Digitalisierung medizinischer Leitlinien
Bislang erstrecken sich medizinische Leitlinien über riesige PDF-Dateien. Künftig soll der aktuelle Forschungsstand digitalisiert vorliegen.
Ende der Bleiwüste
Sie hatte es geahnt, nun verwandelt sich Vermutung in Gewissheit. Diagnose Brustkrebs. Zurück zu Hause tut sie, was viele Patientinnen in ihrer Lage tun. Sie sucht im Internet nach Heilungsmöglichkeiten. Irgendwann stößt sie auf einen Fachaufsatz. „Wirkt vielversprechend“, denkt sie. Beim nächsten Termin fragt die Frau ihre Gynäkologin nach der neuen Therapie. Die Ärztin möchte sich erst gründlich informieren. „Wir sprechen das nächste Mal darüber“, vertröstet sie ihre Patientin. Später sucht die Medizinerin in den Leitlinien nach Details zur neuen Behandlungsmethode.
Wissen in der Westentasche
Leitlinien spiegeln für jede Krankheit den aktuellen Erkenntnisstand. Allein die Brustkrebsleitlinien umfassen 350 eng bedruckte PDF-Seiten. Diesen Dschungel zu durchforsten kostet Zeit. Eine rare Ressource für krebskranke Menschen. Die Frau und ihre Ärztin existieren nur in einer Geschichte von Ina Kopp. Die Medizinprofessorin erzählt sie, um zu zeigen, wie wichtig ihr neuestes Forschungsprojekt ist. Kopp leitet das Institut für Medizinisches Wissensmanagement der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).
In nur wenigen Jahren will sie Bleiwüsten in Bits und Bytes transformieren – digitalisierte, maschinenlesbare Informationen, jederzeit und überall verfügbar. In der Versuchsphase möchten die Forscher Ärzten das System als App anbieten. Zur dauerhaften Nutzung müssten die Leitlinien in bestehende Strukturen integriert werden, etwa in eine Klinik- oder Praxissoftware, wo bald auch elektronische Patientenakten (ePA) hinterlegt sind.
Leitlinien sind systematisch entwickelte Aussagen, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben, um die Entscheidungsfindung von Ärztinnen und Ärzten sowie Angehörigen von weiteren Gesundheitsberufen und Patientinnen und Patienten sowie Bürgerinnen und Bürger für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen. 850 Leitlinien beinhaltet das AWMF-Register: für jede Diagnose eine eigene Sammlung an Empfehlungen.
Assistent im Dauereinsatz
Sollte das Team um Kopp sein Ziel erreichen, könnte der Besuch einer Brustkrebspatientin bei ihrer Ärztin so verlaufen: Auf die Frage nach neuen Zytostatika-Anwendungen tippt die Gynäkologin entsprechende Fragen in ihr Tablet und erhält Sekunden später präzise Antworten. Noch in der Sprechstunde könnte sie mit ihrer Patientin Therapievarianten diskutieren.
Doch digitalisierte Leitlinien ließen sich auch mit Entscheidungs-Unterstützungssystemen verknüpfen. Dabei vergleichen Algorithmen Patientendaten mit einer umfangreichen Wissensbasis und leiten daraus Empfehlungen für den Arzt ab. Martin Sedlmayr, Professor für Medizinische Informatik an der Technischen Universität Dresden, forscht in diesem Bereich. Sedlmayr sagt: „Ein Computer ist 24 Stunden einsatzbereit, sieben Tage die Woche, ohne zu ermüden.“ In Zeiten von Ärztemangel, langen Arbeitszeiten, immer mehr diagnostischen und therapeutischen Optionen sei das „ein großer Vorteil“.
Mitwirkende des Beitrags
Autor
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.