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Organspende: Lebendspenden bei Nieren künftig vereinfachen

03.06.2024 Tina Stähler 4 Min. Lesedauer

Allein im Jahr 2022 sind in Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium 339 Menschen gestorben, die auf der Warteliste für eine Nierenspende standen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant deshalb, die Bedingungen für Spendernieren zukünftig zu erleichtern. Ob dies ein Meilenstein sein könnte, um die Zahl der Organspenden generell zu erhöhen, erläutern Expertinnen und Experten im Gespräch mit G+G.

Foto: Eine Person im weißen Kittel schreibt etwas auf ein Klemmbrett, daneben steht das Organmodell einer Niere.
Insgesamt warteten Ende 2022 über 6.700 Menschen, die als transplantabel gemeldet wurden, auf eine Spenderniere.

Viel zu viele Menschen warten auf ein Spenderorgan. Ein Referentenentwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Ende April vorgestellt hat, sieht vor, zukünftig Nierenspenden zwischen zwei Paaren „über Kreuz" zu ermöglichen, die sich nicht persönlich nahestehen. Die Niere geht dann nicht an die vorgesehene nahestehende Person, sondern an eine passende Empfängerin oder einen passenden Empfänger, die mit einem geplanten nahestehenden Spender ebenfalls nicht kompatibel sind. Im Gegenzug geht die Spenderniere des anderen Paares an die Empfängerin oder den Empfänger des ersten Paares. Aktuell sind Lebendorganspenden in Deutschland Verwandten, Eheleuten und anderen vorbehalten, die ein enges Verhältnis zur Empfängerin oder zum Empfänger haben. Dies schränkt die Anzahl möglicher Spenderinnen und Spender ein, da die Nieren zweier Menschen nicht immer zueinanderpassen. Das transplantierte Organ kann dann abgestoßen werden. 

Hohe geografische und logistische Hürden bei Überkreuzspende

Prof. Dr. Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrums am Uniklinikum München, sieht „vom Prinzip her" in der Überkreuz-Spende „eine gute Möglichkeit, um zum Beispiel bei Blutgruppenunverträglichkeit Spender-Empfänger-Paaren eine Alternative zu eröffnen". Allerdings gab er gegenüber G+G „große organisatorische Herausforderungen" zu bedenken. „Um die Möglichkeit auszuschließen, dass der eine Spender in letzter Minute der Spende widerspricht, während beim zweiten die Niere schon entnommen wurde, müssten beide Entnahmen beziehungsweise Transplantationen zeitgleich im selben Zentrum durchgeführt werden. Dies ist aus geografischen und logistischen Gründen häufig nicht möglich." 

Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald, begrüßte den Vorstoß gegenüber G+G. „Die Erleichterung in der Lebendspende wird Leben retten. Wir müssen an allen Hebeln ansetzen, die uns einfallen, um unseren Patienten zu helfen.“ Laut Referentenentwurf soll die sogenannte Überkreuzspende anonym erfolgen und von Transplantationszentren organisiert werden. Mit der Anonymität soll den Angaben zufolge verhindert werden, dass Geld für ein Organ gezahlt wird. Sandra Zumpfe, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Organtransplantierten, mahnte an, dass eine solche Gesetzesänderung nicht dazu führen dürfe, dass die Bemühungen um die Spende nach dem Tod nachließen. „Oberstes Ziel muss es sein, die Menschen in Deutschland dazu zu bewegen, sich bewusst für eine Organspende nach ihrem Tod zu entscheiden.“ Nur durch „eine umfassende Aufklärung und die Förderung einer Kultur der Organspende“ könnten die dringend benötigte Anzahl von Organspenden sichergestellt und somit Leben gerettet werden.

Lange Wartezeiten vermeiden

Prof. Dr. Thomas Berg, Leiter der Hepatologie am Universitätsklinikum Leipzig und Erstautor der aktuellen S2k-Leitlinie zur Lebertransplantation, erläuterte gegenüber der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, dass der Mangel an passenden Organen dazu führe, auch Organe zu transplantieren, die in keinem optimalen Zustand seien und bei denen Blutgruppe und Gewebe der Organe nicht bestmöglich zum Empfänger passten – trotz schlechterer Prognosen. „Nur mit mehr Spenderorganen kann der Kreislauf aus langen Wartelistenzeiten und den damit verbundenen vergleichsweise späten Transplantationen durchbrochen werden.“ Deutschland liege im europäischen Vergleich mit gut zehn Organspenden je einer Million Einwohnern weit zurück, verdeutlichte er. Spanien führe dagegen mit 46 Transplantationen die Liste an. Jedoch gelte dort die Widerspruchslösung und zudem sei eine Organentnahme bei Spendern mit einem Herztod, und nicht wie in Deutschland ausschließlich mit einem Hirntod, möglich.

Zwei Hände ragen ins Bild, die Handflächen sind nach oben geöffnet und die Hände berühren sich. In der sich daraus ergebenden Handmulde liegt eine aus Papier ausgeschnittene Abbildung von zwei Nieren.
Seit dem 18. März ist das vor vier Jahren beschlossene Organspende-Register online. Damit kann die Bereitschaft zur Organ- oder Gewebespende erstmals digital gespeichert werden. Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation der Universitätsmedizin Essen, erläutert, welche Konsequenzen das neue Register mit sich bringt.
18.03.2024Otmar Müller3 Min

Organspenden decken Bedarf bei weitem nicht

Insgesamt warteten Ende 2022 über 6.700 Menschen, die als transplantabel gemeldet wurden, auf eine Spenderniere. Gleichzeitig sank die Zahl der Nierentransplantationen in Deutschland im selben Jahr auf 1.966. Bei der Lebendorganspende werden Organe oder Organteile von lebenden Menschen übertragen. Die Spenderinnen oder Spender stellen somit ihre eigenen Organe für eine Übertragung, die sogenannte Transplantation, zur Verfügung. Insofern wird an einem gesunden Menschen, dem Spender, ein operativer Eingriff ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommen. Der Schutz der Gesundheit der Spenderin oder des Spenders hat deshalb bei der Lebendspende einen besonders hohen Stellenwert.

Die Organentnahme bei Lebendspendern wird wie bei toten Organspendern durch das Transplantationsgesetz reguliert. Eine Lebendspende ist der postmortalen nachgeordnet. Das heißt, eine Lebendspende findet nur statt, wenn zum Zeitpunkt der Transplantation kein passendes Spenderorgan eines Verstorbenen zur Verfügung steht. Die Regelung soll den physischen wie psychischen Schutz eines möglichen Lebendspenders sicherstellen, da eine Organentnahme einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Spenders darstellt.

Status Quo Nierenspende

Derzeit werden in Deutschland vor allem Nieren und Teile der Leber von lebenden Spendern auf Empfängerinnen und Empfänger übertragen. Medizinisch möglich und gesetzlich erlaubt ist auch die Übertragung eines Teils der Lunge, des Darms und der Bauchspeicheldrüse. Die Lebendorganspende dieser Organe wird jedoch in Deutschland kaum durchgeführt. Die Niere ist das am häufigsten für eine Transplantation benötigte Organ. Um zu Lebzeiten eine Niere spenden zu können, muss die Spenderin oder der Spender zwei gesunde Nieren und einen guten allgemeinen Gesundheitszustand aufweisen. Nach der Entnahme einer Niere hat die Spenderin oder der Spender noch etwa 70 Prozent der Nierenleistung vor der Lebendorganspende. Diese Nierenleistung reicht für ein normales Leben aus. Derzeit sind in Deutschland Lebendorganspenden nur durch Verwandte, Eheleute und solche Personen möglich, die ein enges Verhältnis zur Empfängerin oder zum Empfänger haben.

Foto: Ein sitzender Mensch hält ein Tablet, darauf ist das digitale Organspenderegister zu sehen.
Seit März ist das Organspenderegister online, und es haben sich bereits über 100.000 Menschen registriert. Sollte die Einführung zum Anlass genommen werden, um einen neuen Anlauf für die Widerspruchsregelung zu starten?
20.06.2024Tina Stähler5 Min

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