Forschung größer denken
Für eine bessere Evidenz ist weniger manchmal mehr, sagt Thomas Kaiser, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, und bricht eine Lanze für mehr einfache, pragmatische, aber zielgerichtete Studien.
Herr Dr. Kaiser, was sind die nächsten großen Themen, mit denen Sie und das IQWiG
sich beschäftigen werden?
Dr. Thomas Kaiser: Ganz sicher wird die weitere Zusammenarbeit in Europa ein großes Thema werden. Es wird ja ab 2025 eine gemeinsame europäische Bewertung für Arzneimittel geben. Da sind wir, gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Gemeinsamen Bundesausschuss, fest in den Gruppen verankert, die daran arbeiten, hier die nötigen Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen. Dabei wird es durchaus für alle Beteiligten an der einen oder anderen Stelle Abstriche vom nationalen Verfahren geben. Ziel ist ein gutes, transparentes, qualitativ hochwertiges und auch durchführbares Verfahren.
Europa will auch bei der Forschung enger zusammenrücken. Welche Erwartungen knüpfen Sie an den Europäischen Gesundheitsdatenraum?
Kaiser: Der Europäische Gesundheitsdatenraum ist prinzipiell eine charmante Idee, etwa, wenn man so bei Seltenen Erkrankungen auf eine ausreichende Fallzahl kommt, um bestimmte Studien machen zu können. Selbst bei häufig vorkommenden Erkrankungen kann man gegebenenfalls durch eine größere Menge an Daten bestimmte weitere Muster erkennen. Der Europäische Gesundheitsdatenraum wird auch dazu führen, dass man Fragen des Datenschutzes und der Datenverknüpfung, potenziell auch Fragen der Datenqualität, noch einmal gezielter und systematischer adressiert.
„Ziel ist ein gutes, transparentes und auch durchführbares Verfahren.“
Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Gibt es Kritikpunkte?
Kaiser: Aus meiner Sicht ist es bei der heutigen Anlage aber ein großes Problem, dass man bei einer reinen Beobachtungsdatenstruktur stehenbleibt, anstatt diesen Datenraum auch für sinnvolle, pragmatische interventionelle Studien zu nutzen. Die amerikanische Arzneimittelbehörde etwa geht stärker in die Richtung solcher Studien, weil auf der Grundlage von Beobachtungsdaten allein viele Fragen nicht mit ausreichender Sicherheit beantwortet werden können. Das ist für mich kein gutes Signal, wenn man den Europäischen Gesundheitsdatenraum so klein denkt – groß in seinen Dimensionen, aber klein in seiner Forschungskapazität.
Was ist nötig, um hochwertige Evidenz zu generieren?
Kaiser: Wir sollten Studien an verschiedenen Stellen einfacher machen. Für die Zulassung und für erste große Studien an Patientinnen und Patienten haben wir nachvollziehbarerweise bestimmte Anforderungen, etwa eine sehr umfangreiche Datenerfassung. Aber es wäre sinnvoll, daneben mehr in die Richtung einfacher, randomisierter Plattformstudien zu denken, die fokussierter die Fragen adressieren, die für die Versorgung der Patientinnen und Patienten relevant sind.
Zur Person
Dr. Thomas Kaiser ist Leiter des IQWiG. Der Arzt und Systementwickler gehörte bereits zur Gründungsmannschaft des IQWiG. Gemeinsam mit Dr. Beate Wieseler leitete er das Ressort „Arzneimittelbewertung“, bevor er zum 1. April 2023 die Nachfolge von Jürgen Windeler als Leiter des Instituts antrat. Kaiser ist unter anderem Preisträger des David-Sackett-Preises des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin.
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