches Systemdesign und Künstliche Intelligenz an der Ruhr-Universität Bochum, im G+G-Interview.
Was war der Anlass der Studie „Digitalisierung im Krankenhaus“?
Prof. Dr. Christian Meske: Die fortschreitende digitale Transformation der Krankenhäuser, die zu verstärkter Kontrolle und Teilautomatisierung der Arbeit führen kann. Während Ärztinnen und Ärzte, Medizinisch-Technische Assistentinnen und Assistenten sowie Pflegekräfte inzwischen bei fast allen Tätigkeiten durch algorithmische Technologien unterstützt werden – von der Behandlungsdokumentation bis hin zur Entscheidungsunterstützung – waren empirisch gesicherte Erkenntnisse über die Auswirkungen dieser Entwicklung bisher rar. Vor allem mangelte es an Untersuchungen darüber, wie sich das Zusammenspiel von Menschen und Technologie auf die wahrgenommene Handlungsmacht der Mitarbeitenden auswirkt.
Was ist die zentrale Erkenntnis der Studie?
Meske: Dass Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte ihre Handlungsmacht durch digitale Systeme nicht bedroht sehen, sondern sogar das Potenzial der Digitalisierung zur Verbesserung der Krankenhausarbeit und Patientenversorgung erkennen.
Und auch verwenden...?
Meske: Dazu müssen IT-Systeme gezielt auf die Bedürfnisse und Arbeitsabläufe einzelner Abteilungen und Berufsgruppen abgestimmt sein und den Beschäftigten Spielräume in der Nutzung einräumen. Digitalisierung muss als strategische Priorität verstanden werden, die ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen erfordert. Besonders wichtig ist ein ganzheitlicher Ansatz, da fehlende Integration verschiedener IT-Systeme oder unterschiedliche IT-Lösungen auf verschiedenen Stationen zu Mehrarbeit und Frustration führen und damit die Handlungsfähigkeit des medizinischen Personals einschränken können.
Welchen Nutzen hat die Digitalisierung im Krankenhaus? Können Sie bitte ein Beispiel nennen?
Meske: Die Digitalisierung erweitert die Handlungsmöglichkeiten des medizinischen Personals in vielfältiger Weise: Sie ermöglicht die automatische Erfassung von Vitaldaten in der Pflege-Dokumentation, was Fehler reduzieren und Zeit für wichtigere Aufgaben freisetzen kann. Sie bietet ortsunabhängigen Zugriff auf Patientendaten und unterstützt die Entscheidungsfindung durch intelligente Hinweise wie Alarmsysteme und farbliche Markierungen bei auffälligen Werten. In der Diagnostik stärken algorithmenbasierte Systeme, beispielsweise in der Radiologie bei der Prostatakrebs-Diagnostik, die Handlungskompetenz der Ärztinnen und Ärzte, wodurch invasive Verfahren reduziert werden können. Zudem vereinfacht die digitale Erfassung die Weiterverwendung von Daten für Forschung, Abrechnung und Qualitätsmanagement.
Welche Risiken birgt sie?
Meske: Die Hauptrisiken liegen in einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit durch benutzerunfreundliche Systeme, die nicht mit klinischen Arbeitsabläufen harmonieren. Wenn Beschäftigte durch rigide Systemvorgaben in ihrer Arbeitsweise eingeschränkt werden oder durch unzureichende Integration verschiedener Systeme Doppelarbeit entsteht, kann dies zu Frustration und verminderter Arbeitsqualität führen. Auch können schlecht gestaltete Benutzeroberflächen und zeitaufwändige Dokumentationsprozesse den Handlungsspielraum im ohnehin zeitkritischen Krankenhausalltag weiter einengen.
Gibt es Studienergebnisse, die Sie überrascht haben?
Meske: Überraschend war, dass entgegen der ursprünglichen Annahme keine der befragten Personen von einem Gefühl der eingeschränkten Handlungsmacht oder übermäßigen Kontrolle durch die Digitalisierung berichtete. Kontrolle wird viel mehr als normaler Bestandteil der Krankenhaus-Hierarchien gesehen und akzeptiert. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass nicht nur die Ressource „IT-Systeme“ selbst, sondern auch der Mangel an Zeit und Personal wesentliche Faktoren sind, die die Handlungsfähigkeit der Beschäftigten einschränken und zu Abweichungen in der Systemnutzung führen.
„Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte erkennen das Potenzial der Digitalisierung zur Verbesserung der Krankenhausarbeit und Patientenversorgung.“
Professor für Soziotechnisches Systemdesign und Künstliche Intelligenz an der Ruhr-Universität Bochum
Was machen Sie jetzt mit den ganzen Ergebnissen?
Meske: Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines systematischen Ansatzes bei der Digitalisierung im Krankenhaus. Dies umfasst die Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit, die Integration verschiedener Systeme und ausreichende Ressourcen für Schulungen und Support. Die Erkenntnisse sollen in die Entwicklung zukünftiger Digitalisierungsstrategien einfließen, wobei der Fokus auf der Unterstützung und Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des medizinischen Personals liegt.
Welche weiteren Entwicklungen bei der Digitalisierung im Krankenhaus stehen an? Welche wünschen Sie sich?
Meske: Basierend auf den Studienergebnissen sind wichtige Entwicklungen, die weitere Integration verschiedener IT-Systeme und deren Anpassung an spezifische Arbeitsabläufe, um die Handlungsspielräume der Beschäftigten zu erweitern. Auch sollte der Fokus auf der Bereitstellung ausreichender Ressourcen für die Digitalisierung liegen, sowohl finanziell als auch personell. Eine wichtige Entwicklung wäre zudem die verstärkte Einbindung der Endnutzerinnen und Endnutzer in die Gestaltung und Implementierung digitaler Systeme, um deren Expertise und Bedürfnisse optimal zu berücksichtigen und damit ihre Handlungsmacht zu stärken.
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