Fahrt zur Wiedereingliederung nicht auf Kassenkosten
Langzeiterkrankte können bei einer stufenweisen betrieblichen Wiedereingliederung die Fahrkosten zur Arbeit nicht immer von ihrer Krankenkasse beanspruchen.
Urteil vom 16. Mai 2024
– B 1 KR 7/23 R –
Bundessozialgericht
Nach längerer Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers ist häufig eine Arbeitsaufnahme zunächst nur in reduziertem Umfang möglich. Fallen bei einer stufenweisen Wiedereingliederung langzeiterkrankter Menschen (mehr als sechs Wochen) ins Erwerbsleben Fahrkosten zur Arbeitsstelle an, stellt sich für den Betroffenen die Frage nach einer eventuellen Erstattung durch seine Krankenkasse. Einen Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten sieht Paragraf 60 Absatz 5 Sozialgesetzbuch (SGB) V vor. Danach übernehmen Kassen im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Kosten nach Paragraf 73 Absatz 1 und 3 SGB IX. Doch haben Langzeiterkrankte prinzipiell einen Anspruch darauf, die Fahrkosten von ihrer Kasse erstattet zu bekommen? Ob dem so ist, hat nun das Bundessozialgericht (BSG) klargestellt.
„Vor diesem Urteil hatten Gerichte in vergleichbaren Konstellationen unterschiedlich entschieden. Mit seiner Entscheidung hat das Bundessozialgericht die Rechtspraxis nun vereinheitlicht.“
Justiziarin beim AOK-Bundesverband
Ärztin erstellte Plan
Geklagt hatte ein Mann, der vom 6. August bis 16. Dezember 2018 arbeitsunfähig erkrankt war und Krankengeld bezog. Eine ambulante oder stationäre Reha machte er nicht. Seine Hausärztin erstellte am 22. November 2018 einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan entsprechend Paragraf 74 SGB V. Die Wiedereingliederung betrug zehn Arbeitstage (3. bis 14. Dezember 2018). In dieser Zeit erhielt er Krankengeld. Der Kläger fuhr an diesen Tagen zu seiner Arbeitsstelle, die 20 Kilometer von seinem Wohnort entfernt war (einfache Wegstrecke). Die Fahrkosten dafür betrugen insgesamt 85 Euro. Diese wollte er von seiner Kasse erstattet bekommen. Er verwies auf die Regelung in Paragraf 60 Absatz 5 SGB V, wonach die Kasse die Fahrkosten zu übernehmen habe, „wenn sie im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stehen“. Seine Kasse habe Leistungen zur medizinischen Reha und „ergänzende Leistungen“ wie Fahrkosten zu übernehmen, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden oder zu mildern. Die Wiedereingliederung sei eine Reha-Maßnahme.
Nachdem die Kasse die beantragte Kostenerstattung abgelehnt hatte, klagte er. Das Sozialgericht hob den ablehnenden Bescheid auf. Die Kasse müsse die Fahrkosten zahlen. Diese legte Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten zur Arbeitsstelle während der Wiedereingliederung. Diese sei keine Reha-Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Auch bestehe kein Anspruch gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese übernehme zwar in der Regel die Fahrkosten für Arbeitnehmer bei einer Wiedereingliederung. Voraussetzung sei aber, dass diese Bestandteil einer Reha-Gesamtmaßnahme sei – etwa wenn der Arbeitnehmer nach einem stationären Aufenthalt direkt stufenweise in den Job zurückkehren solle. Der Kläger aber habe weder eine ambulante noch stationäre Reha in Anspruch genommen.
Keine Reha-Leistung
Gegen dieses Urteil legte der Mann Revision beim BSG ein – ohne Erfolg. Die Fahrten stünden in keinem Zusammenhang mit einer Leistung zur medizinischen Reha, so das BSG. Eine medizinische Reha diene nach Paragraf 11 Absatz 2 SGB V dazu, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Die Wiedereingliederung habe einen anderen Zweck: Der Versicherte solle seine Arbeitsfähigkeit wiederlangen. Es solle ihm ermöglicht werden, bei einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit zunächst in eingeschränktem Umfang wieder zu arbeiten. Auch ließe sich aus Paragraf 74 SGB V kein Anspruch ableiten. Diese Rechtsnorm umschreibe lediglich die Aufgabe des Vertragsarztes, Angaben über mögliche Tätigkeiten auf der AU-Bescheinigung zu machen, denen der Versicherte nach ärztlicher Einschätzung teilweise nachgehen könne.
Darüber hinaus sei die Krankenkasse nicht als erstangegangener Leistungsträger (Paragraf 14 Absatz 2 SGB IX) zur Kostenerstattung verpflichtet. Hier käme ein Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger als Träger der medizinischen Reha in Betracht. Im vorliegenden Fall sei die Wiedereingliederung nicht neben einer medizinischen Reha erbracht worden. Dies aber setzten die Paragrafen 28 Absatz 1 SGB VI und 64 Absatz 1 SGB IX voraus.
Zugleich verwies das BSG darauf, dass die Rentenversicherungsträger zwar Leistungen zur medizinischen Reha erbringen (Paragraf 15 SGB VI) und dass die Wiedereingliederung in Paragraf 44 SGB IX ausdrücklich vorgesehen sei. Doch eine ohne Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Reha durchgeführte (isolierte) stufenweise Wiedereingliederung sei nach diesen Vorschriften keine Leistung zur medizinischen Reha.
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