„Die Diagnose löste große Ohnmacht in mir aus"
Eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Okka Gundel, Journalistin und TV-Moderatorin, hat 2020 diese Diagnose erhalten. Sie schildert die Herausforderungen, die mit der Behandlung einhergingen.

Frau Gundel, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie 2020 die Diagnose Brustkrebs erhalten haben?
Okka Gundel: Tatsächlich bin ich in Gedanken meinen Freundinnenkreis durchgegangen und habe gedacht: Krass, dann bin ich also die eine von acht. Ansonsten hat es sehr lange gedauert, bis bei mir angekommen war, dass nun wirklich ich davon betroffen bin. Meine Mutter hatte drei Jahre vorher die Diagnose bekommen. Ich hatte das ganze Prozedere von der Biopsie an über die weiterführende Diagnostik bis zum Therapieplan schon mal als Beifahrerin mitgemacht. Es war für mich eine krude Vorstellung, nun selbst die Hauptperson zu sein. Ich dachte, dass ich das alles nicht schaffe. Der ganze große Berg, der vor mir stand, fühlte sich übermächtig an und löste eine große Ohnmacht in mir aus.
Wie haben Sie Ihre Familie, Ihre Kinder und Ihren Freundeskreis über die Erkrankung informiert?
Gundel: Ein paar sehr enge Freundinnen hatte ich bereits eingeweiht, als der Verdacht im Raum stand. Sie haben mit mir gezittert und bis zum Schluss gehofft, dass es nicht bösartig ist. Meinen Kindern hingegen habe ich es so lange verschwiegen, bis die komplette Diagnostik abgeschlossen war. Meine Hoffnung war, dass keine Metastasen gefunden würden, um meinen Kindern, die damals zwölf, neun und sieben Jahre alt waren, diese Diagnose, die ja eine große Angst auslöst, mit der guten Botschaft verknüpfen zu können: Ich kann wieder ganz gesund werden. Ich habe dann alle an den Küchentisch gerufen und gesagt: Ich habe Brustkrebs – das ist sehr schlimm, aber wenn die Therapie gut anschlägt, dann kann ich wieder ganz gesund werden. Jedes Kind hat auf seine eigene Weise reagiert. Meine mittlere Tochter hat stundenlang geweint, mein Sohn hat gefragt, ob er Fußballspielen darf, und meine älteste Tochter hat mir eine Art Comic gezeichnet, in dem sie dem Krebs den Kampf angesagt hat. Ich war erleichtert, dass es raus war. Mein Mann war dabei, als mir die Diagnose mitgeteilt wurde.
„Ich musste lernen, loszulassen.“
Journalistin und Fernsehmoderatorin

Wie hat die Erkrankung Ihr Leben und Ihre Karriere als Sportjournalistin beeinflusst?
Gundel: Meine Chefs in der ARD und im WDR haben alle bedingungslos zu mir gehalten. Für mich wurde ein Ersatz installiert mit der klaren Prämisse, dass ich, sobald ich wieder kann und möchte, zurückkehren werde. Das hat mir als freie Journalistin viel bedeutet. In meiner tiefsten Krise habe ich den größtmöglichen Rückhalt gespürt.
Hat Ihnen ein offener Umgang mit der Erkrankung geholfen?
Gundel: Ja, sehr. Ich habe mich selbst als krank geoutet. In einem Essay für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ habe ich meine Erkrankung öffentlich gemacht. Als ich wieder gesund war, habe ich Einladungen zum Beispiel in Talkshows angenommen, um mitzuhelfen, das Thema Krebs zu enttabuisieren. Gleichzeitig ist bis heute jedes Gespräch, auch dieses Interview, in dem ich noch einmal bewusst auf die Zeit der Erkrankung zurückschaue und wahrnehme, was war, eine kleine Selbstheilung.
Hatten Sie das Gefühl, in Bezug auf die Erkrankung gut aufgeklärt zu werden?
Gundel: Ich lebe in Köln und hatte das Glück, dass ich hier eine große Auswahl an Brustzentren hatte. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt und den Ärzten komplett vertraut. Was die Nebenwirkungen angeht, hatte ich auch gute Beratung und Begleitung durch Komplementärmedizin.

Welchen Einfluss hatte die Erkrankung auf Ihren Alltag?
Gundel: Das kann ich tatsächlich gar nicht sagen, weil durch die Pandemie sowieso alles anders war. Ich musste auf jeden Fall lernen, mich ausschließlich um mich zu kümmern, um durch die Therapie zu kommen. Ich musste lernen, loszulassen. Vor allem, was die Kinder angeht. Mein Mann hat fast alles übernommen: Haushalt, Einkaufen, die Kinder, das Homeschooling. Als Familie sind wir wie ein Mobile: Kommt ein Teilchen ins Wanken oder fehlt es ganz, gerät alles andere auch durcheinander. Da muss man sich neu sortieren. Meine Kinder sind durch meine Erkrankung früher aus ihrer unbeschwerten Kindheit gerissen worden. Diese Erfahrung gehört nun zur DNA unserer gesamten Familie. Neben allem Traurigem macht sie auch Mut, was man alles schaffen kann.
„Ich genieße jeden Tag, an dem es mir gut geht und an dem ich frei entscheiden kann, was ich mit ihm anstelle.“
Journalistin und Fernsehmoderatorin

Sie sind fünf Jahre nach der Diagnose heute krebsfrei. Wie haben sich Ihre Perspektiven auf Gesundheit und Lebensqualität verändert?
Gundel: Fünf Jahre gelten als ein Meilenstein. Das nehme ich wahr und das tut mir gut. Aber es bleibt für mich doch nur eine abstrakte Zahl. Es war nie mein Ziel, diese fünf Jahre zu erreichen. Mein Learning ist ein ganz anderes: das Heute zu genießen, im Moment zu leben. Nicht zu weit nach vorne zu schauen und nicht zu weit zurück. Ich genieße jeden Tag, an dem es mir gut geht und an dem ich frei entscheiden kann, was ich mit ihm anstelle. Und ich gebe meinem Körper viel häufiger eine Anerkennung dafür, was er alles geschafft hat, und freue mich, dass ich über die Jahre viele Langzeitnebenwirkungen aus der Chemo mildern konnte.
Was sind die wichtigsten Botschaften, die über Brustkrebs in der Öffentlichkeit vermittelt werden sollten?
Gundel: Die wichtigste Botschaft ist: An Brustkrebs stirbt man nicht – falls er rechtzeitig erkannt wird, denn die Brust ist kein lebenswichtiges Organ. Darin steckt die nächste Botschaft: Früherkennung kann Metastasierung verhindern und verbessert die Prognose. Gleichzeitig sollte Brustkrebs nicht bagatellisiert werden. Wer mit einer solchen Diagnose konfrontiert wird, dem zieht es den Boden unter den Füßen weg, egal, wie gut die Prognose sein mag.
Was war für Sie die größte Erkenntnis während der Zeit der Behandlung?
Gundel: Ich habe mich sehr schwer damit getan, in gewisser Weise meine Autonomie zu verlieren. Denn nach so einer Diagnose übernehmen die Ärzte. Man hat es nicht mehr selbst in der Hand. Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch und lasse mir ungern etwas vorschreiben. Deshalb konnte ich mich schwer damit anfreunden, fremdbestimmt zu sein, was Termine, Untersuchungen, Nebenwirkungen und anderes angeht. Es geschehen zu lassen, zu akzeptieren und anzunehmen: Das war eine Aufgabe für mich.
Sehen Sie sich als Vorbild beim Thema Prävention?
Gundel: Vorbild klingt immer so groß. So sehe ich mich nicht. Vielleicht eher als eine Art Mutmacherin. Ich habe dem Brustkrebs ein Gesicht gegeben, eines von vielen. Ich habe Brustkrebs an meiner Person sichtbar gemacht und ihm eine Geschichte gegeben. Eine konkrete persönliche Geschichte bleibt stärker hängen als ein offizieller Aufruf zur Vorsorge oder Statistiken. Dadurch, dass ich meine Geschichte geteilt habe, konnte ich vielen anderen Frauen einen möglichen Weg durch eine solche Erkrankung vorstellbar machen und auch zeigen, dass es nicht das Ende bedeuten muss.

Wie haben Sie die Kommunikation mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten erlebt?
Gundel: Ich habe nur eine negative Erfahrung gemacht: die Mitteilung der Diagnose. In einem unpersönlichen Strahleninstitut war ich an eine sehr unempathische Radiologin geraten. Sie war unterkühlt und irgendwie mechanisch. Als vergleichsweise junge Frau von 45 Jahren mit drei kleinen Kindern, die eine lebensverändernde Diagnose bekommt, habe ich mich nicht gesehen gefühlt. Ich finde, in dem Moment, wo es um eine solche Diagnose geht, muss es ein Mindestmaß an Empathie geben. Mediziner müssen Strategien beherrschen, sich in diesen Situationen menschlich zu zeigen. Es wäre gut, wenn sie so etwas lernen würden. Im Brustzentrum habe ich mich dann sowohl im medizinischen als auch im zwischenmenschlichen Bereich gut aufgehoben gefühlt. Brustzentren arbeiten interdisziplinär. Das hat in meinem Fall hervorragend funktioniert. Ich weiß aber auch, dass das nicht selbstverständlich ist, gerade im ländlichen Bereich.
Gab es während der Therapie psychologische Unterstützung für Sie?
Gundel: Ja, da hatte ich großes Glück. Während der gesamten Therapie war ich wöchentlich bei meiner Psychoonkologin. Ich habe oft sehr stark auf diese Termine hin gefiebert. Dort konnte ich in einem geschützten Raum frei über alle Ängste und Sorgen erzählen und habe wertvolle Ratschläge bekommen. Meine Psychoonkologin hat mir den Weg durch die monatelange Therapie wie mit einer Taschenlampe beleuchtet und mich oft auf die Herausforderungen vorbereitet, die auf mich gewartet haben. Und sie hat mir Mut gemacht.
„Heute passe ich besser auf mich auf und sage häufiger mal nein.“
Journalistin und Fernsehmoderatorin
Gab es Schlüsselmomente während Ihrer Behandlung, die Ihre Sicht auf den Heilungsprozess verändert haben?
Gundel: Besonderes herausfordernd fand ich die Zeit nach dem Ergebnis der Biopsie. Der Knoten in der Brust ist das eine, das andere ist die Frage, ob der Krebs schon gestreut hat. Die Untersuchungen von Lunge, Leber und Knochen haben mich an meine Grenzen gebracht. Die Angst vor Metastasen war unglaublich groß. Als ich wusste, da ist nichts, fühlte ich mich, als hätte ich im Lotto gewonnen. Und noch etwas anderes macht mich im Nach-hinein ein bisschen stolz: Zum Ende der Chemotherapie wollten die Ärzte eine Pause einlegen, weil die Leukozyten schlecht waren. Ich habe die Werte infrage gestellt und einen weiteren Arzt dazukommen lassen – mit dem Hinweis, dass die Untergrenze an Leukos doch nicht ganz unterschritten sei. Ich habe also widersprochen und tatsächlich: Ich durfte meine Chemo bekommen, wenn auch nur mit 80 Prozent der Intensität.
Was hat sich für Sie verändert?
Gundel: Niemand möchte eine Brustkrebsdiagnose erhalten. Ich auch nicht. Mit ein bisschen Abstand hat sie aber auch dazu geführt, mein Leben in einigen Bereichen zu überdenken. Sie war damit auch eine Chance, Dinge zu reflektieren und nachzujustieren. Ich hatte zum Beispiel eine ausgeprägte Neigung, in die Überforderung zu gehen. Kinder, Karriere, das Leben: Alles kein Problem, dachte ich. Schaffe ich! Ich habe auch immer alles geschafft – aber wie viel Kraft mich all das gekostet hatte, war mir nie richtig aufgefallen. Heute passe ich besser auf mich auf und sage häufiger mal nein.
Sie engagieren sich für „PINK – aktiv gegen Brustkrebs“.
Gundel: PINK hat mich inhaltlich und menschlich überzeugt. Die Gründerin Pia Wülfing versprüht viel Energie und hat eine echte Vision, Frauen mit Brustkrebs zu unterstützen. Mit PINK hat sie eine digitale Plattform geschaffen, die erkrankte Frauen mit ihren Fragen, Ängsten und Nöten nicht allein lässt. PINK wäre genau das gewesen, was ich mir gewünscht hätte zum Zeitpunkt, als ich erkrankte: eine digitale Gesundheitsanwendung mit gebündelten Informationen, Hinweisen und Hilfsangeboten für unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen. Eine App auf Rezept: Die Krankenkassen bezahlen die App – das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Viele Frauen geraten aufgrund der langwierigen Therapie in eine finanzielle Schieflage. Dass PINK kostenlos ist, schließt niemanden aus. Überhaupt möchte ich in die Welt rufen: Macht Euch stark für Themen, die Euch interessieren und berühren.
Zur Person
Okka Gundel ist Journalistin und Fernsehmoderatorin. Anfang 2020 erhielt die heute 50-Jährige die Diagnose Brustkrebs. Nach neun Monaten stand sie wieder vor der Kamera. Zudem engagiert sie sich für „PINK – aktiv gegen Brustkrebs GmbH“, für die Alzheimer Forschung Initiative und für die Mediensuchtprävention Nordrhein-Westfalen.
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