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G+G Wissenschaft: Apps mit Grauschleier

19.02.2025 Ines Körver 3 Min. Lesedauer

Apps auf Rezept – mit dieser Innovation war Deutschland Ende 2019 weltweit ein Vorreiter. Gut fünf Jahre danach fragte G+G Wissenschaft ausgewiesene Experten, ob sich die kleinen Helfer bewährt haben. Die Fachleute zeigen in ihren Analysen Verbesserungsbedarf auf.

Eine Frau guckt verwundert auf ihr Handy
Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA, dürfen seit fünf Jahren verordnet werden.

Evidenz ist ein vielschichtiger Begriff. In der Philosophie bezeichnet er häufig das Offensichtliche, in der Rhetorik eine konkretisierende Häufung, in der Logistik eine Bestandsliste samt Lagerbewegungen und in der österreichischen Amtssprache ganz allgemein ein Verzeichnis. Im Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit ist die evidenzbasierte Medizin seit einigen Jahrzehnten ein zentraler Terminus. Zur weltweiten Beachtung verholfen hat dem Begriff „evidence-based medicine" in den 1990er-Jahren eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Forscher David Sackett von der McMaster University im kanadischen Hamilton. Da das deutsche Wort „Evidenz“ bis damals vor allem das Augenfällige und nicht etwa den wissenschaftlichen Beweis bezeichnete, wurde die Übersetzung von evidence-based medicine mit dem Ausdruck „evidenzbasierte Medizin“ lange als problematisch angesehen, sie hat sich aber mittlerweile durchgesetzt. Wichtig ist, dass eine nachweisorientierte Medizin gemeint ist und nicht etwa eine Medizin, die keiner Nachweise bedarf.

Nutzen als zentrales Kriterium

Im deutschen Gesundheitswesen geht es oft um den Nachweis eines medizinischen Nutzens. Nicht umsonst müssen etwa Arzneimittelhersteller darlegen, dass der Nutzen ihres Präparats das Risiko übersteigt, wenn sie mit ihrem Medikament das Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen wollen. Und auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbare Untersuchungs- und Behandlungsmethoden müssen dem allgemeinen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Nur in seltenen Fällen ist ein Abweichen von dieser Regel erlaubt, etwa wenn jemand todkrank ist und eine nicht anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in seinem Fall die Perspektive einer spürbaren positiven Wirkung eröffnet.

Zulassungen mit gewissen Einschränkungen gibt es ebenfalls. Das allgemein bekannteste Beispiel dürfte die Notfallzulassung beziehungsweise bedingte Marktzulassung beziehungsweise vorübergehende Zulassung des Covid-19-Impfstoffs der Firma Biontech im Dezember 2020 sein.

Eingeschränkte Evidenz

Auf dem Gebiet der Digitalen Gesundheitsanwendung, kurz DiGA, tummeln sich auffällig viele Zulassungen mit Einschränkungen. Diese Apps wurden im Dezember 2019 mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz eingeführt. Dabei handelt es sich um Medizinprodukte einer niedrigen Risikoklasse. Sie sollen die Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen unterstützen. Rund ein Drittel der DiGA sind zur Erprobung zugelassen. Das heißt: Zum Zeitpunkt der Zulassung haben sie ihren Nutzen noch nicht unter Beweis gestellt, müssen aber bereits von den Krankenkassen finanziert werden. Die Nutzenbewertung darf bei diesen Apps erst nach dem Marktgang erfolgen.

Foto: Illustration mit Smartphone, Arztkoffer, Stethoskop usw. zur Visualisierung von Digitalen Gesundheitsanwwendungen.
Vor fünf Jahren wurden per Gesetz die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) eingeführt. Haben sich die „Apps auf Rezept“ seitdem bewährt und können vielleicht sogar Therapien ersetzen? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?
18.09.2024Tina Stähler4 Min

Beliebige Preise

Mehr noch: Anfangs war es den Herstellern auch gestattet, beliebige Preise für ihre Produkte aufzurufen, erst ab Oktober 2022 griffen Regelungen zu Höchstbeträgen. Die Kosten hat die Krankenkasse zu übernehmen, wenn die App heruntergeladen ist – ob der Patient sie überhaupt nutzt oder nicht. Zum Vergleich: Bei einer Verordnung von mehreren Physiotherapiesitzungen muss der Patient dem Physiotherapeuten quittieren, dass er die Leistung tatsächlich in Anspruch genommen hat. Andernfalls erhält der Physiotherapeut kein Honorar.

Diese interessante Gemengelage war in Kombination mit der Tatsache, dass DiGA nun seit fünf Jahren verordnet werden dürfen, der Grund, die Apps auf Rezept einer genauen Untersuchung in der G+G Wissenschaft zu unterziehen. Fazit der Analysen: DiGA sind eine grundsätzlich sinnvolle Innovation. Allerdings gibt es einige Defizite, die zum Teil auch schon bearbeitet werden. Man weiß bei diversen DiGA einiges darüber, wie gut sie im Vergleich zu einer Nichtintervention sind – zum Teil sind sie nachgewiesen wirksam. Worüber aber noch ein dicker dunkelgrauer Schleier liegt, ist, wie sich DiGA im Vergleich zu einer ärztlichen Behandlung schlagen. Das gilt es dringend genauer zu erforschen.

Foto: Titel G+G-Wissenschaft 1/2025.

G+G-Wissenschaft 1/2025

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)

Format: PDF | 1 MB

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