Interview Gesundheitssystem

„Auch der Bund muss für die Klinikreform zahlen"

22.01.2025 Thorsten Severin 5 Min. Lesedauer

Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese drängt auf durchgreifende Reformen bei Gesundheit und Pflege. Die nächste Bundesregierung muss nach Ansicht der SPD-Politikerin schnell handeln.

Foto von Stefanie Drese
Stefanie Drese (SPD) ist seit November 2021 Ministerin für Soziales, Gesundheit und Sport im Kabinett von Manuela Schwesig. Davor war die Juristin und Mutter von Zwillingen fünf Jahre MInisterin für Soziales, Integration und Gleichstellung. Die Rostockerin gehört seit 2011 dem Landtag in Schwerin an.

Frau Ministerin Drese, zu Jahresbeginn gab es einen Rekordbeitragssprung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese steckt weiter in finanziellen Problemen. Kann der Weg der Beitragssteigerungen so weitergehen?

Stefanie Drese: Nein, das darf er definitiv nicht. Die Steigerung der Versicherungsbeiträge kann keine dauerhafte Lösung sein, sondern allenfalls kurzfristig in der aktuellen Situation helfen. Es sind alle Akteure gefordert, nach Lösungen zu suchen. Das gilt für die Politik genauso wie für die Selbstverwaltung aus Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern.
 
Wo liegen Ansatzpunkte?

Drese: Wir müssen uns anschauen, welche Fehlanreize es im System gibt und welche Veränderungen nötig sind. Und wir brauchen den Abbau von Bürokratie sowie mehr Steuerung. Da halte ich etwa die Notfallreform für wichtig, um Menschen richtig zuzuweisen. Angesichts der vielen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der GKV wären hier zudem Steuermittel gut aufgehoben. Ich erinnere nur an die unzureichenden Pauschalen für die Bürgergeldempfänger.
 
Auch die Pflege steckt in einer Finanzkrise, gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Eine Reform gibt es auf absehbare Zeit aber wohl nicht …

Drese: Es ist katastrophal, dass es in dieser Legislaturperiode zu keiner Reform gekommen ist, um die Pflege zukunftsfest aufzustellen. Für mich handelt es sich hier neben der Krankenhausstruktur um das wichtigste gesamtpolitische Aufgabenfeld. Die Babyboomer scheiden bald aus dem Arbeitsleben aus und werden in einer gewissen Zeit pflegebedürftig, während deren Elterngeneration zum Glück noch lebt, aber eben auch gepflegt wird. Die Pflegeversicherung erfüllt zudem schon jetzt nicht mehr das, weswegen sie vor 30 Jahren eingeführt wurde, nämlich den Schutz vor Altersarmut. Gleich zu Anfang der neuen Legislaturperiode müssen wir die Finanzierungsfrage klären. Das können wir nicht länger hinauszögern. Es gab zur Pflege eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die verschiedene Bausteine und Maßnahmen entwickelt hat. Daran lässt sich anknüpfen.

Foto von Stefanie Drese
Rechtsanwältin, SPD-Politikerin und im neunten Jahr Ministerin in Mecklenburg-Vorpommern: Stefanie Drese (48).

Was sollte eine Pflegereform beinhalten?

Drese: Zum einen müssen wir die Einnahmeseite verbreitern. Zum anderen muss die Pflege von Dingen entlastet werden, die gar nicht in ihren Bereich gehören. Und bei der stationären Pflege brauchen wir unbedingt den Sockel-Spitze-Tausch. Das heißt, die zurzeit ins Uferlose steigenden Eigenanteile müssen begrenzt werden. Um die restlichen Kosten zu schultern, erhalten die Pflegekassen dann einen Steuerzuschuss. Auch die pflegenden Angehörigen müssen durch die Übernahme der Sozialbeiträge unterstützt werden. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern werden 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt – die Hälfte davon sogar ohne Unterstützung eines Pflegedienstes. Sinnvoll ist auch die Förderung sogenannter Caring Communities.

Wäre nicht eine Lockerung der Schuldenbremse eine Lösung für die Sozialsysteme?
   
Drese: Die Schuldenbremse an sich finde ich mit Blick auf die künftigen Generationen richtig. Allerdings bin ich trotzdem für eine Lockerung. Und zwar dort, wo es um Investitionen geht, etwa in Krankenhäuser, Straßen, Schulen oder die Bahn. Sonst übergeben wir der nächsten Generation eine völlig überalterte Infrastruktur. Aber Schulden zu machen, um etwa das Bürgergeld, die GKV oder die Pflege zu finanzieren, finde ich nicht richtig.

„Ich hoffe, für die Gesundheitskioske sind die Messen noch nicht gesungen.“

Stefanie Drese

Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern

Es wird vor der Wahl auch vieles andere nicht verabschiedet, was Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigt hatte. Was wiegt für Sie am schwersten?

Drese: Es ist schade um alles, was nun nicht kommt – von der Notfall- und der Apothekenreform über das Gesundes-Herz-Gesetz bis hin zum Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung vor Ort. Zu letzterem ist zu sagen, dass ich die Gesundheitskioske gerne gehabt hätte. Ich hoffe, dass für diese die Messen noch nicht gesungen sind und das Vorhaben nach der Wahl wieder aufgegriffen wird.

Nicht alle wären traurig, wenn die Gesundheitskioske nie kommen würden. Auch unter Ihren Amtskolleginnen und -kollegen sind sie umstritten …
 
Drese: Die Kioske wären eine gute Entlastung und Ergänzung zu den Hausärzten. Je mehr Zulauf die Praxen haben, desto weniger kommen die Mediziner dazu, auf die Lebensumstände ihrer Patientinnen und Patienten zu schauen. Wir haben in Neubrandenburg eine Einrichtung, wo kleinere Gesundheits-Check-Ups und Impfungen möglich sind, zugleich aber auch eine Sozialberatung stattfindet. Da wird dann zum Beispiel ein Wohngeld- oder Pflegeantrag empfohlen. So etwas könnten die Gesundheitskioske auch leisten. Das brächte einen echten Mehrwert.

Foto von Gesundheitsministerium am Schweriner See
Idyllisch gelegen: das Gesundheitsministerium am Schweriner See.

Auch der Entwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz war stark umstritten, vor allem wegen der Ausweitung der Statinverordnungen. Sie wünschen sich dennoch einen neuen Anlauf?

Drese: Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern einen hohen Anteil an Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daher müssen wir politisch handeln. Als Sportministerin habe ich an Lauterbachs Herz-Gesetz natürlich viel auszusetzen. Etwa vermittelt es den Eindruck: Wir nehmen eine Tablette und dann brauchen wir keine Vorsorge mehr. Am liebsten wäre mir ein großes Präventionsgesetz, von dem das Herzgesetz ein Bestandteil wird. Dabei sollte es zum Beispiel darum gehen, wie wir Kinder von Anfang an gut ernähren und in Bewegung bringen und dies bis ins Alter erhalten. Es passiert im Bereich Prävention schon viel, gerade durch die Krankenkassen. Aber jeder macht sein eigenes Ding. Hier ist mehr Koordination notwendig.
 
Hat die Politik beim Thema Prävention in den vergangenen Jahren zu wenig getan?
 
Drese: Die Prävention ist auf jeden Fall nicht genügend in den Köpfen angekommen. Vielen Menschen ist offenbar nicht ausreichend bewusst, dass es eine gewisse Eigeninitiative braucht, um sich gesund und fit zu halten. Als Politik müssen wir dafür mehr Möglichkeiten schaffen. Die Ampel-Koalition hatte einiges in diesem Sektor vor. Es ist schade, dass sie das Thema bis zum Schluss aufgespart hat und die Weiterentwicklung der Prävention mit dem Ampel-Aus nun hinten runterfällt. Umso wichtiger ist es, dass der Faden bald wieder aufgenommen wird.
 
Bei der Krankenhausreform steht die konkrete Umsetzung an. Auch Ihr Land ist nicht vollständig zufrieden mit dem Gesetz, hat es aber gebilligt …

Die Reform ist ein Schritt in die Richtung. Bisher ist es so, wenn ein Krankenhaus einen Patienten hat, verdient es Geld. Hat es keinen, verdient es kein Geld. Für uns in Mecklenburg-Vorpommern ist das ein Problem. Wir haben im Sommer viele Touristen hier, da brauchen wir ein Netz von Krankenhäusern und das können wir im Winter nicht abbauen. Daher sind die neuen Vorhaltepauschalen, die die Vergütung unabhängiger von den Patientenzahlen machen, sehr wichtig. Darüber hinaus soll es ja noch eine Extravergütung geben, etwa für Geburtshilfe und Pädiatrie. Uns war zudem wichtig, dass unsere 27 sogenannten Sicherstellungskliniken für die Grundversorgung Zuschläge bekommen.

Foto: Blick auf ein Treppenhaus mit bunter Glasfassade
Treppe und Fahrstuhl führen zu Dreses Büro. Denkverbote gibt es für die Ministerin dort nicht.

Werden bei Ihnen im Zuge der Spezialisierung Standorte geschlossen?

Drese: Das können wir uns nicht leisten, weil das Kliniknetz schon stark ausgedünnt worden ist. Anfang der 90er-Jahre hatten wir noch 55 Krankenhäuser und rund 20.000 Betten. Jetzt haben wir 10.000 Betten und 37 Standorte. Um eine gute Versorgung abdecken zu können, brauchen wir in unserem Flächenland mit 1,6 Millionen Menschen jeden einzelnen Standort. Sonst erreichen wir auch keine akzeptablen Notfallzeiten mehr. An zwei bis drei Standorten bietet sich die Einrichtung von Level-1i-Krankenhäusern an, um die ambulante und stationäre Versorgung vor Ort zu vernetzen. Und natürlich werden nicht mehr alle Kliniken alles machen. Wir werden die Leistungen so verteilen, dass die Fachabteilungen für die Menschen erreichbar bleiben, es aber trotzdem eine Bündelung von Kompetenzen gibt.

Wo sollte in der nächsten Wahlperiode bei der Klinikreform nachgesteuert werden?

Drese: Es muss Änderungen bei der Finanzierung geben. Ich kann den Unmut der Krankenkassen verstehen, dass sie den 50 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds zusammen mit den Ländern zur Hälfte stemmen sollen. Beim Klinikumbau Anfang der 90er-Jahre gab es für den Übergang Mittel des Bundes. Das sollte auch jetzt wieder so sein.  Solch einen großen Prozess muss der Bund mit eigenem Geld begleiten. Egal wie die Wahl ausgeht: Der Transformationsfonds und die Frage, wie eine faire Verteilung der Kosten zwischen den einzelnen Akteuren hinzubekommen ist, gehören gleich zu Beginn erneut auf die Tagesordnung. Wenn wir darüber hinaus als Länder merken, dass noch irgendwo die Säge klemmt, müssen wir 16 Ministerinnen und Minister Veränderungen durchsetzen. Gestaltungsmöglichkeiten werden auch noch in den Verordnungen des Bundes stecken, die der Bundesrat billigen muss.

Was tun Sie in Ihrem Bundesland, um die Gesundheitsversorgung in der Fläche zu gewährleisten?
 
Drese: Die Kassenärztliche Vereinigung und die Ärztekammer sind hier unsere Partner. In Mecklenburg-Vorpommern machen wir gute Erfahrungen mit der Landarztquote, bei der nun bereits im vierten Jahr ein Teil der Studienplätze an junge Leute vergeben wurde, die sich verpflichten, nach dem Studium als Hausarzt oder Hausärztin im ländlichen Bereich tätig zu sein. Häufig hören wir zudem gerade von jungen Leuten, dass sie sich direkt nach dem Studium nicht verschulden wollen, um irgendwo eine Praxis zu übernehmen. Daher beraten wir die Städte und Gemeinden und sind in einigen Orten dabei, kommunal finanzierte Ärztehäuser aufzubauen, die dann vermietet werden. Da arbeitet nicht nur ein Mediziner, sondern es sind gleich zwei oder drei. Dadurch gibt es eine Vertretungsregelung, denn die Ärzte wollen ja auch Zeit für Familie haben und in den Urlaub fahren. Mit solchen Modellen versuchen wir attraktiv zu sein für junge Menschen.

Stefanie Drese bedauert, dass viele politische Vorhaben dem Ampel-Aus zum Opfer fallen.

Wie kann die Aus- und Weiterbildung hier einen Beitrag leisten?

Drese: Es sollte uns gelingen, junge Mediziner im Rahmen von Aus- und Weiterbildung überall mal reinschnuppern zu lassen. Wenn jemand in der Ausbildung nie in einem kleinen Krankenhaus auf dem Land oder in einer ambulanten Praxis auf dem Dorf war, dann ist eine spätere Arbeit dort für ihn meist nicht vorstellbar. Doch durch Phasen während der Ausbildung können die jungen Leute zum Beispiel erfahren, dass es in einem vorpommerschen Dorf ganz schön ist, sie dort noch ganz vernünftiges Bauland bekommen und es beitragsfreie Kitaplätze gibt.

Muss auch beim Numerus Clausus etwas getan werden?
 
Drese: Ich halte es nicht für richtig, einen Studienplatz nur nach Numerus Clausus an Menschen zu vergeben, die im Abitur eine 1,0 haben. Eine gute Note ist sicher wichtig, aber durch eine soziale Komponente sollten die Unis mehr Auswahlmöglichkeiten erhalten. So sollte etwa anerkannt werden, wenn Bewerberinnen und Bewerber schon als Notfallsanitäter gearbeitet oder im familiären Umfeld erfahren haben, was es heißt, Landarzt zu sein.

Angesichts der vielen Vorhaben, die nun nicht mehr kommen, wird Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geäußert, er habe sich für zentrale Vorhaben zu viel Zeit gelassen. Wie zufrieden sind Sie mit seiner Arbeit?
   
Drese: Man kann Karl Lauterbach nicht vorwerfen, dass er irgendeinen Stein nicht angerührt hätte. Der Bundesminister ist mutig an die zahlreichen Problemfelder herangegangen, die ihm hinterlassen worden sind.  Dass Lauterbach vieles in dieser Wahlperiode nicht zu Ende bringen kann, ist mehr als bedauerlich. Ja, vielleicht hat er sich mit dem einen oder anderen Thema zu viel Zeit gelassen. Auf der anderen Seite stand er den Fragen und Problemen der Länder bei der Klinikreform immer mit einem offenen Ohr gegenüber – und Beratungen brauchen Zeit. Im Übrigen habe ich die Amtskolleginnen und -kollegen der anderen Länder als sehr pragmatisch und weniger als Partei-Politiker erlebt. Das werden wir uns hoffentlich erhalten, egal wer im Bund regiert.

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