„Das Thema Einsamkeit aus der Nische holen“
Lisa Paus ist seit April 2022 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Thema Einsamkeit hat die 55-jährige Grünen-Politikerin von Anfang an zu einem Kernthema ihrer Amtszeit gemacht – nicht zuletzt aus eigener Erfahrung heraus.
Frau Ministerin Paus, wie gravierend stufen Sie das Thema Einsamkeit ein?
Lisa Paus: Einsamkeit ist eines der drängendsten Themen unserer Zeit – eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Einsamkeit kann Menschen schwer schaden, unabhängig von Alter oder Lebenslage. Sie kann mit vielfältigen Gesundheitsbeeinträchtigungen verbunden sein, beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf- und Demenzerkrankungen sowie mit psychischen Krankheiten. Einsamkeit kann aber auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen. Daher habe ich das Thema hoch auf die politische Agenda gesetzt.
Was plant die Bundesregierung gegen Einsamkeit?
Paus: Das Bundesfamilienministerium startete im Juni 2022 die Erarbeitung einer Strategie der Regierung gegen Einsamkeit. Vor Weihnachten hat das Kabinett sie beschlossen. Die Strategie beinhaltet vielfältige Maßnahmen, um Einsamkeit vorzubeugen und zu lindern. Ziel ist, Einsamkeit stärker politisch und wissenschaftlich zu beleuchten und anzugehen. Wir wollen sensibilisieren sowie Wissen und Praxis stärken. Zum Beispiel in den Mehrgenerationenhäusern, mit dem Kompetenznetz Einsamkeit und mit dem Digital-Pakt Alter. Wir unterstützen die Menschen auch konkret und zwar mit Partnern wie dem Deutschen Olympischen Sportbund oder dem Malteser Hilfsdienst. Es geht um ganz praktische Angebote, wie zum Beispiel das Elterntelefon, die Telefonseelsorge oder die Nummer-gegen-Kummer. Ohne das Engagement von so vielen Menschen wären Angebote gegen Einsamkeit nicht denkbar.
Muss es mehr Forschung zum Thema Einsamkeit geben?
Paus: Insgesamt ist die Forschungslage zu Einsamkeit noch ausbaufähig – insbesondere zu jungen Menschen, vulnerablen Gruppen sowie zu der Frage, wie sich Einsamkeit entwickelt und verbreitet. Mit der Strategie gegen Einsamkeit setzen wir hier an.
„Betroffene schämen sich oft, über ihre Gefühle der Einsamkeit mit anderen Menschen zu sprechen.“
Bundesfamilienministerin
Was sollte die Gesellschaft beziehungsweise jeder Einzelne gegen Einsamkeit tun?
Paus: Einsamkeit ist bei vielen Menschen mit Scham verbunden. Das hindert Betroffene oft daran, mit anderen Personen über ihre Einsamkeitsgefühle zu sprechen und etwas dagegen zu tun. Um auf Einsamkeit aufmerksam zu machen, müssen wir das Verständnis erweitern und das Thema aus seiner Nische holen. Jede und jeder von uns kann helfen und Mitmenschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Ein Lächeln, ein kurzer Austausch, Achtsamkeit füreinander. Oft machen gerade die kleinen Dinge einen Unterschied.
Kennen Sie selbst das Gefühl von Einsamkeit?
Paus: Vermutlich kennen alle Menschen Momente, in denen Einsamkeit eine Rolle spielt. Für mich handelt es sich um ein Gefühl des „Außen-vor-Seins“. Das bedeutet, dass man sich nicht zugehörig fühlt, selbst wenn Kontakte bestehen. Als mich mein erster Freund verließ, hatte ich das Gefühl, dass meine Familie und meine Freundinnen und Freunde meinen Schmerz nicht nachvollziehen können. Auch später als alleinerziehende Mutter habe ich Momente von Einsamkeit erlebt. Ich war zwar immer gut sozial eingebunden, aber gerade an den Wochenenden, wenn Paare und Familien etwas zusammen unternehmen, habe ich mich manchmal einsam gefühlt. Wer sich allein um ein Kind kümmert oder einen Angehörigen pflegt, kann in vielen Situationen einfach außen vor sein und sich sehr ausgeschlossen und einsam vorkommen.
Was raten Sie Menschen, die sich einsam fühlen?
Paus: Betroffene können sich anonyme, professionelle und diskrete Hilfe holen – sei es bei Ärzten, Hilfetelefonen oder bei sozialen Beratungsstellen. Entscheidend ist, dass sie über Ihre Einsamkeit sprechen. Manche Betroffenen schaffen es nicht aus eigener Kraft, sich aus dem Teufelskreis zu befreien. Genau hier kann Unterstützung im direkten Umfeld ansetzen.
Wird für Ihren Einsatz gegen Einsamkeit 2024 zusätzliches Geld zur Verfügung stehen?
Paus: Auch das Familienministerium unterliegt strikten Kürzungsvorgaben. Trotzdem ist es uns gelungen, die finanzielle Ausstattung im Bereich Einsamkeitsbekämpfung auf dem gleichen Niveau zu halten. Mit anderen Worten: Hier gibt es keine Einsparungen. Darüber hinaus konnten wir neue Maßnahmen anstoßen. Dazu zählen das Einsamkeitsbarometer, eine Sensibilisierungskampagne und ein Förderprogramm gegen Einsamkeit im mittleren Erwachsenenalter.
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1 Kommentar
Birgit
Guten Tag, wie geht man mit Menschen mit Beeinträchtigung um (z.B. geistige Behinderung), die in Wohnstätten leben? An den Wochenenden finden keine Tagesangebote statt. Meist sind sie aber auch Abends mit ihren Sorgen allein und haben keine Vertrauensperson in ihrer Wohnstätte. Mein Bruder sitzt oft einsam in seinem Zimmer. Manchmal braucht er zwar das "allein sein". Ob es jedoch dauerhaft gut für seine Psyche ist, weiß ich nicht.