Artikel Gesundheitssystem

Gesundheit unter Europas Sternen

22.05.2024 Thomas Rottschäfer 12 Min. Lesedauer

Die zehnte Europawahl steht vor der Tür. In dieser Legislatur ist die Staatengemeinschaft pandemiebedingt gesundheitspolitisch zusammengewachsen. Um die Gesundheitsunion aber weiter zu stärken, steht noch einiges auf der To-do-Liste.

Illu einer Frau, die in das Mikrophon einer Kontrollanlage spricht und im Begriff ist, einen roten Warnknopf zu drücken. Hinter ihr besprechen drei Personen anhand von Schaubildern, wo überall das Corona-Virus bereits in Europa grassiert.
Corona alarmierte die EU. Die Folge: Die Mitgliedsländer schmiedeten die Gesundheitsunion.

Vor der Europawahl 2019 stand in Brüssel zur Diskussion, die Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission aufzulösen, sie dem mächtigen Binnenmarkt-Ressort unterzuordnen. Fünf Jahre und eine Pandemie später ist davon keine Rede mehr. Im Gegenteil: Die 27 EU-Staaten haben eine „Gesundheitsunion“ geschmiedet. Zwar ist die Gesundheitspolitik weiterhin Sache der einzelnen Mitgliedsländer. Doch nach dem Covid-19-Schock war klar: Für sich allein ist kein Mitgliedstaat Corona & Co. gewachsen. Grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren verlangen ein transnationales Frühwarnsystem und ein gemeinsames Krisenmanagement.

Corona prägte vergangene Legislatur

Die jetzt endende Legislatur von Europaparlament und Kommission war zur Hälfte geprägt von der Bekämpfung der Pandemie und der Bewältigung ihrer Folgen. Kommissionpräsidentin Ursula von der ­Leyen verstand es, die EU-Exekutive nach anfänglicher Corona-Schockstarre als Krisenmanager zu positionieren. Sie initiierte internationale Geberkonferenzen, bei denen hohe Milliardensummen für die Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen, Medikamenten und das Erforschen weiterer Behandlungsmethoden zusammenkamen. Die Kommission koordinierte auch das Beschaffen von Schutzausrüstung. Nach der beispiellos schnellen Entwicklung von Impfstoffen handelte die Kommission mit den Herstellern im Auftrag der Mitgliedsländer die Lieferung von rund 4,6 Milliarden Impfstoffdosen für die EU und Partnerländer aus. Prüfung und Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) liefen beschleunigt ab. Durch die Entwicklung des digitalen Covid-19-Zertifikates als EU-Nachweis einer Impfung, Genesung oder eines negativen Tests öffneten sich in der Union wieder die Schlagbäume.

Symbolbild eines Wahlbriefkastens, von dem aus bogenförmig Sterne auf einzelne EU-Länder schießen
Die Europäische Union ist für viele ein abstraktes Gebilde. Dabei regelt die Staatengemeinschaft eine Menge, was die 450 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger im täglichen Leben betrifft. Ein Überblick über die EU-Organe und ihre Aufgaben.
22.05.2024Gabriele Hilger6 Min

Mitte 2020 legte die Kommission das Finanzprogramm „EU4Health“ auf, um akute Pandemie-Maßnahmen zu finanzieren. Von der Leyen und ihre Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides (Zypern) sprachen erstmals vom Aufbau einer „Gesundheitsunion“. Um die Gesundheit zu fördern, startete das Programm „EU4Health“ mit einem Budget von 5,3 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027. EU4Health ist das bisher umfangreichste Gemeinschaftsprogramm im Gesundheitsbereich.
 
Das verdankte die Kommission dem Europaparlament. Denn statt der gewünschten 9,4 Milliarden Euro wollten die Staats- und Regierungschefs lediglich 1,7 Milliarden locker machen. Das Parlament stellte sich quer und machte mehr Geld zur Bedingung für sein Ja zum EU-Haushalt und zum 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“.

Europa hat die Wahl

Die zehnten Wahlen zum Europäischen Parlament finden vom 6. bis 9. Juni statt, in Deutschland am 9. Juni. Diesmal werden 720 Abgeordnete gewählt. Deutschland entsendet 96 Parlamentarier. Hierzulande dürfen erstmals Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Anders als bei der Bundestagswahl gibt es bei der Europawahl keine Prozenthürde. Zur Wahl treten nationale Parteien oder Gruppierungen an. Im Parlament gehören die Gewählten dann in der Regel einer transnationalen Fraktion oder politischen Gruppierung an.

Mehr Infos: Europawahl

Umschichtung zugunsten der Ukraine

Kurz vor Ende ihrer Amtszeit muss Kyriakides jetzt doch noch eine Kürzung schlucken. Zur Finanzierung von Ukraine-Hilfen rupfte der Europäische Rat der Mitgliedstaaten Anfang Februar den mittelfristigen Finanzrahmen der EU (MFR). Für EU4Health be­deutet das nach Angaben einer Kommissions­sprecherin „eine Umschichtung“ von einer Milliarde Euro. Die Kommission werde diese Kürzung „während der verbleibenden Laufzeit des MFR so gut wie möglich umsetzen, um ihre Auswirkungen zu begrenzen“, so die Sprecherin gegenüber G+G. Die Auswirkungen auf die einzelnen Arbeitsbereiche ließen sich noch nicht quantifizieren. „Extrem ärgerlich“ nennt der EU-Gesundheitspolitiker Peter Liese diese Kürzung.

Porträt von Peter Liese
Der europäische Gesundheitsdatenraum bietet nach Ansicht des Europaabgeordneten Dr. Peter Liese große Chancen für Patienten und Forschung. Nachlegen muss die Union aus seiner Sicht bei der sicheren Versorgung mit Medikamenten und Medizinprodukten.
22.05.2024Thomas Rottschäfer5 Min

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 brachten Kommission, Parlament und Rat zahlreiche Initiativen für eine gemeinsame Krisenpolitik auf den Weg, die in den Folgejahren Gestalt annahmen. Dazu gehörte der Aufbau einer neuen Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA). Zudem wurden die Aufgabenbereiche und Kompetenzen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) erweitert und die Vernetzung mit den nationalen Einrichtungen verbessert. Die 2022 verabschiedeten Rechtsvorschriften zur Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren erlauben es der Kommission, auf Basis ge­sicherter Informationen eine gesundheitliche Notlage auf EU-Ebene festzustellen. Verankert ist zudem das gemeinsame Beschaffen von Medikamenten, Medizinprodukten oder Schutzausrüstung.

HERA spielt auch eine koordinierende Rolle bei bereits angelaufenen und noch geplanten EU-Maß­nahmen gegen Arzneimittel-Lieferengpässe. Dazu gehört die am 24. April gestartete „Allianz für kritische Arzneimittel“. In dem Bündnis sollen Pharmaindus­trie, Verbände und Organisationen des Gesundheits­wesens sowie nationale Arzneimittelbehörden als „industrielle Komponente der Gesundheitsunion“ (Kyriakides) gemeinsam mit der EMA Empfehlungen für eine sicherere Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln erarbeiten.

Gesundheitsdatenraum im Aufbau

Illustration eines riesigen Mikroskops umgeben von Reagenzgläsern. Darauf liegt in einer Petrischale ein Coronavirus, das von drei Personen in Schutzanzügen behandelt wird. Der Bereich um das Mikrophon ist mit einem gelben Band abgesperrt.
Im Fokus der EU-Mitgliedsländer: die sichere und finanzierbare Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln

Ein zentrales Projekt der Gesundheitsunion ist der Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraums (European Health Data Space – EHDS). Mit dem ambitionierten Digitalprojekt will die EU die Gesundheitsversorgung der rund 450 Millionen EU-Bürger verbessern und die Medizin-, Pharma- und Versorgungsforschung fördern. Geplant ist der Aufbau einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur für den Austausch elektronischer Patientenkurzakten, elektronischer Rezepte, Bild- und Labordaten oder Krankenhaus-Entlassberichte. Auf Basis eines im März 2023 veröffentlichten Kommissionspapiers einigten sich Europaparlament und Rat im März dieses Jahres auf einen Rechtsrahmen. Danach erhalten alle EU-Bürger das Recht auf eine kostenlose elektronische Gesundheitsakte. Es gibt keine Pflicht zur Verwendung. Damit bleiben die EU-Vorgaben vereinbar mit der deutschen Regelung für eine elektronische Patientenakte. Die EU-Bürger können der Nutzung ihrer Gesundheitsdaten sowohl für die individuelle Behandlung (Primärnutzung) als auch für die anonymisierte Weitergabe an Dritte (Sekundärnutzung), etwa zu Forschungszwecken oder zur Politikplanung, widersprechen. Die Mitgliedstaaten können die Nutzung von Daten für die Forschung national strenger regeln – etwa durch ausdrückliche Zustimmung bei genetischen oder anderen besonders sensiblen Informationen. Nationale Aufsichtsbehörden sollen den Zugang zum Datenaustausch und den Zugriff auf Forschungsdaten genehmigen und kontrollieren.

Gemeinsame Herausforderungen

Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes hat am 20. März ein Positionspapier zur Europawahl verabschiedet. Darin heißt es: „Gemeinsames Handeln, das auf der Vielfalt der Gesundheits- und Sozialsysteme und einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen europäischer und nationaler Ebene sowie der Selbstverwaltung aufbaut, fördert den sozialen Zusammenhalt und die Zukunft der solidarischen Sozialsysteme in Europa.“ Die Zusammenarbeit erleichtere es, die Herausforderungen durch den demografischen und technologischen Wandel, die Folgen des Klimawandels, unvorhergesehene Krisen und grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zu bewältigen.

Mehr Infos: Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes

Reform des Arzneimittelrechts offen

Eine Modernisierung des seit 20 Jahren nicht mehr reformierten EU-Arzneimittelrechts steht in Brüssel schon lange auf der Tagesordnung. Ein neuer Rechtsrahmen soll einerseits die Bedingungen für Pharmaforschung und Medikamentenentwicklung in der EU verbessern. Andererseits geht es um die Frage der Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit etablierter und neuer Medikamente in allen 27 EU-Ländern. Die Gesundheitssysteme ächzen unter den Arzneimittelaus­gaben. In kleineren oder ärmeren EU-Staaten kommen Innovationen oft erst gar nicht auf den Markt. Bei Antibiotika, Medikamenten zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orphan Drugs) oder Präparaten speziell für Kinder sind Innovationen Mangelware. Forschung und Entwicklung lohnen sich aus Sicht der Pharmaindustrie nicht. Durch die Pandemie bekam die Reformdiskussion eine weitere Stoßrichtung: Angesichts krisenanfälliger globaler Lieferketten und großer Abhängigkeit von der Wirkstoffproduktion in China oder Indien will die EU die Arzneimittel­forschung und die Produktion zurückholen.

Im April 2023 legte die EU-Kommission ihre Vor­schläge für eine EU-Arzneimittelstrategie vor. Dazu gehören auch Maßnahmen für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Formal soll das Arzneimittelrecht in einer Verordnung und einer Richtlinie geordnet werden. Eine EU-Verordnung ist nach Inkrafttreten sofort geltendes Recht in allen Mitgliedsländern. Die Inhalte einer Richtlinie müssen mit Übergangsfristen in nationales Recht überführt werden.

Das Europäische Parlament bewältigte in Rekordzeit mehr als 3.500 Änderungsanträge und verabschiedete am 10. April 2024 seine Positionen zum EU-Pharma­paket. Danach soll der Unterlagenschutz (Schutz des Originalherstellers vor Fremdnutzung seiner Studiendaten in Zulassungsanträgen von Generikaherstellern), der sich an den 20 Jahre laufenden gesetzlichen Patentschutz anschließen kann, auf siebeneinhalb Jahre begrenzt werden. Die Kommission hatte achteinhalb Jahre vorgeschlagen. Erst danach dürfen Generika auf den Markt kommen. Damit will die EU den Wettbewerb ankurbeln und Ausgaben senken.
 
Hersteller von Arzneimitteln mit nachgewiesenem Mehrnutzen gegenüber vorhandenen Präparaten oder Pharmaunternehmen, die ganz oder ­teilweise in der EU produzieren, will Brüssel mit längeren Schutz­fristen belohnen. Ein Jahr mehr „Marktexklusivität“ bekämen etwa Medikamente für seltene Er­krankungen oder dringend benötigte neue Antibiotika.

Porträt des Europaabgeordneten Tiemo Wölken
Beim Aufbau einer Gesundheitsunion ist aus Sicht des Europaabgeordneten Tiemo Wölken noch Luft nach oben. Er vermisst in der EU-Gesundheitspolitik Transparenz und wünscht sich eine bessere Einbindung des Europaparlamentes.
22.05.2024Thomas Rottschäfer7 Min

Dass die EU das wachsende Problem der Antibiotika­resistenzen und den Mangel an wirksamen Innovationen bei Antibiotika angeht, begrüßen auch die Krankenkassen. Sie kritisieren aber die geplanten „Marktexklusivitätsgutscheine“. Danach dürften Hersteller eine verlängerte Marktexklusivität verkaufen, um damit die eigene Forschung zu refinanzieren und Gewinne zu erzielen. Die Käufer könnten mit dem Voucher ein lukratives Produkt länger vor dem Gene­rika-Wettbewerb abschotten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn es gibt derzeit keine gemeinsame Position des Rates. Die Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über die endgültige Fassung von Verordnung und Richtlinie verschieben sich damit in die nächste Legislatur.

Europas Plan gegen den Krebs

Illu einer Person im Schutzanzug, die durch ein Fernglas blickt
Wie es mit der Reform des EU-Arzneimittelrechts oder der Medizinprodukte-Verordnung weitergeht, steht in den Sternen.

Das EU-Pharmapaket betrifft auch den „Europäischen Plan zur Krebsbekämpfung“. Die medizinische und pharmakologische Forschung in diesem Bereich soll gefördert und besser vernetzt werden. Es geht aber auch um mehr Vorbeugung und Früherkennung, um den Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten in allen EU-Staaten und um mehr Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten während und nach einer Erkrankung. Ein Beispiel für die Vorsorge: Bei HPV-Impfungen strebt die EU eine Impfquote von mindestens 90 Prozent der Mädchen und vermehrte Impfungen von Jungen bis 2030 an. Laut Kommission liegen derzeit in vielen EU-Staaten die HPV-Impfraten bei Mädchen deutlich unter 50 Prozent; für Jungen gibt es kaum aussagekräftige Daten.
 
Auch die Programme zur Begrenzung des Alkohol- und Tabakkonsums sollen die Krebsraten senken. Bis 2040 will die EU den Raucheranteil an der Gesamtbevölkerung auf unter fünf Prozent drücken. Im EU-Schnitt qualmen knapp 15 Prozent der Menschen, an der Spitze die Ungarn mit 26 Prozent (Eurostat-Zahlen für 2020). Auch saubere Luft und weniger krebserregende Schadstoffe am Arbeitsplatz sollen Erkrankungen verhindern. Im April billigte das Parlament abschließend den Kommissionsvorschlag für eine schärfere Luftqualitätsrichtlinie. Sie senkt den Jahresgrenzwert für Feinstaub um mehr als die Hälfte.

Mit Blick auf eine deutliche Zunahme von Depressionen und Ängsten als Folge der Pandemie haben Parlament und Rat auch die Kyriakides-Vor­schläge für mehr psychisches Wohlbefinden gebilligt. Mit 1,23 Milliarden Euro fördert die EU ­entsprechende Projekte in den Mitgliedstaaten. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, Beschäftigte in ­prekären Arbeitsverhältnissen und Menschen, die Sucht­störungen und psychische Probleme haben.

Drohnenaufnahme der Luftmessstation Neuglobsow mit Blick auf den Stechlinsee
G+G Reportage
Ab 2030 gelten in der EU strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe. Doch Umweltschützern sind sie zu lax, Kommunen fürchten Klagen und Wissenschaftler streiten über Kausalitäten. Sicher ist: Die überarbeiteten Regeln verändern unser Leben.
22.05.2024Frank Brunner10 Min

Gemeinsamer Weg bei Nutzenbewertung

In dieser Legislatur gelang es Parlament und Rat zudem, einen Haken hinter die jahrelangen Verhandlungen über die gemeinsame Nutzenbewertung für neue Arzneimittel (Health-Technology-Assessment, EU-HTA) zu machen. Sie soll die Spreu vom Weizen echter Innovationen trennen, aber auch den Verwaltungsaufwand für Pharmaunternehmen reduzieren. Diese müssen ihre klinischen Studien nicht mehr in jedem Land einzeln einreichen, sondern nur noch zentral bei der EMA. 2024 läuft die Vorbereitungsphase. Ab 2025 beginnen die Bewertungsverfahren zunächst für Krebsmedikamente und neuartige Therapien (ATMP). Ab 2028 werden Orphan Drugs einbezogen, ab 2030 alle Neuzulassungen. Für Deutschland koordiniert der Gemeinsame Bundesausschuss EU-HTA. Perspektivisch sollen auch Medizinprodukte in das Bewertungsverfahren einbezogen werden.

Beim Ringen um EU-HTA ging es auch um das Bemühen der Kommission, in der Gesundheitspolitik mehr Kompetenzen zu erlangen. Die EU-Exekutive strebte nicht nur eine zentrale Rolle im Bewertungsverfahren an, sondern auch eine verpflichtende Übernahme der Ergebnisse. Länder mit bereits funktionierender Arzneimittel-Nutzenbewertung und hohen Standards – darunter Deutschland – befürchteten erhebliche Qualitätseinbußen. Am Ende blieb es bei der nationalen Handlungsfreiheit: Die Bewertungsergebnisse werden in EU-HTA-Berichten veröffentlicht und sollen – nicht müssen – von den Mitgliedstaaten bei ihren jeweiligen Entscheidungen über einen Zusatznutzen und bei Preisentscheidungen oder -verhandlungen berücksichtigt werden.

Medizinprodukte-Verordnung noch in Arbeit

Holprig bleibt die endgültige Umsetzung der EU-Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (IVD). Die Pandemie verschärfte die ohnehin vorhandenen Zertifizierungsprobleme. Um die Versorgung mit Medizinprodukten sicherzustellen, kündigte die Kommission eine Überprüfung der Verordnungen an, auch mit Blick auf Kosten und Verwaltungsaufwand. Zudem wurden die Zertifizierungs­fristen mehrfach verlängert.
 
Liegengeblieben ist auch die 2016 eingeleitete Modernisierung der Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Dabei geht es unter anderem um die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zur Pflege. Offiziell ist Pflege noch kein Bestandteil der Koordinierungsverordnungen. In der Praxis werden Pflegeleistungen aber bereits wie Gesundheitsleistungen behandelt.

Trotz aller Unzulänglichkeiten: Die Menschen wünschen sich eine starke Gesundheitsunion. Nach den im April veröffentlichten Ergebnissen der jüngsten Eurobarometer-Befragung gehört Gesundheit für die 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger der europä­ischen Staatengemeinschaft zu den Top-Themen der Europapolitik.

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