Artikel Gesundheitssystem

Gesundheitswende beginnt im Kopf

19.02.2024 Irja Most 4 Min. Lesedauer

Um das Gesundheitssystem zukunftsfähig zu machen, müssen die Sektorengrenzen fallen. Auf dem Kongress des Bundesverbandes Managed Care ging es um Faktoren, die den Umbau gelingen lassen.

Foto: Blick von oben auf eine Pflegerin und eine Medizinerin in einem Eingangsbereich
Mehr miteinander reden: Ein Schlüssel zur Neuordnung im Gesundheitswesen ist Teamarbeit, auch über Berufsgruppen hinweg.

Gräben überwinden, Mauern einreißen und unzählige Baustellen beackern: Das Gesundheitssystem muss sich neu aufstellen, um fit für die Zukunft zu sein. Trotzdem „kommen wir nicht so richtig voran“, monierte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, beim diesjährigen Kongress des Bundesverbandes Managed Care (BMC). Dabei liefen die Diskussionen darüber bereits seit zehn, fünfzehn Jahren.
 
Damit Transformationsprozesse gelingen können, sei es „am Ende eine Frage von Haltung und Verändern der eigenen Einstellung“, befand Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern. Das sei immer ein ganz „dickes Brett“, die Menschen mitzunehmen. Hier seien Vorbilder in allen Bereichen gefragt, die gemeinschaftlich nach vorne gehen. „Wenn das passiert, bin ich ganz optimistisch“, so Stippler.

Rahmen anpassen

Aber es brauche neue Rahmenbedingungen, um handlungsfähig zu sein. Auf der Bundesebene seien 17 Gesetze in der Pipeline. „Es muss hier endlich etwas vorwärts gehen, die Zeit drängt“, verwies Stippler auf die laufenden Anstrengungen der Bundesregierung. „Wir brauchen diese neuen Rahmenbedingungen auch auf der regionalen Ebene“, forderte sie. Mauern zwischen ambulant und stationär gelte es einzureißen. Zum Beispiel benötige es Integrierte Gesundheitszentren, die bei Bedarf Betten für eine Nacht vorhalten, um einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Wünschenswert wäre zudem eine stärkere Regionalplanung, passend zur Situation vor Ort. Beispielsweise die Kurzzeitpflege könnten die Akteure direkt miteinander planen.
 
Ein Lichtblick ist für die Vorständin der AOK Bayern die aufkeimende Arbeitsteilung, die für sie der Schlüssel für eine Neuordnung ist. Hier breche gerade etwas auf: Teamstrukturen mit Pflege und Ärzteschaft sowie Arbeitsteilung in lokalen Versorgungsnetzwerken zeichneten sich ab.

Pflegeausbildung verändern

Bis jetzt nicht zufriedenstellend geregelt ist die Ausweitung von Kompetenzen für die Pflege. Unter anderem bei der Erhebung des Pflegegrades seien mehr Freiräume wünschenswert, unterstrich Vera Lux von der Managementberatung Pflege und Health Care. Dafür sei ein gesetzlicher Rahmen nötig. Entsprechend müssten die Kräfte ausgebildet werden, um komplexe Aufgaben übernehmen zu können. Die Vielfalt der Gesundheitsberufe fragmentiere nach Einschätzung der Pflege-Expertin die Versorgung noch mehr. „Es wäre zielführend, dass man eine zweijährige Pflegeassistenzausbildung hat, die die Grundversorgung sicherstellt“, erklärte Lux. Hinzu käme eine Pflege-Bachelor-Ausbildung mit erweiterten Kompetenzen in vier Jahren, und „darauf setzen wir dann den Master und haben sechs Jahre Ausbildung und nicht wie heute zehn Jahre“ – das sei viel zu lang.

Prävention voranbringen

Um der Gesellschaft von morgen ein gutes Gesundheitssystem zu bieten, ist Prävention das Gebot der Stunde, waren sich die Teilnehmenden auf dem Podium der Abschlussrunde des BMC-Kongresses einig. Dass noch viel zu wenig in dieser Hinsicht passiere, stellte Dr. Johannes Nießen, Errichtungsbeauftragter des neuen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM), heraus. „Von den 430 Milliarden Euro, die wir uns im Jahr in Deutschland leisten für unser Gesundheitswesen, fließt nur ein kleiner Teil in die Prävention“, so Nießen. Ziel sei es, mithilfe des Robert-Koch-Instituts evidenzbasierte Maßnahmen zur Steigerung von Gesundheitskompetenz und Lebenserwartung zu entwickeln. Das BIPAM befinde sich noch in der Transformationsphase, planmäßiger Start sei 2025.

Ambulantisierung fördern

Als Dauerbaustelle erweist sich nach wie vor die Ambulantisierung von stationären Leistungen. Bei den Maßnahmen des Gesetzgebers „besteht das Risiko von erheblichen Mehrkosten, ohne dass tatsächlich mehr Leistungen ambulant erbracht werden“, sagte Katrin Meyer, Referatsleiterin für Stationäre Versorgung, Rehabilitation und Vorsorge beim AOK-Bundesverband.

Die AOK schlägt für eine wirksame Reform ein Ambulantisierungsbudget als kurzfristige Maßnahme vor. Wichtig für eine erfolgversprechende Maßnahme sei ein System, das die Attraktivität stationärer Leistungserbringung nachhaltig verringere, damit insbesondere Krankenhäuser ernsthafte Anstrengungen für Ambulantisierung unternehmen.

Foto: Porträt von Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern
Die Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, Dr. Irmgard Stippler, über die Versorgungssituation und Herausforderungen im Land, die Erwartungen an die Politik und die AOK Bayern als Arbeitgeber.
19.02.2024Bernhard Hoffmann, Vera Laumann6 Min

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