Ob Corona- oder Klimakrise: Wie lässt sich wissenschaftliche Unsicherheit am besten vermitteln?
Wie Journalismus und Wissenschaftskommunikation wissenschaftliche Unsicherheit in Krisen am besten vermitteln können, erforscht ein Team am neuen Institute for Planetary Health Behaviour. Die beiden Verantwortlichen, Fabian Prochazka und Finja Isabel Augsburg, geben im Interview Einblicke in das Projekt.
Die beiden größten globalen Krisen der Gegenwart mit der Corona-Pandemie und dem Klimawandel zeigen, wie schwierig es sein kann, wissenschaftliche Unsicherheit zu vermitteln, besonders wenn sich die Forschung unter den Augen der Öffentlichkeit noch im Entstehungsprozess befindet. Denn die Unsicherheit über die Gültigkeit der Erkenntnisse bietet auch immer Nährboden für gesellschaftsschädigendes Verhalten beispielsweise durch Desinformationen. Beide Krisen stehen in Zusammenhang und haben gemein, dass sie eine große Gefahr für die Gesundheit der Weltgemeinschaft sind. Und beide bewegen sich aufgrund ihrer Aktualität und herausfordernden Bedeutung im Spannungsfeld zwischen Politik, Wissenschaft und öffentlicher, kontrovers geführter Debatte.
Hier setzt ein im November gestartetes Forschungsprojekt am neuen „Institute for Planetary Health Behaviour“ (IPB) der Universität Erfurt an, das im Juni seine Gründung feierte. Unter dem Titel „UncertainTEAM – Zielgruppengerechte Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheit in multiplen Krisen“ will das interdisziplinäre Team herausfinden, wie diese akute Unsicherheit durch Journalismus und Wissenschaftskommunikation am besten vermittelt werden kann. Im Interview mit G+G geben Fabian Prochazka und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Finja Isabel Augsburg Einblick in das Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 600.000 Euro für die kommenden drei Jahre gefördert wird.
Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie für Ihr Forschungsprojekt?
Jun.-Prof. Dr. Fabian Prochazka: Durch die Pandemie ist das Thema Vermittlung von Unsicherheiten noch mal sehr viel bewusster geworden. Vor allem auch uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Daher hätte es das Projekt ohne Pandemie in dieser Form vielleicht tatsächlich nicht gegeben. Vor allem ist uns bewusst geworden, wie schnell und wie einfach wissenschaftliche Erkenntnisse oder vermeintliche Erkenntnisse instrumentalisiert werden können und wie leicht Unsicherheit ausgenutzt werden kann für Leugnungen und um Wissenschaft zu diskreditieren.
Können Sie das konkretisieren?
Finja Isabel Augsburg: Die pandemiebegleitende Impfdebatte war zum Beispiel geprägt von ganz großen Ängsten. Ursache war hier häufig die wahrgenommene Unsicherheit bei Themen wie dem mRNA-Impfstoff oder der Zuverlässigkeit von Tests. Und dann haben viele Menschen ablehnend reagiert und sich gesagt: „Ach, das wussten sie jetzt auch wieder nicht“, „Das ist schon wieder revidiert“, „Jetzt kommt wieder was Neues“, „Was können wir denn überhaupt noch glauben?“ Und da ist auch in Journalismus und Wissenschaftskommunikation dann eine gewisse Angst entstanden, wie man mit diesen Unsicherheiten umgehen sollte. Daher stellt sich die Frage: Wie kommunizieren wir diese wissenschaftliche Unsicherheit, die ja weiterhin vorherrschen wird, auch in kommenden Krisen?
Ihre Forschung reicht damit weit über die Pandemie hinaus?
Prochazka: Ja. Die Pandemie war ein Sonderfall, weil man dem wissenschaftlichen Wissen sozusagen im Werden zusehen konnte. Es war alles unklar am Anfang und wir haben sehr, sehr kleinteilig beobachtet, wie Impfstoffe entwickelt werden, Tests funktionieren, bis hin zu den Aerosolforschern, die einem erklären, wie sich so eine Viruswolke im Raum verteilt. Diese hohe Aufmerksamkeit für den Prozess der Wissenschaft ist schon sehr unüblich. Typischerweise kommen wissenschaftliche Erkenntnisse eher schlaglichtartig: man erfährt über eine Studie oder einen Durchbruch nicht so kleinteilig, wie es jetzt in der Pandemie der Fall war.
Im Projekt interessiert uns dann auch die ganz grundlegende wissenschaftliche Unsicherheit. Wir wissen nie, was in der Zukunft noch passiert und alles wissenschaftliche Wissen ist vorläufig. Und wie man mit dieser ganz grundsätzlichen Ungewissheit oder Unsicherheit kommunikativ umgeht, ist auch noch weitgehend eine offene Frage.
Gibt es einen thematischen Schwerpunkt?
Prochazka: Ja, wir haben eine Eingrenzung auf unseren großen Themenbereich Planetary Health. Uns wird es um die Vermittlung von Themen gehen, die mit Umwelt, Klimawandel und Gesundheit im weitesten Sinne zu tun haben. Und der Fokus liegt natürlich auch auf sogenannten „socio-scientific issues“, also sprich Themen, die wissenschaftlich interessant, aber auch gesellschaftlich kontrovers und umstritten sind. Der Klimawandel ist vielleicht das beste Beispiel dafür.
Welchen neuen Erkenntnisgewinn erhoffen Sie sich?
Prochazka: Mit der Frage, wie man wissenschaftliche Unsicherheit vermittelt, beschäftigt sich die Wissenschaftskommunikationsforschung tatsächlich schon eine ganze Weile. Wir wollen vor allem auf die zielgruppenspezifische Kommunikation von Unsicherheiten fokussieren. Die bisherige Forschung fragt häufig nach generellen Effekten über alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen hinweg. Daher wissen wir eigentlich noch relativ wenig darüber, in welchen Gruppen, bei welchen Voreinstellungen, welche Formen der Darstellung von Unsicherheit wie wirken.
„Wir wissen noch relativ wenig darüber, in welchen Gruppen, bei welchen Voreinstellungen, welche Formen der Darstellung von Unsicherheit wie wirken.“
Projektleiter
Lassen sich in unserer heterogenen Gesellschaft überhaupt noch trennscharfe Gruppen ausmachen?
Prochazka: Ja, das ist eine ganz grundlegende Frage, auf welche Gruppen man sich bezieht – eine, die wir im Laufe des Projekts auch noch genauer klären müssen. Eine Rolle spielen werden sicherlich Voreinstellungen zu Wissenschaft oder auch das Wissen darüber, wie Wissenschaft arbeitet. Wie vermitteln wir Unsicherheit beispielsweise an Menschen, die eben mit Wissenschaft sehr wenig Berührungspunkte haben? Oder an Menschen, die aufgrund gesellschaftlicher Krisen wie dem Klimawandel ohnehin schon verunsichert sind und nach klaren Antworten suchen? Das können aber Menschen in allen möglichen gesellschaftlichen Schichten sein und man muss hier nicht an typische Einteilungen nach Alter, Geschlecht oder Bildung denken.
Auf welche Kommunikationswege schauen Sie dabei? Vor allem digitale oder auch auf klassische Medien?
Augsburg: Wir wollen uns definitiv verschiedene Formate angucken und nicht nur auf die Online-Welt schauen. Ganz wichtig sind da auch die klassischen Medien wie Fernsehen und Print. Zudem wollen wir uns verschiedene Darstellungsformen ansehen und auch da ein möglichst breites Spektrum abdecken.
Prochazka: Und wir hoffen, dass wir bestimmte Merkmale der Kommunikation von Unsicherheit herausarbeiten können, unabhängig von einem Medium. Diese können in Textform vorkommen, aber auch in einem Videobeitrag oder in einem kurzen Social-Media-Post. Uns geht es um die Fragen, wie überhaupt die Bevölkerung zu Unsicherheit steht, welches Verständnis sie von wissenschaftlicher Unsicherheit hat, wie professionelle Wissenschaftskommunikatoren und Journalistinnen damit umgehen und versuchen, Unsicherheit zu vermitteln. Daraus wollen wir ideale Arten der Darstellung ableiten und dann empirisch überprüfen, wie sie wirken.
Gibt es unterschiedliche Gewichtungen bei den beteiligten Disziplinen?
Augsburg: Wir haben unsere Arbeit in Teilprojekte untergliedert, in denen sich Expertinnen und Experten zusammenfinden. Unser Forschungsprojekt zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass wir aus verschiedenen Richtungen wie Soziologie, Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Bildungsforschung zusammenkommen und so aus verschiedenen Perspektiven, aber unter der gleichen Motivation auf dieses Thema blicken. Wir finden uns in kleineren Teams zusammen und können unsere Expertise so ideal kombinieren.
Welchen praktischen Nutzen können die Ergebnisse haben?
Augsburg: Wir hoffen, dass wir einen Impuls geben können für journalistische Berichterstattung oder für Wissenschaftskommunikation. Wenn wir auf die Pandemie zurückschauen, standen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren in Journalismus und Wissenschaft plötzlich vor der Frage: Wie gehen wir mit der Unsicherheit um? Lassen wir sie aus Angst erst mal hinten runterfallen? Da setzt unsere Studie mit Tools und Werkzeugen an, um in Zukunft hoffentlich ein bisschen zielgerichteter handeln zu können. Wir können dann in Form wissenschaftlich begründeter Ratschläge sagen: Das ist der Idealfall, so kann das klappen.
Mitwirkende des Beitrags
Autorin