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Krebsbetroffenen fehlt Koordination bei Jobrückkehr

28.11.2024 Irja Most 4 Min. Lesedauer

Eine Bestandsaufnahme, wie gut die EU-Länder aufgestellt sind, um Krebserkrankten den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen, liefert eine aktuelle Studie. Das Angebot der Frauenselbsthilfe Krebs (FSH) in Deutschland stellt die Analyse neben anderen europäischen Beispielen positiv heraus. Ein Manko sieht die FSH aber noch.

Krebsbetroffene sitzt bei der Arbeit an einem Schreibtisch.

Die Diagnose Krebs ist für Betroffene nicht nur gesundheitlich ein Schock, sondern Berufstätige sorgen sich auch häufig um ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen. Umso wichtiger ist es für sie, im Beruf zu bleiben beziehungsweise wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, wenn der Gesundheitszustand es zulässt. „Die Motivation ist bei den meisten Betroffenen hoch“, gibt der Krebsinformationsdienst in Deutschland an. Denn durch Früherkennung und verbesserter Versorgung sind die Überlebenschancen und Lebensqualität deutlich gestiegen. Die Zahl der Krebsüberlebenden wird in Europa derzeit laut EU-Statistik auf mehr als zwölf Millionen geschätzt. In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa eine halbe Million Menschen an der Volkskrankheit Krebs nach Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten.

In einer Umfrage für die nun vom Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union herausgegebenen Studie gaben die Befragten an, dass ihnen aber Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung fehle und es an flexiblen Arbeitsregelungen und geeigneten Vorkehrungen am Arbeitsplatz mangele. Diese wesentlichen Hindernisse standen bei der Frage nach den größten Herausforderungen und unerfüllten Bedürfnissen, mit denen Krebsbetroffene sich konfrontiert sähen, wenn sie im Berufsleben verbleiben oder in den Job zurückkehren wollten, mit 58 Prozent an vierter Stelle. Ganz oben rangierten mit 70 beziehungsweise 68 Prozent psychische und körperliche Gesundheitsprobleme.

FSH bietet Unterstützung für informierte Entscheidung

Die EU-Analyse gelangt zu dem Schluss, dass es auf nationaler Ebene nur wenige gesetzliche oder politische Maßnahmen gibt, die speziell auf Krebsbetroffene ausgerichtet sind. Häufiger indes seien allgemein geltende Rechtsvorschriften und politische Strategien für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, die auch für Krebspatientinnen, -patienten und -überlebende gelten können, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Das ist in Deutschland nach Einschätzung der Frauenselbsthilfe Krebs (FSH), die in der Studie als eines von elf positiven Beispielen in Europa genannt wird, jedoch weniger problematisch. Die FSH stellt auf Nachfrage von G+G heraus, dass das soziale Sicherungssystem in Deutschland im Krankheitsfall umfassende Hilfen anbiete. Speziell das Angebot der FSH „besteht im Wesentlichen darin, dass wir den Betroffenen helfen, sich im Dschungel der zahlreichen bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten zurechtzufinden“.

Der Verband halte umfassende Informationen für einen Wiedereinstieg ins Berufsleben vor. Die Perspektive der eigenen Betroffenheit und der damit einhergehende Erfahrungshorizont zeichne das Angebot aus. „Die FSH trägt damit zum Empowerment von Patientinnen und Patienten bei und befähigt sie, eine informierte Entscheidung zu treffen“, betont der Verband. Die vorhandenen Leistungen hierzulande wie Hamburger Modell, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) oder die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - allesamt gesetzliche Maßnahmen - böten auch bei Krebs sehr gute Konditionen für die Betroffenen. Beim Hamburger Modell können Arbeitnehmende stufenweise wieder einsteigen und die Arbeitszeit nach und nach aufstocken. Mit dem BEM sind Arbeitgeber verpflichtet, Mitarbeitende, die im Laufe eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren, ein solches Eingliederungsmanagement anzubieten. Dabei werden alle Krankheitstage der vergangenen zwölf Monate zusammengezählt. Vorangestellt ist ein vertrauliches Gespräch, wie der Einstieg in den beruflichen Alltag am besten verlaufen könnte.

Betroffene vermissen eine Art Lotsenfunktion

Trotz dieser Rahmenbedingungen wünschen sich die Betroffenen aber noch Verbesserungen. „Ein Manko sehen wir darin, dass sich die Betroffenen in einem gewissen Maß selbst um die passenden Wiedereingliederungsmaßnahmen kümmern müssen“, erklärt die FSH gegenüber G+G. Vieles läge in der Eigenverantwortung der Betroffenen. „Es gibt – soweit uns bekannt ist – kein strukturiertes Vorgehen.“ In der Anschlussheilbehandlung und Rehabilitation gebe es für Berufstätige immer Beratungen zur beruflichen Wiedereingliederung. Die Krebsberatungsstellen überall in Deutschland informierten zu diesem Thema, ebenso der Krebsinformationsdienst und das Infonetz Krebs. „Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass – genau wie nach dem Krankenhausaufenthalt – die Betroffenen eine Koordination und ein gewisses ‚an die Hand genommen werden‘ vermissen“, berichtet der Verband.

Beispiele guter Praxis

Rentree (Belgien), ein Programm zur Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung mit einem speziellen Beratungsangebot zur Rückkehr an den Arbeitsplatz oder Fortführung der Erwerbstätigkeit während einer Behandlung.

Charta Cancer@Work (Frankreich und Luxemburg), die entwickelt wurde, um die berufliche Integration von Krebsbetroffenen, ihre Weiterbeschäftigung und ihre Lebensqualität am Arbeitsplatz zu fördern und Unternehmen dabei zu unterstützen, Talente zu halten und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu wahren bzw. auszubauen.

Re-turn (Niederlande), eine Organisation, die sich auf die Beratung zur Wiedereingliederung von Krebsbetroffenen spezialisiert hat. oPuce (Niederlande), eine Stiftung, die mit einem Netzwerk großer Unternehmen zusammenarbeitet, um Beschäftigungsmöglichkeiten und Beispiele guter Praxis für die Beschäftigung von Menschen mit Krebserfahrung zu ermitteln.

TYÖOTE (Finnland), eine politische Maßnahme zur Verbesserung der Koordination zwischen der fachärztlichen Versorgung, der medizinischen Grundversorgung und der betrieblichen Gesundheitsversorgung, um die Behandlung, die Rehabilitation und die berufliche Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers effizienter zu gestalten.

TrasformAZIONE von Europa Donna (Italien), eine Maßnahme, bei der die besonderen Herausforderungen von krebskranken Frauen im Vordergrund stehen.

Beratung durch die Frauenselbsthilfe Krebs (Deutschland), die Informationen und Unterstützung bei der beruflichen Rehabilitation bietet.

Aktion II-13 der französischen Zehnjahresstrategie zur Krebsbekämpfung (2021–2030) (Frankreich) zur Entwicklung von Systemen, die es Krebspatientinnen und -patienten ermöglichen, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren oder diesen zu behalten, durch moderierte Gespräche und Kommunikationsmaßnahmen.

Andalusisches Kooperationsprotokoll für Berufsberatung (Spanien) zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit vulnerabler Gruppen von Arbeitslosen und Erleichterung ihres Zugangs zum Arbeitsmarkt.

Protokoll für die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach Langzeitkrankenstand in KMU in der Gemeinschaft Madrid (Spanien), das Orientierung zur Anpassung an die möglicherweise veränderten Fähigkeiten eines Mitarbeiters bietet.

Leitfaden von AMELIE für die Rückkehr an den Arbeitsplatz (Tschechien), der allen Krebspatientinnen, -patienten und - überlebenden bei Entscheidungen über die Rückkehr an den Arbeitsplatz helfen soll, indem er Informationen aus verschiedenen Bereichen bietet, etwa zu sozialen Fragen oder arbeitsrechtlichen und gesundheitlichen Aspekten.

Quelle: Amt für Veröffentlichungen der EU

Foto: Ein Wegweisersystem mit roten Steinen, dazwischen liegt ein Stein.
Nach einer überstandenen Krebserkrankung wollen die Betroffenen in der Regel neu durchstarten – im Job, im Studium oder in der Ausbildung und privat. Junge Menschen etwa möchten sich eine Existenz aufbauen, vielleicht eine Familie gründen. Doch die zurückliegende Krankheit ist wie ein Stigma und legt ihnen teils lebenslang Steine in den Weg.
16.02.2024Thorsten Severin6 Min

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