„Das Problem ist eher ein Arzt-Zeit-Mangel“
Annette Düring erläutert, warum es trotz eines Rekordstands an Ärzten lange Wartezeiten gibt.
Frau Düring, viele niedergelassene Ärzte haben in den vergangenen Wochen den „Praxen-Kollaps“ ausgerufen. Haben Sie Verständnis dafür?
Annette Düring: Als Versicherte sowie als Patientinnen und Patienten merkt man, dass es seit längerem sehr schwierig ist, einen Termin in einer Arztpraxis zu bekommen. Oft heißt es dann sogar: „Wir nehmen keine neuen Patienten auf“. Was mir bei den Protesten viel zu kurz kommt: Das Problem liegt oft in den Arztpraxen selbst, und es ist nicht primär das Problem von zu wenig Geld für die Versorgung.
Was ist dann aus Ihrer Sicht das Problem?
Düring: Die Arbeitsmodelle in der Medizin haben sich in den vergangenen zehn bis 20 Jahren radikal verändert. Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte achten darauf, dass ihre Work-Life-Balance stimmt – völlig zu Recht! Früher übliche Zwölf-Stunden-Arbeitstage und viele Überstunden sind passé. Das wollen die Medizinerinnen und Mediziner nicht mehr. Wir haben aber in Deutschland die Zahl der Studienplätze nicht entsprechend angepasst, und jetzt gibt es relativ gesehen zu wenig Nachwuchs in diesem wichtigen Beruf. Und das, obwohl wir hierzulande so viele Ärztinnen und Ärzte beschäftigen wie noch nie, und die Zahl steigt von Jahr zu Jahr weiter.
Also gibt es gar keinen Ärztemangel?
Düring: Nein, denn das Wort trifft das Problem nicht. Es ist eher ein Arzt-Zeit-Mangel. Im Bundesland Bremen arbeiten nach einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung rund 40 Prozent der Fachärzte in Teilzeit. Bei den Psychotherapeuten sind es mehr als 60 Prozent, die keine Vollzeitstelle ausfüllen. Bei Hausärzten arbeiten zwar nur etwa 15 Prozent als selbstständige oder angestellte Ärzte in Teilzeit. Aber wenn die Patientenzahlen zunehmen, allein durch den Ukraine-Krieg und die Zuwanderung in den vergangenen Jahren, dann wirkt sich diese Teilzeit-Beschäftigung eben auch auf die verfügbare Behandlungszeit aus. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Diskussion über die Ursachen der knapperen Ressourcen ganz klar dazu.
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