Artikel Prävention

Prävention neu denken

18.04.2024 Ines Körver 5 Min. Lesedauer

Prävention hatte in den vergangenen Jahren vornehmlich den Status einer individuellen Anstrengung für die eigene Gesundheit. Aber sie lässt sich auch anders betrachten und zeigt dann andere Effekte. Die G+G Wissenschaft lädt ein, neue Perspektiven einzunehmen.

Foto: Ältere Menschen betätigen sich in einer Halle sportlich – vorne im Bild eine Frau, die lächelt.
Prävention und Gesundheitsförderung finden an vielen Orten statt – auch im Betrieb.

Manchmal dauert es Jahrzehnte, bevor wissenschaftliche Begriffe in einer neuen Bedeutung wieder in der Alltagssprache ankommen, aus der sie einmal entlehnt wurden. Das ist beim Framing der Fall. Ursprünglich ging es dabei um die Rahmung eines Bildes. In der Wissenschaft wird der Terminus seit den 1970er-Jahren verwendet und bezeichnet die Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsmuster. Heutzutage benutzen viele Menschen den Ausdruck eher im wissenschaftlichen Sinne und oft mit einem negativen Unterton.

Es ist fast schon Mode, Politiker, Medien und manchmal sogar das Gegenüber auf der Straße des Framings zu bezichtigen. Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist, dass Framing als Verhaltensmuster auch im wissenschaftlichen Kontext gang und gäbe, ja in gewisser Weise sogar notwendig ist: Irgendeinen konzeptionellen Rahmen braucht man halt, für das, was man tut – auch in Forschung und Lehre. Bereits 1962 hat Thomas S. Kuhn mit „The Structure of Scientific Revolutions” ein gut lesbares Werk vorgelegt, das die zugrunde liegenden Mechanismen prägnant darstellt und dabei mit spannenden Beispielen aufwartet. Kuhn spricht in seinem Buch allerdings nicht von Framing, sondern von den jeweils herrschenden Paradigmen. Von ihm stammt der Ausdruck Paradigmenwechsel.

Gesundheit als Privatsache

Geframt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg tüchtig, als es um das Engagement der jungen Bundesrepublik für die Gesundheit seiner Bevölkerung ging. Bestimmte Maßnahmen waren aus guten Gründen tabu – man denke nur an die Nazi-Ideologie der Rassenhygiene. Der Staat hatte nun nicht mehr die Bevölkerung als „Volkskörper“ im Blick, sondern als Ansammlung einzelner Bürger. Was klingt wie eine Spitzfindigkeit, ist durchaus entscheidend, denn damit war zum Beispiel der Grundstein gelegt, Prävention primär als individuelle Prophylaxe von Gesundheitsstörungen zu betrachten. Zuständig für Prävention wurden folgerichtig im Nachkriegsdeutschland vornehmlich die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die den in ihren Praxen vorstellig werdenden einzelnen Patientinnen und Patienten individuelle Maßnahmen zur Aufrechterhaltung, Stabilisierung beziehungsweise Wiedererlangung ihrer körperlichen und seelischen Kräfte empfahlen.

Vermehrte Reflexion

Welche Rolle der Staat im Zusammenhang mit der Gesundheit seiner Bevölkerung spielt und welche er spielen sollte, ist aktuell in Fachkreisen in der Diskussion. Dafür gibt es einen konkreten Anlass: die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplante Gründung eines neuen Instituts. Allein schon der vorgesehene Name gilt manchen als Aufreger, lautet er doch „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ – Aufklärung im Sinne von Belehrung gilt den Kritikern als paternalistisches Framing, das die Menschen möglicherweise eher gegen als für Prävention einnimmt.

Auch die inhaltliche Ausrichtung wird stark hinterfragt. Denn das neue Institut soll vor allem für nicht übertragbare Krankheiten zuständig sein und das Robert-Koch-Institut hingegen künftig vornehmlich für übertragbare. Dass eine Trennschärfe hier aus medizinischer Sicht nicht gegeben ist, belegen exemplarisch die Fälle derer, die von Long Covid betroffen sind: Diese Menschen sind ursprünglich an einer Infektionskrankheit erkrankt und leiden nun zum Teil unter Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel und anderen Beeinträchtigungen, die gemeinhin im Kontext nicht übertragbarer Krankheiten debattiert und behandelt werden.

Die aktuelle G+G Wissenschaft bietet viele Möglichkeiten, über das herrschende Präventionsverständnis des Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger sowie über bestehendes Verbesserungspotenzial nachzudenken. So beschäftigt sich ein Beitrag im neuen Heft mit dem Wandel der Präventionsinstitutionen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer beleuchtet die Pläne für das neue Institut. Zudem thematisiert eine Analyse, dass betriebliche Präventionsmaßnahmen, wenn man sie denn wissenschaftlich betrachtet, etliche Fragen zu ihrer Evidenzbasierung und somit auch zu ihrem Sinn und Nutzen aufwerfen.

Foto: Zwei Kinderfüße stehen auf einer Waage, daneben liegt ein Maßband.
Schon vor der Pandemie waren mehr als 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und knapp sechs Prozent adipös. Sollte dies als individuelles Problem abgetan werden oder muss der Staat eingreifen?
18.04.2024Tina Stähler5 Min

Das rechte Maß finden

Über allen drei Analysen des Schwerpunktthemas schwebt auch die Frage nach dem rechten Maß von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Eines ist klar: Die Verantwortung für das eigene Wohlergehen vor allem dem Individuum zuzuschieben („Mach Sport!“, „Rauche und trinke nicht!“, „Ernähre Dich vernünftig!“) und die Welt, in der es sich bewegt, in der Betrachtung nahezu außen vor zu lassen, ist ineffizient, wenn man eine möglichst große Gesundheit möglichst vieler Bevölkerungsgruppen erreichen will.

Das gilt etwa fürs Essen: Wenn jemand gewöhnlich in der Kantine zu Mittag isst, dort aber nur drei fettige Gerichte aus Dosen auf der Speisekarte stehen, kompensiert er das wohl kaum mit Nährstoffbomben zum Frühstück und Abendessen. Erheblich besser wäre es, wenn die Kantine mindestens ein gesundes Gericht anbietet, am besten gleich drei. Hilfreich wäre sicher auch, wenn gesunde Lebensmittel im Vergleich zu Junkfood günstiger und nicht etwa teurer wären. Hier hätte der Staat die Möglichkeit, regelnd einzugreifen. Das Beispiel Essen zeigt: Konzeptionell ist bei der Prävention ein gehöriges Maß Umdenken angesagt – wenn auch vielleicht nicht gleich ein Paradigmenwechsel.

Foto: Titel der G+G-Wissenschaft 2_2024

G+G-Wissenschaft 2/2024

Prävention

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