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Bei Nachhaltigkeit viel Luft nach oben

19.02.2024 Ines Körver 4 Min. Lesedauer

Die einen sprechen von Zukunftsfähigkeit, die anderen nennen es Enkelgerechtigkeit: Nachhaltigkeit ist in aller Munde, auch im Gesundheitswesen. Doch noch wichtiger als reden ist handeln. Zwei Analysen zeigen, wo der deutsche Medizinbetrieb derzeit steht, und zwar bei der Krankenhausarchitektur und in der Abfallwirtschaft.

Foto: Über einem grünen Wald stehen zwei Fußabdrücke als Symbol.

Wer wissen will, was „nachhaltig“ bedeutet, landet recht schnell im Wald und zwar auf dem Holzweg. Das ist im wortwörtlichen Sinne der Weg, der dazu da ist, zum Holz zu kommen und von dort wieder zurück. Die erste verbürgte Verwendung des Adjektivs „nachhaltig“ findet sich bei Hans Carl von Carlowitz. 1713 publizierte der weitgereiste Sachse das erste geschlossene Werk über Forstwirtschaft überhaupt: die Sylvicultura oeconomica.

In dieser warf er unter anderem die Frage auf, wie „Conservation und Anbau des Holzes“ so zu bewerkstelligen seien, „dass es eine continuirliche beständige und nachhaltige Nutzung gebe“. Im In- und Ausland hatte er diverse Beispiele gesehen, wie man es falsch machen kann und Bäume dadurch zu einem knappen Gut werden. Auch bei der ersten belegten Verwendung des Substantivs „Nachhaltigkeit“ (1789) und dessen erstem Vorkommen in einem Buchtitel (1832) ging es um eine dauerhaft ertragreiche Waldwirtschaft.

Vereinte Nationen als Vordenker

Im politischen Kontext kam das Wort erst in den 1980er-Jahren an. Der ehemalige norwegische Ministerpräsident Gro Harlem Brundtland erhielt 1983 den Auftrag, mit einer von den Vereinten Nationen eingesetzten und von ihm geführten Kommission Perspektiven für eine umweltschonende Entwicklungspolitik vorzulegen. Im Abschlussbericht der Kommission ist von sustainable development, also nachhaltiger Entwicklung, die Rede. Gemeint ist eine Entwicklung, die es den jetzt Lebenden ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne künftigen Generationen die Möglichkeit zu nehmen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

2016 trat die für alle von den Vereinten Nationen anerkannten Staaten geltende „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ in Kraft. Diese definiert 17 Ziele, deren drittes übrigens „Gesundheit und Wohlergehen“ heißt. Die deutsche Politik beschäftigt sich seinerseits seit einer Enquete-Kommission in den 1990er-Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Seit 2002 existiert eine Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die alle vier Jahre aktualisiert werden soll – die Überarbeitung der Fassung von März 2021 ist gerade im Gange. Dazu werden sogar strukturierte Bürgerdialoge geführt.

Weit mehr als Finanzierung

Im deutschen Gesundheitswesen dachte man beim Schlagwort Nachhaltigkeit lange automatisch an eine dauerhafte Sicherung der Finanzierungsgrundlagen des Systems. Doch Nachhaltigkeit im Sinne der Definition der Brundtland-Kommission und anderer politischer Akteure ist dort inzwischen auch ein Thema.

So hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) 2021 einen eigenen 61-seitigen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Allerdings ist es gar nicht leicht, dem zu entnehmen, wie weit das deutsche Gesundheitswesen in Sachen Nachhaltigkeit zu diesem Zeitpunkt wirklich schon war. Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass die Verfasser des Berichts stark unter dem Eindruck der Corona-Pandemie standen, es werden im BMG-Papier zum Teil auch einfach nur Ziele definiert oder der Gesundheitszustand der Bevölkerung geschildert.

 

Foto einer Hand, die benutzte Spritzen in einen Müllbehälter wirft.
G+G Reportage
Jedes Jahr produzieren Krankenhäuser riesige Müllberge. Wissenschaftler, Klinikmitarbeiter und Entsorgungsexperten suchen auf dem schmalen Grat zwischen Patientenschutz und Wirtschaftlichkeit nach umweltfreundlichen Lösungen.
18.12.2023Frank Brunner12 Min

Architektur und Müll

Die Redaktion der G+G Wissenschaft wollte es genauer wissen und hat zu zwei konkreten Teilthemen Autoren um ihre Einschätzung gebeten. Im ersten Beitrag geht es um nachhaltige Krankenhausarchitektur. Dass es sehr aufwendig war, für dieses Thema überhaupt einen Fachmann zu finden, spricht Bände. In Deutschland gibt es keine einzige Professur mehr für die Krankenhausarchitektur, geschweige denn für nachhaltige Krankenhausarchitektur.

Wir haben aber mit Prof. Tom Guthknecht von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich einen in Theorie und Praxis gleichermaßen bewanderten Architekten gefunden. Er zeigt in seiner Analyse auf, unter welchen Umständen heutzutage Krankenhäuser erbaut werden, welche teils strukturellen Probleme einem nachhaltigen Krankenhausbau in Deutschland entgegenstehen und was es konkret zu tun gilt, um Kliniken nachhaltig zu konzipieren.

Prof. Matthias Fischer von der Hochschule für Gesundheit in Bochum, der die zweite Analyse verfasst hat, ist einer der ganz wenigen in Deutschland, die sich mit den Themen Müll und Müllreduktion im Gesundheitswesen beschäftigen. Er legt dar, welche Regeln im Gesundheitswesen für Abfallbeseitigung gelten, was man über das Müllaufkommen weiß und welche Anstrengungen für ein besseres Abfallmanagement und hin zu einer Kreislaufwirtschaft unternommen werden. Fazit beider Analysen: Es gibt noch viel Luft nach oben. Zumindest beim Müll tut sich aber schon einiges, vor allem im stationären Bereich.

 

Foto: Titel der G+G-Wissenschaft 1_24 zum Thema: Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

G+G-Wissenschaft 01/2024

Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

Format: PDF | 1 MB

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