Deutschland hat bei Digitalisierung viel aufzuholen
Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hängt Deutschland hinterher. Das geht aus dem aktuellen Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) „Gesundheit auf einen Blick 2023“ hervor, den die OECD am 7. Oktober vorgestellt hat.
In einem Ländervergleich der OECD unter 22 Staaten landet Deutschland auf dem drittletzten Platz, wenn es darum geht, Zugang zu den Gesundheitsdaten zu haben und diese miteinander zu verknüpfen. „In Deutschland mangelt es vor allem an der Verfügbarkeit von landesweiten Daten, um die gesamte Bevölkerung abzudecken“, sagte Michael Müller, OECD-Analyst für Gesundheitspolitik, bei der Vorstellung der Ergebnisse. So gebe es zum Beispiel keine national verfügbaren Datensätze zur Primärversorgung oder der Notfallversorgung. Vergleichbare Datensätze seien dagegen etwa in Dänemark oder Norwegen längst verfügbar.
Zugang zu Gesundheitsdaten soll schnell möglich werden
Dabei braucht Deutschland die digitale Transformation dringender denn je. Davon ist Professor Dr. Jonas Schreyögg überzeugt. Er sieht darin die Chance, die Fragmentierung des Gesundheitssystems zu überwinden. Der Gesundheitsökonom, der auch stellvertretender Vorsitzender im Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege ist, plädiert deshalb für mehr Tempo bei der Vernetzung. Bei der Diskussion der OECD-Ergebnisse sagte er: „In Deutschland haben wir beispielsweise die Problematik, dass es zwischen dem ärztlichen Bereitschaftsdienst und der Notaufnahme im Krankenhaus per Gesetz keinen digitalen Austausch geben darf, obwohl sie unter Umständen an einem Standort sind.“ Laut Schreyögg gehört dieser Zustand dringend abgeschafft. Die Digitalisierung würde in diesem Fall dazu beitragen, die Kommunikation an den Schnittstellen der Versorgung zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund erhofft sich Schreyögg viel von den geplanten Digitalisierungsgesetzen, über die der Bundestag am 9. November in erster Lesung beraten wird. „Es geht jetzt darum, im ersten Schritt das zu schaffen, was viele unserer Nachbarn längst umgesetzt haben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, den Zugang zu Gesundheitsdaten für die Forschung zu verbessern. Im internationalen Vergleich ist er bei uns derzeit recht dürftig. Das hat auch eine wichtige ökonomische Dimension für Deutschland als Wirtschafts- und Forschungsstandort.“
Digitalisierung hilft bei Pandemien
Die Daten der OECD legen nahe, dass Digitalisierung und damit einhergehende Vernetzung von Akteuren sowie sektorenübergreifender Datenaustausch eine bessere Bewältigung von Gesundheitskrisen ermöglichen. So haben Studien aus dem europäischen Raum gezeigt, dass gerade diese Faktoren die Gesundheitssysteme in Pandemiezeiten resilienter machen. „Die skandinavischen Länder liegen hier ganz vorn. Ihre Gesundheitssysteme sind so aufgebaut, dass sie eine höhere Durchlässigkeit ermöglichen. Dagegen haben Länder wie Deutschland oder Österreich, wo die Fragmentierung höher ist, am Anfang der Corona-Pandemie sich schwergetan“, erläuterte Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien in Wien, der ebenfalls an der Diskussion teilnahm. Dass die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen in den letzten Jahren gepusht wurde, hält der Wissenschaftler für eines der positiven Aspekte der Coronakrise. Die Länder, die digital eher skeptisch seien, etwa die zentraleuropäischen Staaten, zu denen auch Deutschland und Österreich gehören, hätten während der Pandemie einen wichtigen Schritt nach vorn gewagt. Für Czypionka berge die Digitalisierung noch mehr Potenziale. Sie trage etwa dazu bei, die Versorgung zu verbessern, aber auch die Effizienz zu erhöhen und damit den Bedarf an Personal zu reduzieren.
Fähigkeit auf die Datensätze im Gesundheitswesen zuzugreifen und diese miteinander zu verknüpfen, im OECD-Vergleich
Patientensicht soll in Therapieentscheidungen einfließen
Digitalisierung kann außerdem eine stärkere Patientenorientierung bei der Behandlung voranbringen. Bei diesem Thema steht Deutschland laut OECD zwar nicht schlecht da, es kann aber auch noch dazu lernen. Wie dies in der Praxis funktionieren kann, erläuterte Claudia Hartmann. Sie ist bei der Charité Berlin für die Einführung des sogenannten Patient Reported Outcome, kurz PRO, zuständig. Es geht darum, das Gesundheitserleben und den Therapieerfolg aus der Sicht der Patientinnen und Patienten zu erfassen. Der PRO ergänzt die Bewertung einer Therapiemaßnahme um die subjektive Einschätzung der behandelten Person. Die Charité plant, solche Daten bis 2025 in allen stationären und ambulanten Einrichtungen zu erheben. „Wir erhoffen uns dadurch, eine bessere Einbindung von Patientinnen und Patienten in den Behandlungsprozess sowie eine höhere Wertigkeit und Sichtbarkeit ihres Wohlbefindens. Ziel ist es, mithilfe der Daten herauszufinden, welche Behandlung für welche Patientengruppe gut funktioniert und zu einem guten Therapieergebnis führt, um hier noch eine weitere Grundlage für Entscheidungen über mögliche Behandlungswege treffen zu können.“
Die Ausgabe 2023 von „Gesundheit auf einen Blick“ (Health at a Glance) präsentiert die neuesten Vergleichs‑ und Trenddaten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung und zur Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme in OECD‑Mitgliedsländern, ‑Beitrittsländern und ‑Partnerländern.
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