Einwurf: Medizin auf Staatsrezept?
Die Entscheidungen über den Regelleistungskatalog der Krankenkassen basieren auf wissenschaftlichen Fakten. GBA-Chef Josef Hecken sieht dieses Prinzip durch aktuelle Gesetzesvorhaben bedroht.
Bislang ist das Verhältnis zwischen Staat und Selbstverwaltung klar: Der Staat definiert seine gesundheitspolitischen Ziele und legt im Sozialgesetzbuch den rechtlichen Rahmen für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung fest. Die damit verbundenen Detailaufgaben delegiert er an die Selbstverwaltung. Doch gerade in jüngster Zeit ist über eine Reihe von Gesetzesinitiativen der politische Wille zu erkennen, „mehr Staat“ zu wagen und Regelungen an sich zu ziehen – ohne sich um Grundprinzipien des Sozialgesetzbuches zu scheren oder Leistungsentscheidungen ausreichend wissenschaftlich zu begründen.
Das bisher deutlichste Beispiel dafür ist der Referentenentwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“. Dass hier auf neue Check-ups und auf die breitere vorbeugende Einnahme von Arzneimitteln gesetzt wird, ohne zuvor evidenzbasiert deren Nutzen zu prüfen, widerspricht diametral dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.
„Die Kooperation zwischen Politik und Selbstverwaltung muss weiterentwickelt werden.“
Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses
Lassen Sie uns vom Ende her schauen, was es heißt, mehr Staat zu wagen: Politisch begründete Leistungsentscheidungen orientieren sich dann an der Finanzlage oder individuellen Vorlieben und persönlichen Ansichten. Versprechen auf neue Leistungen, egal wie medizinisch sinnvoll sie wären, könnten zum Wahlkampfgegenstand werden. Verlierer sind in einem solchen Szenario jene, die keine Stimme haben und keine Verbindung in die Politik.
Ein solches System halte ich weder für sinnvoll, noch für erstrebenswert. Welche Leistungen in das Gesundheitssystem aufgenommen werden, muss Ergebnis eines Prozesses bleiben, bei dem alle Fakten diskutiert werden und nicht nur jene, die die eigene Meinung stützen. Die oft schwierigen Entscheidungen, die beispielsweise der Gemeinsame Bundesausschuss trifft, könnten weder durch Rechtsverordnungen des Bundesgesundheitsministeriums noch durch die Fachleute der ihm unterstellten Behörden besser und schneller erfolgen. Statt mehr Aufgaben an den Staat zu binden, ist es an der Zeit, die Kooperation zwischen Politik und Selbstverwaltung für eine gute und finanzierbare Versorgung systematisch weiterzuentwickeln.
Zur Person
Prof. Josef Hecken (CDU) ist seit 2012 unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Zuvor bekleidete der Jurist verschiedene politische Ämter. Die Regierung des Saarlandes hat Hecken in Würdigung seiner Verdienste in Wissenschaft und Forschung den Titel Professor verliehen.
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