Der Arzt im Rollstuhl
Inklusion beginnt bei der Sprache. Und so wehrt sich Leopold Rupp gegen Redewendungen, wonach er an den Rollstuhl „gefesselt“ sei oder unter seiner Behinderung „leide“. In der Tat hat den 31-Jährigen nichts daran gehindert, Medizin zu studieren, bei den Paralympics anzutreten und um die Welt zu reisen.
Rupp lebt seit seiner Geburt mit Diastrophischer Dysplasie, einer besonderen Form der Kleinwüchsigkeit. Sie zeichnet sich nicht nur durch eine Verkürzung von Armen und Beinen aus, sondern auch durch Gelenkkontrakturen. Ein paar Schritte zu laufen, ist für den gebürtigen Schleswig-Holsteiner anstrengend und mit Schmerzen verbunden, weswegen er gleich mehrere Rollstühle im Alltag nutzt – je nachdem, ob er in der Berliner Charité ist, einer Freizeitbeschäftigung nachgeht oder Sport treibt.
Den Alltag in Europas größter Uniklinik mit bis zu Neun-Stunden-Schichten – oder am Wochenende sogar mehr als zwölf Stunden – bewältigt der 31-Jährige mit seinem Klinik-Rollstuhl. Diesen steuert er mit einem Joystick. „Ich habe so die linke Hand frei und muss mir eine Krankenakte nicht zwischen die Zähne klemmen“, erläutert Rupp. Außerdem muss er so nicht mit den Händen die Räder berühren, was im Klinikalltag eher unhygienisch wäre. Zudem lässt sich der Rollstuhl hoch- und runterfahren. „Das ist total relevant, weil sich ja alles auf Tischhöhe befindet.“ Der junge Mediziner kann so Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe begegnen. Gerade in der Notaufnahme ist es wichtig, an eine Trage heranzukommen, um etwa Patienten zu intubieren, zu beatmen und im Extremfall wiederzubeleben.
„Ich bin ein großer Freund von Hilfsmitteln“, sagt Rupp. „Wenn es einen Rollstuhl gäbe, der wie bei Star Wars ein bisschen fliegen könnte, ich hätte ihn“, scherzt er. Einen Vorteil sieht er in dem fahrbaren Gerät aber auch ohne Sci-Fi-Anwendungen: „Der Rollstuhl wird nicht müde. Selbst nach langen Schichten fährt er noch seine sechs bis acht Stundenkilometer über den Flur. Bei den Kollegen werden da langsam die Beine schwer.“
Medizinstudium trotz körperlicher Einschränkung
Für Rupp stand nie infrage, dass er trotz der körperlichen Einschränkungen Medizin studieren wollte. In der Charité arbeitete er ab 2019 zunächst in der Anästhesiologie. In seinem Team erlebt er keine Vorbehalte wegen seines Rollstuhls. Doch Rupp ist als Arzt mit Behinderung zweifelsohne eine Seltenheit. Aus seiner Sicht spielen mehrere Dinge eine Rolle, warum das so ist. Bis vor rund 25 Jahren sei eine Medizinerausbildung für Menschen mit Behinderung ein K.O.-Kriterium gewesen, was noch immer nachwirke. Außerdem gebe es mit einem Anteil von neun Prozent viel weniger Menschen mit einer Schwerbehinderung als nicht-behinderte Menschen. „Es gibt ja auch weniger rothaarige Ärztinnen und Ärzte, weil es insgesamt weniger Menschen mit dieser Haarfarbe gibt“, witzelt Rupp.
„Fast jeder wird irgendwann eine Behinderung haben und will trotzdem am Leben teilhaben.“
Charité-Arzt
Noch viel Luft bei Inklusion
Dennoch müsste es aus seiner Sicht eigentlich mehr Mediziner mit einer Behinderung geben. „Die Inklusion ist noch längst nicht so weit, wie sie sein könnte. Kindern und Jugendlichen müsste früh gezeigt werden, dass sie auch mit einer Behinderung viele Möglichkeiten haben und etwa Ärztin oder Arzt werden können.“
Rupp hat nach eigenen Worten bislang nur wenig negative Rückmeldungen von Patientinnen und Patienten auf seine Kleinwüchsigkeit erhalten. In der Regel erfahre er viel Lob und Anerkennung für seine Arbeit. Eine entscheidende Rolle spiele aber zweifelsohne, „dass die Menschen nach wie vor großen Respekt vor dem Arztberuf haben“. Das sei bei vielen anderen Jobs anders. „Und ein Vorteil könnte sein, dass ich männlich bin.“ Kolleginnen hätten da oft mit anderen Vorbehalten zu kämpfen. Und wenn es doch mal passiere, dass sich jemand respektlos zeige, so werde er entsprechend streng, sagt Rupp. Einmal habe etwa ein stark alkoholisierter Mann in der Notaufnahme über ihn gelacht.
„Da mache ich dann eine klare Ansage: Ich bin hier der Arzt. Wenn Sie sich nicht von mir behandeln lassen wollen, dann können Sie Ihren Rausch woanders auskurieren.“ Bei von vornherein kritisch anmutenden Patienten stelle er sich zudem stets mit seinem Doktortitel vor.
Erst Spitzensport, dann Studium
Insgesamt sei es so, dass Personen mit Behinderung weniger zugetraut werde, hat der Mediziner festgestellt. „Oder Menschen denken, wenn ich das Abitur oder ein Studium vollendet habe, dann müsse ich besonders brillant sein.“ Rupp, der nach eigenen Angaben kein guter Schüler war, wundert sich darüber ein wenig. „Nur weil ich mein Abi geschafft habe, heißt das nicht, dass ich ein Einser-Absolvent war.“
Rupp versucht, in seinem Leben seit jeher, alles möglich zu machen. Reisen rund um die Welt gehören zu seiner liebsten Urlaubsbeschäftigung. Als Sportschütze war er 2012 bei den Paralympics in London dabei. Doch ließ sich der Spitzensport nicht mit dem komplexen Studium vereinbaren, sodass er aus der Nationalmannschaft austrat.
Barrieren abbauen
Von Gesellschaft und Politik wünscht sich Rupp, dass Inklusion noch selbstverständlicher wird. Es müsse normal werden, dass etwa ein Kind in Kita oder Schule im Rollstuhl sitze. Eine diverse Gesellschaft helfe im Endeffekt allen. Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel sei es wichtig, Menschen mit Behinderung einzubinden. Darüber hinaus sei es sinnvoll, die Umwelt barrierefreier zu gestalten – für behinderte, aber eben auch für alte und kranke Menschen. Der junge Arzt wird da ganz deutlich: „Fast jeder von uns wird irgendwann eine Behinderung haben und möchte trotzdem noch am Leben teilhaben.“
Zur Person
Dr. Leopold Rupp wuchs in einem Dorf an der Nordseeküste zwischen Hamburg und Sylt auf. Heute lebt der 31-Jährige in Berlin und arbeitet als Arzt an der Charité. Er wurde geboren mit Diastrophischer Dysplasie. Durch diese besondere Form der Kleinwüchsigkeit ist er auf einen Rollstuhl und andere Hilfsmittel angewiesen.
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1 Kommentar
Roger
Habe enorme Hochachtung von Herr dr. Rupp. Wünsche ihm im Beruf wie im privaten Riesenerfolg. Bin stolz auf Sie.