Artikel Versorgung

Überleben mit Gütesiegel

18.04.2024 Frank Brunner 4 Min. Lesedauer

Bei jährlich einer halben Million Menschen diagnostizieren Ärzte hierzulande erstmals einen Tumor, 240.000 Betroffene überleben nicht. In zertifizierten Krebszentren sinkt die Sterblichkeit. Doch dort werden nur 61 Prozent behandelt.

Foto eines Arztes, der bei einer Frau eine Mammographie durchführt
Erfolgsmodell: 86 Prozent aller Patientinnen mit Mammakarzinom werden in DKG-zertifizierten Brustkrebszentren behandelt.

Simone Wesselmann weiß genau, wie solche Besuche ablaufen. Sie kommen immer zu zweit, sind Spezialisten ihres Faches und bleiben meist anderthalb Tage vor Ort. Sie beobachten Ärzte bei der Arbeit, beurteilen Betriebsabläufe aus Sicht von Erkrankten; tauchen auf in onkologischen Fachabteilungen von Kliniken, in angeschlossenen Praxen von Radiologen und Therapeuten, lassen sich Qualifikationsnachweise, Therapiepläne und Patientenakten zeigen. Sie stellen Fragen, notieren Antworten. „Warum wurde dieser Patient nicht leitliniengerecht behandelt?“, lautet eine typische Frage. Manchmal gibt es gute Gründe für abweichende Heilmethoden. Krankenhausmediziner, Pflegekräfte und niedergelassene Fachärzte, die eine solche Prüfung erfolgreich bestehen, gehören zu den besten ihrer Profession. Simone Wesselmann, habilitierte Gynäkologin, war schon oft bei diesen Audits dabei. Seit 2008 leitet sie die Abteilung Zertifizierung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).

Jährliche Qualitätskontrolle

Nur herausragende Krankenhausabteilungen, die mit niedergelassenen Ärzten interdisziplinär zusammenarbeiten, erhalten das Gütesiegel. „Zertifizierte Krebszentren unterliegen einer jährlichen Qualitätskontrolle, müssen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse umsetzen und modernste Technik verwenden“, sagt Simone Wesselmann im Gespräch mit G+G. Bevor in einem Behandlungszentrum Auditoren erscheinen, sind lange Fragelisten abzuarbeiten. Allein der Erhebungsbogen für Brustkrebszentren umfasst 41 Seiten.

Deutlich geringeres Sterberisiko

Ein aufwendiges Verfahren, ein erfolgreiches Verfahren. Patienten in zertifizierten Krebszentren haben ein deutlich geringeres Sterberisiko. Bei Brustkrebs beispielsweise beträgt der Überlebensvorteil durchschnittlich 26 Prozent im Vergleich zu Kliniken ohne Zertifikat. Um so erstaunlicher, dass nur 61 Prozent aller Krebspatienten in spezialisierten Häusern therapiert werden. Für Simone Wesselmann hat das zwei Gründe: Einerseits existiert die Zertifizierung für verschiedene Krebsarten unterschiedlich lang. Als erstes starteten vor 20 Jahren die Brustkrebszentren. Hier landen mittlerweile 86 Prozent aller erstbehandelten Patientinnen. Anderseits gebe es keine Vorgabe, dass Tumore nur in zertifizierten Zentren therapiert werden dürfen. Eine Krankenhaus­reform müsse diese Gesetzeslücke schließen, fordert die DKG-Expertin. „In einem solidarisch finanzierten und teuren Gesundheitssystem“, sagt Simone Wesselmann, „müssen Behandlungen dort stattfinden, wo sie mit hoher Qualität erbracht werden.“

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